Die Staatsoper Unter den Linden hatte zum Internationalen Frauentag die hübsche Idee, Karten, die an diesem und den beiden Folgetagen gekauft wurden, mit dem Betrag des Gender Pay Gap zu rabattieren. Die Gelegenheit habe ich genutzt, um mich gleich nach dem Kauf zu fragen, ob „Don Giovanni“ wirklich das richtige Stück dafür ist.
In dieser Produktion ist die Antwort tatsächlich ein klares „Ja“. Vincent HUGUET hat es geschafft, die drei Frauen als starke Persönlichkeiten zu zeichnen, weit weg von reinen nur leidenden Opfern. Überhaupt hat der Regisseur einen sehr heutigen „Don Giovanni“ auf die Bühne gestellt, sozusagen der Wüstling in Zeiten von metoo. Giovanni ist hier ein alternder Starfotograf, der, wie man in den Videos zur Registerarie im Hintergrund sehen kann, alle schönen, berühmten Frauen der letzten Jahre abgelichtet hat. Er feiert bei dem Fest am Ende des ersten Aktes „Giovanni, 40 Jahre, Retrospektive“, versucht aber immer noch in Kleidung und Auftreten einen jugendlichen Eindruck zu machen.
Hinzu kommen eine Menge sehr guter Ideen, die albern sein könnten, aber es eben aufgrund der guten Ausführung nicht sind: nach dem Tod des Commendatore erscheint die Polizei nebst Rechtsmedizin und Spurensicherung, Elvira, Anna und Ottavio schmuggeln sich auf die Party verkleidet als Angela Merkel nebst persönlicher Assistentin und Leibwächter (logisch, als A-Promi kommt man auch auf eine geschlossene Veranstaltung), Elviras Zofe hört sich zwar die Serenade interessiert an, hat dann aber schon Pläne mit einem anderen Mann, die letzten zwei Bilder spielen im Bestattungsinstitut, wo die Beisetzung des Commendatore vorbereitet wird – und Giovanni es nicht lassen kann, die Bestatterin anzubaggern. Lediglich die Höllenfahrt ist nicht so ganz verständlich: der Geist des Commendatore verurteilt Giovanni zum Tode, läßt ihn mittels Spritze hinrichten, am Ende wird im schwarzen Karton die Bowle, die zur Champagnerarie vorbereitet wird, ausgepackt.
Der szenischen Einstudierung von Marcin LAKOMICKI ist ein Sonderlob auszusprechen, denn außer dem Leporello und dem Ottavio ist niemand mehr von der Premierenbesetzung dabei, aber die Figuren sind unglaublich präzise gezeichnet.
Warum das ganze in unglaublich häßlichen Quaderkulissen (Aurelie MAESTRE) spielen muß, ist allerding wenig überzeugend. Soll das industrial chic sein? Dann ist es zu wenig industrial und zu wenig chic. Die Kostüme von Clémence PERNOUD hingegen sind sehr passend für das Konzept.
In der Titelrolle stellte sich Lucio GALLO vollkommen in den Dienst des Konzeptes. Diesem Typus Mann, der eigentlich zu alt für die Art seines Auftretens ist, mit Jeans, Basecap und Sneakern sowie betont jugendlicher Attitüde, obwohl schon im sechsten Lebensjahrzehnt, sind wir alle schon einmal begegnet. Er spielt hingebungsvoll diesen Mistkerl, dessen Charme man sich aber trotzdem nicht ganz entziehen kann, was eben auch verständlich macht, warum alle auf die eine oder andere Weise auf ihn hereinfallen. Mozart singt Gallo immer noch mit beeindruckender Leichtigkeit, sehr wissendem Textverständnis und hörbarem Spaß.
Als Figur unglaublich gut gearbeitet ist die Donna Elvira von Gabriela SCHERER, ein abgelegtes Trophy-Wife, die mit Mühe den Anschein erweckt, weiter alles im Griff zu haben. Da stimmt aber auch wirklich jede Handbewegung, jedes Zucken der Mundwinkel. Dazu singt sie prachtvoll und setzt diese Interpretation auch mit unzähligen Farben in der Stimme um. Sie zeigt schon zu Beginn ein Interesse an Leporello und ist auch keine Sekunde durch den Kleidertausch getäuscht; das ist eher ein trotzig-verzweifeltes „Wenn Giovanni mich durch was Jüngeres ersetzt, kann ich das auch.“
Der Leporello von Riccardo FASSI ist Giovannis Assistent, er will auch irgendwie Giovanni sein, scheitert aber schon bei der Kleidungswahl, die eben bei ihm nicht lässig-jugendlich, sondern billig wirkt. Ob es ihm je gelingen wird, sich von seinem padrone zu emanzipieren, dürfte fraglich sein. Gesanglich ist er ohne Fehl und Tadel, absolut großartig ist die Textbehandlung im rezitativen Austausch mit Giovanni, welche das Publikum zum Lachen brachten, auch unabhängig von den Übertiteln, die teilweise schon ein Stück weiter waren.
Donna Anna war Jeanine DE BIQUE, weit weg von jeder Trauerweiden-Attitüde, eine junge, selbstbewußte Frau, die Giovanni an seiner Flucht zu Beginn auf eine Weise zu hindern versucht, daß man sich fragt, wer hier wen belästigt. Trotz des von ihm verschuldeten Todes ihres Vaters würde sie sich sehr bewußt für Giovanni entscheiden, wenn er ihr die Chance gäbe. Das alles drückt die Sängerin auch stimmlich aus und zeigt viele Nuancen dabei.
Ob es die Regie war, die Don Ottavio sehr unauffällig und unscheinbar erscheinen ließ, was ja auch eine Form der Charakterisierung wäre? Bogdan VOLKOV singt technisch gut, stilistisch sauber und geschmackvoll, nur schafft er es nicht, mich in irgendeiner Weise für seine Figur zu interessieren. Das mag mehr mein Problem sein als seines, allerdings konnte man so Anna sehr gut verstehen, daß sie von Giovanni geradezu besessen ist.
Die Zerlina von Regina KONCZ ist ein stimmlich bezauberndes Wesen, was an Giovanni selbst eigentlich eher wenig interessiert scheint, sondern eher daran, mit seiner Hilfe ein bekanntes Model zu werden. Genau das wiederum führt folgerichtig dazu, daß sie am Ende des ersten Aktes Alarm schlägt, als Giovanni zudringlich wird. Sie will etwas ganz anderes von ihm. Das spielt die junge Sängerin, noch Mitglied des Opernstudios, sehr überzeugend.
Ihr Masetto Adam KUTUY ist konventioneller gezeichnet, beim ersten Auftritt fragt man sich noch, was Zerlina an diesem leicht prolligen Typen wohl findet, aber das legt sich ob der exzellenten stimmlichen Leistung und dem interessanten Ansatz, daß es eigentlich Masetto ist, der als erstes erkennt, wie toxisch Giovanni eigentlich ist.
Lediglich der Commendatore von Antonio DI MATTEO klang etwas matt und blieb insoweit nicht wirklich in Erinnerung.
Marc MINKOWSKI hielt den Abend am Pult grandios zusammen, er ließ den Sängern ihren Raum, was für die Spielfreude auf der Bühne sehr unterstützend war. Es gab keine großen Akzente oder neuen Erkenntnisse durch sein Dirigat, sondern sorgte für einen reibungslosen Ablauf, woran auch die STAATSKAPELLE BERLIN ihren Anteil hatte. Der STAATSOPERCHOR (Leitung: Dani JURIS) genoß sicht- und hörbar die individuelle szenische Behandlung der einzelnen Mitglieder. MK