„Die Hugenotten“ – 27. Dezember 1998

Und Meyerbeer weinte… Über handwerklich schlecht gemachte Inszenierungen des modernen Regietheaters ist schon oft geschrieben worden. Auch John DEWs Interpretation der „Hugenotten“ besitzt ausreichend Attribute dieser Kategorie: Lederladies und wüstes Nachtleben auf dem katholischen Fest (Wie gut, daß es die Beichte gibt!), ein Swimmingpool inkl. in Bademoden gewandete Damen am königlichen Hof, Personen mit Armbinden („… nimm diese Schärpe…“ sic!) und „P“s bzw. „K“s als Rückennummern beim öffentlichen Tauziehen um Frankreich. Nur die obligaten Koffer gab es nicht. Vielleicht habe ich glatt übersehen. Den Abend retteten – neben der schönen Musik – letztendlich die Sänger sowie ein relativ einiges Orchester unter der Leitung von Stefan SOLTESZ.

Im personenreichen Ensemble auf der Bühne gab es in der Tat nur anderthalb Ausfälle. Einer davon war leider die männliche Hauptrolle. Chris MERRITT vermochte mit enger Höhe und rauher Stimme der Rolle des Raoul kaum zu entsprechen. Dafür entblödete er sich nicht, den Regiemätzchen minutiös folge zu leisten. Man buhte ihn am Ende kräftig aus, und auch, wenn ich dies nicht für eine richtige Form der spontanen Kritik halte, war es diesmal aus meiner Sicht mehr als gerechtfertigt. Die anderen Protagonisten konnte da schon mit mehr aufwarten.

Alexandra VON DER WETH geizte nicht mit hohen Tönen. Leider waren diese nicht immer von besonderer Schönheit. Trotzdem gelang ihr eine interessante, wenn auch sehr überspitzte und schrille Rolleninterpretation der Margarethe von Valois. Elisabeth-Maria WACHUTKA hauchte der Valentine inmitten des teilweise abstrusen Regiechaos sensibles Leben ein. Mit großer Präsenz und Dramatik in der Stimme konnte sie die innere Zerrissenheit ihrer Figur fühlbar machen.

Raouls Bruder Marcel war bei Reinhard HAGEN in guten Händen. Ihm liegen die „heiligen“ Rollen besonders. So konnte er, in seinem langen Mantel stets angemessenen Schrittes über die Bühne schreitend, auch diesem Individuum, halb protestantischer Prediger, halb geistiger Brandstifter, seinen ganz speziellen Stempel aufdrücken. Seine dunkelsamtene Stimme strömte die gesamte Vorstellung über aus einer geläufigen Kehle. Der Choral im letzten Akt war stimmliche Schönheit pur.

Friedemann KUNDER brillierte als Saint-Bris. Valentines Vater in seiner ganzen Entschlossenheit für die katholische Sache gibt den Befehl zu dem Massaker, dem seine Tochter zum Opfer fällt. Es war beeindruckend, wie man von diesem Sänger sowohl in der Szene, als er seinen Getreuen den Mordplan schmackhaft macht, als auch bei der Trauer um Valentine gefesselt wurde. Die Rolle des Grafen Nevers machte Lenus CARLSON zu der seinen. Was letzten Endes zum Sinneswandel der Figur führt, bleibt in dieser Inszenierung offen. Die Zweifel des Grafen wurden jedoch so plastisch dargestellt und stimmlich profund unterstützt, daß die Gedanken darüber verdrängt wurden.

Einen glanzvollen Auftritt hatte Ulrike HELZEL, die in der Rolle des Pagen ihre Bestimmung fand und eine schöne Stimme hören ließ. David GRIFFITH, Marc TEVIS, Hans GRIEPENTROG, Josef BECKER sowie Miomir NIKOLIC waren als katholische Edelleute ausgesprochen charmant im Besingen der schönsten Frau der Welt und überzeugten alle samt mit musikalischer Potenz von ihren Klangqualitäten.

Der Chor bekam an diesem nachweihnachtlichen Sonntagabend seinen ganz großen Moment bei dem bereits genannten Choral der Protestanten, konnte aber auch schon zuvor schöne musikalische Augenblicke erzeugen.

Daß Giacomo Meyerbeer an diesem Abend nicht a la Komtur aus „Don Giovanni“ in der DOB erschien, verwunderte mich dann doch. Geweint hat er bestimmt, denn dem Zuschauer wurde nur zu selten ermöglicht, seiner Musik ganz unbenommen zu lauschen. Mir bleibt zu hoffen, daß es vielleicht irgendwo eine normale Meyerbeer-Inszenierung gibt. Kennt vielleicht jemand eine ohne Massaker mit Maschinenpistolen u.ä.? AHS