„Lohengrin“ – 24. September 2000

Auch Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“ wurde an der Berliner Staatsoper wiederaufgenommen. Man gönnte dem teils mehr, teils weniger begeisterten Publikum drei Vorstellungen, von denen die letzte hier besprochen werden soll.

Die Inszenierung Harry KUPFERs verfügt neben einem zugegeben sehr futuristischen Bühnenbild (Hans SCHAVERNOCH/Kostüme: Buki SHIFF) und einer gewagten Deutung der Handlung über eine stringente, saubere Personenregie – sicherlich ein Markenzeichen Kupfers, aber stets aufs Neue faszinierend. Das Geschehen auf der Bühne wird greifbar. Diese Geschichte erzählt von atmenden Menschen mit allen ihren Eigenheiten.

Realität spielt ohnehin eine große Rolle in dieser Regiearbeit. Da das Märchen vom Schwanenritter höchst unrealistisch wirkt, wurde die wundersame Errettung der Maid kurzerhand in einen Traum Elsas gewandelt. „Echt“ sind nur Beginn und Schluß sowie zwei, drei kleine Sequenzen mittendrin. Ortrud und Telramund siegen am Ende, und was wahre Wagnerianer wahrscheinlich erschauern läßt, eröffnet dem, der bereit ist, neue Perspektiven zu entdecken, eine faßbare Welt jenseits des ursprünglichen Märchens. Dank dem, der mich im vergangenen Herbst für solche Denkweise sensibilisiert hat!

Für die musikalische Seite des Abends muß neben der gekonnten Begleitung durch die Staatskapelle unter der Leitung von Sebastian WEIGLE die immense Wortdeutlichkeit aller Solisten und des gesamten Chores hervorgehoben werden. Nur wenige Worte waren undeutlich gesungen, was das Verfolgen der Handlung wesentlich unterstützte, aber auch die eklatanteste Schwäche Wagners entlarvte.

Emily MAGEE hat als Elsa einen Wandel vollzogen. Sie besteht selbstbewußt und macht durch ihre interessanter gewordene Stimme auf sich aufmerksam. Kupfers Konzept hat sie stark verinnerlicht, so daß ihre Figur dankbarerweise vom blond&blöd-Klischee befreit wird.

Machtbesessen und bitterböse ihre Gegenspielerin. Elisabeth CONNELL zeichnet dunkle wie dunkelste Nuancen mit ihrer eigentlich warmtimbrierten Stimme, um so das Bild einer eiskalten, berechnenden Friesenprinzessin auf die Bühne zu bringen.

Höhepunkt des Abends war zweifelsohne die Szene zwischen Ortrud und Telramund zu Beginn des zweiten Aufzugs. Sie kalt und ruhig nach Rache sinnend, er zuerst ängstlich, der verlorenen Machtstellung nachtrauernd, schließlich entschlossen den düsteren Plänen seines Eheweibs zu folgen, um diese Macht zurückzuerlangen.

Die Oper hätte an diesem Abend dann auch nach dem Antihelden benannt werden sollen. Richard Paul FINK, der in dieser Partie am 17. sein Berliner Operndebüt gab, ist ein Ausnahmekünstler. Seine kräftige, angenehme Stimme neigt nie zum Brüllen, sondern nimmt leicht alle Hürden. Gepaart mit einem natürlichen Bühnengehabe und einem, ja, ich muß es zugeben, stattlichen Aussehen entsteht eine gefährlich gute Mischung, die süchtig macht. Mehr! Mehr! Mehr!

Beim eigentlichen Titelhelden mußte man sich dagegen sorgen. Noch immer etwas durch Schwanenflügel und dem bei jeder heftigeren Bewegung schwankenden Gefährt behindert, hatte Francisco ARAIZA mit Widrigkeiten zu kämpfen, die über seine derzeit beunruhigende Verfassung noch hinausgingen. Manches gelang aber sehr schön wie z.B. über weite Strecken die Szene im Brautgemach und die im piano gehauchte, aber bis in den 3. Rang vernehmbare „Taube“ in der Gralserzählung.

Siegfried VOGEL als König Heinrich machte einen souveränen Eindruck, bestach durch eine stimmliche Kraft, die aus einer gesunden Stimme resultiert, und rechtfertigte seinen Einsatz mit potenter Präsenz. Sein Heerrufer, Andreas SCHMIDT, Bariton, klang ein wenig angestrengt. An seiner guten Interpretation änderte das nichts, so daß der begeisterte Applaus berechtigt war.

Das Ensemble der Staatsoper empfahl sich wieder besonders durch die Vier Edlen: Peter BINDSZUS, Andreas SCHMIDT, Tenor, Bernd RIEDEL und Bernd ZETTISCH. Von den Vier Edeldamen ragte bestach besonders eine mit glockenklarer Höhe. Leider war nicht festzustellen, welcher der Damen diese Stimme zu eigen war. Deshalb an dieser Stelle nur ein Pauschallob.

Der STAATSOPERNCHOR sang machtvoll, sauber, einig, agierte engagiert und souverän. Es gab berechtigt begeisterten Applaus für Mannen (und Damen) unter der Einstudierung von Eberhard FRIEDRICH.

Die STAATSKAPPELLE hatte einige Tage zuvor Christoph Stöltzl, dem Berliner Kultursenator vor seinem Amtsitz ein Ständchen für Daniel Barenboim und den Erhalt des Orchesters dargebracht. Besser als zu dieser „Lohengrin“-Vorstellung hätten sie allerdings ihre Forderungen kaum unterstreichen können: perfekte musikalische Wiedergabe und permanente Präsenz ohne den Orchesterpart zu sehr in den Vordergrund zu stellen.

Eine aufwühlende Aufführung. Danke! AHS