„Chowanschtschina“ – 23. Juni 2024

Es ist sicherlich kein gutes Zeichen, wenn sich einem während der Vorstellung die Frage stellt, ob dieser Regisseur schon einmal eine originelle Idee hatte, und wenn ja, warum er sie nicht auf die Bühne gebracht hat.

Es passiert in dieser Neuproduktion von Mussorgskys Oper nichts, was irgendwie Interesse weckt. Alle stehen hauptsächlich herum, irgendeine tiefere Beziehung zwischen den Figuren findet nicht statt. Wenn der Regisseur schon dazu greifen muß, in Zwischentexten zu erklären, wer eigentlich wer ist, dies dann aber genau dann unterläßt, wenn es handlungsmäßig kompliziert wird, wenn die restliche Abendröte auf unserer Rückfahrt spektakulärer wirkt als die Selbstverbrennung der Altgläubigen, wenn offenbar die gesamte Handlung ein Laborexperiment darstellen soll, was schiefgeht, dann ist jedes weitere Wort über diese Nichtinszenierung zuviel verloren.

Wehmütig kam man nicht umhin, sich an DIE „Chowanschtschina“-Produktion zu erinnern, Harry Kupfers Hamburger Inszenierung aus den neunziger Jahren. Wie spannend dieses Stück eigentlich ist, wieviel darin auch an Aktualität steckt, wie man eine verworrene Geschichte erzählen kann, ohne daß das Publikum jemals den Faden verliert, konnte man damals exemplarisch sehen. Aber dort gelang auch das Kunststück, daß die Inszenierung immer aktuell war, was auch immer gerade in der russischen Zeitgeschichte passierte. Es half, sich diese eindrücklichen Bilder vor das innere Auge zu rufen, damit das Stück stattfinden konnte.

Es stimmt schon traurig, daß szenisch nichts passierte, denn die musikalische Umsetzung konnte sich absolut hören lassen, die Sänger hätten es verdient, im angemessenen Rahmen zu agieren. Allen voran Marina PRUDENSKAYA als Marfa, die mit großformatiger Stimme die Partie durchmaß, jede Nuance dieses schwierigen Charakters zeigte, von der verlassenen Liebenden zur Politikerin, von der fanatischen Gläubigerin zur zerrissenen Frau. Eine ganz große Leistung.

Die beiden weiteren Frauenrollen waren ebenfalls hochkarätig besetzt mit Evelin NOVAK, deren Emma alles andere als ein kleines Hascherl war, sondern mit ungewohnt großer Stimme und leuchtenden Soprantönen in Erinnerung blieb, und mit Anna SAMIUL als Susanna, die das Wunder schaffte, den Fanatismus dieser Figur deutlich zu machen, ohne jemals schrill zu klingen.

Taras SHTONDA hatte als Dossifei mächtige Baßtöne, die an keine Grenzen stießen, aber, genauso wie Mika KARES als Iwan Chowanski, der technisch sauber, aber ein wenig persönlichkeitsarm sang, hätte es hier dringend einer besseren Personenregie bedurft. Beide Sänger hätten dann einen noch stärkeren Eindruck hinterlassen können. Das gilt auch für George GAGNIDZE als Schaklowity, welcher der Partie stimmlich nichts schuldig blieb, in seiner großen Szene auftrumpfen konnte, aber eben die Gefährlichkeit seiner Figur nur stimmlich ausleben konnte.

Andrei Chowanski gehört sicherlich zu den unsympathischsten Tenorrollen des Repertoires und ist zudem auch noch fast unsingbar. Najmiddin MAVLYANOV hatte tatsächlich keinerlei Probleme mit der Partie, sondern sang sie wirklich aus, so daß ich erstmalig verstanden habe, was Marfa eigentlich an Andrei findet. Stephan RÜGAMER machte als Golizyn nichts verkehrt, aber auch hier wäre mehr Personenregie hilfreich gewesen. Andrei POPOV war der Schreiber mit charaktertenorigen Tönen.

In den weiteren Rollen komplettierten auf hohem Niveau Andrés MORENO GARCIA (Kuska), Roman TREKEL (Warsonofjew), Johan KROGIUS (Streschnew), Dimitri PLOTNIKOV (Gefolgsmann), Taehan KIM und Friedrich HAMEL (zwei Strelitzen).

Der STAATSOPERNCHOR war nicht ganz auf gewohntem Niveau (Einstudierung Dani JURIS), da ging das eine oder andere zu Lasten der Homogenität, was schwerlich daran liegen kann, daß zuviel Bewegung verlangt wurde.
Am Pult der ohne jeden Fehl und Tadel spielenden STAATSKAPELLE stand Simone YOUNG und ließ das Stück, das auf der Bühne nicht zu erkennen war, doch noch stattfinden. Da wurde jeder Kleinigkeit in der Partitur nachgespürt, ohne daß es zu analytisch wurde, da durfte auch in der Ballettmusik für die persischen Mädchen geschwelgt werden, was die Bühne nicht erlaubte. MK