Sie waren verschwunden, die Buhrufer, die in der Premierenserie versuchten, einem Teil des Sängerensembles das Leben schwer zu machen. Schade! Denn hätten sie diese letzte Vorstellung in der Spielzeit 1999/2000 besucht, wäre ihnen eine Lektion erteilt worden. Eine Lektion darüber, wie weit sich eine Sängerin innerhalb von acht Vorstellungen in eine Rolle hineinleben kann.
Inga NIELSEN lehrte es mit reinem und schönen Gesang sowie einer beeindruckenden Rollenidentifikation. Anders als in der Premierenserie vermochte sie, beide Aspekte Normas, die Frau und die Priesterin, zugleich zu verkörpern. Mit ihrem „Casta diva“ sang sie sich an diesem Abend in den Olymp der „Norma“-Interpretinnen. Dabei fand sie ihren ganz persönlichen Weg der künstlerischen Wiedergabe. Ihre Stimme schwebte mal zart in der Hoffnung auf die Rückkehr des Geliebten oder klang unerbittlich, wenn sie über Pollione richtete.
Für die erkrankte Petia Petrova sprang Robynne REDMON ein. Sie ist keine seelenlose Gesangsmaschine a la Olympia, sondern gibt Adalgisa neben einer angenehmen, sympathischen Stimme ein berührendes, aber gleichzeitig resolutes Wesen. Streckenweise strahlte ihre Figur soviel jugendliche Unschuld aus, daß man finsterste Gedanken gegen den römischen Prokonsul hegte. Das Publikum feierte die Künstlerin begeistert. Bei ihrem somit erfolgreichen Berliner Operndebüt weckte sie Hoffnung auf weitere Einsätze auf einer der hiesigen Bühnen.
Francisco ARAIZA macht es sich nie leicht, und sein unerbittlicher Anspruch sich selbst gegenüber sorgte hin und wieder schon für stimmliche Klippen. Doch auch er stand an diesem Sonntag unter einem guten Stern. Nachdem er seinen ersten Auftritt mit einigem Zittern hinter sich gebracht hatte, strömte sein Tenor gleichmäßig und ließ auch das vertraute Strahlen nicht vermissen. Seine absolute Identifikation mit Polliones rasch wechselnden Stimmungen ist direkt beängstigend. Es macht es aber auch schwer, sich derzeit einen anderen Sänger in dieser Rolle vorzustellen. Die in der Darstellung von Araiza gesetzten Maßstäbe dürften schwer zu übertrumpfen sein.
Der Part des Oroveso ist viel zu kurz für einen solchen Stimmluxus, wie ihn Kwangchul YOUN bietet. Sein Baß klang warm und angenehm intensiv. Die gänzliche Unterordnung der Gallier gegenüber Orovesos Willen war keinen Augenblick zweifelhaft. Der berührendste Moment war jedoch der Abschied von seiner Tochter Norma: nur ein hilfloses Zucken der Schultern des Vaters, doch es sagte mehr aus, als es eine Zeile im Libretto vermocht hätte.
Als Flavio mit lichtstarker Taschenlampe und Pistole gerüstet, unterstützte Stephan RÜGAMER die römische Sache mit gewinnendem Tenor. Brigitte EISENELD stand auf Seiten Normas diesmal wesentlich profunder als in der Premiere. Auch darstellerisch fand sie einen besseren Weg.
Der STAATSOPERNCHOR gab erneut eine prächtige Probe seines Könnens.
Unendlich viele Worte könnte man über das Potential der STAATSKAPELLE BERLIN schreiben, die unter der Leitung von Michael GIELEN den Abend zum Ereignis machte.
Es waren musikalisch aufwühlende Stunden, nach denen wohl niemand unberührt das Haus verließ. „Einfach schön!“ beschreibt letztendlich meine Gedanken am besten. AHS