„Eugen Onegin“ – 2. Juni 2000

Tschaikowski kann auch atonal sein – manchmal. Auf jeden Fall, wenn Jiri Kout ans Pult gestellt wird. Dann kratzen die Streicher und die Holzbläser produzieren Töne, die man noch nie gehört hat, aber eigentlich auch nicht hören möchte. Die Einsätze kamen an diesem Abend noch unkoordinierter aus dem Graben als an den beiden vorangegangenen Abenden dieser Serie. Sänger und Chor hatten es nicht leicht mit dieser angeblichen musikalischen Leitung. Es hat wohl selten in einem Opernhaus eine Dirigenten- und Orchesterleistung gegeben, die man noch schwächer nennen kann.

Eva JOHANSSON hätte das beinahe die Briefszene gekostet. Ständige nicht nachvollziehbare Tempiwechsel machten ihr den kompositionsgetreuen Gesang schwer, doch sie fing sich und zeichnete sowohl als junge Tatjana als auch als Gremina ein rollengerechtes Bild. Manchmal paßt ihr gewaltiger Sopran nicht recht in die Gefühlsausbrüche eines Teenagers des frühen 19. Jahrhunderts, beeindruckend ist eine solche Stimmgewalt allemal.

Es scheint schwer vorstellbar, daß es einen Onegin geben kann, der näher an Puschkin und Tschaikowski ist als Lucio GALLO. Er bringt jedes Mal aufs Neue Nuancen ein, die der Figur jeweils andere Schattierungen geben. Seine arrogante Haltung ist immer nur Maske, die im Laufe des Abends mehr und mehr Risse bekommt, um dann im letzten Bild endgültig vor seinen Gefühlen hinweggeschwemmt zu werden. Allein der Moment, in dem er wie ein getriebenes Tier die Tür schließt, um Tatjana anzubetteln, ihn zu lieben, ist schon erwähnenswert. Sein lange nicht mehr nur lyrischer Bariton durchmißt die Entwicklung der Figur ebenfalls, diesmal mit einer großen Zahl von wunderschönen, ans Herz gehenden pianissimi noch veredelt.

Olga ist wahrlich enttäuscht, daß sich der gutaussehende, interessante Fremde lieber ihrer Schwester zuwendet, aber Elena ZHIDKOVA kann mehr als nur rollendeckend schmollen. Sie kokettiert mit ihrer Stimme, tanzt gekonnt Walzer wie Kotillon und offenbart einen schönen Mezzo, der bald mehr als nur eine zweite Tochter vom Land über die Rampe bringen wird. Fast schade, denn sie ist Olga in every aspect.

Jonas DEGERFELDTs Lenski ist hingerissenen von (dieser) Olga, der Liebe und dem Leben überhaupt. Diese Rolleninterpretation gepaart mit der schönen Stimme des jungen Tenors produziert ein Bild des puschkinischen Dichters, an dem man die tragische Entwicklung in jeder Phase miterleben und nachvollziehen kann. Das Geständnis seiner Liebe Olga gegenüber, die wehmütige Rückbesinnung an schönere Tage zu Ende des 4. Bildes und schließlich Lenskis Arie, die an diesem Abend sehr sinnlich klang, bannen den Zuhörer durch akzentuierten Gesang und eine – großartig gespielte – Leidensfähigkeit, wie sie nur ein Poet ausdrücken kann.

Peter MAUS (Triquet) macht nicht den Fehler, seinen prominenteren Rollenvorgänger Waldemar Kmentt zu imitieren, sondern legt die Rolle stimmlich mehr als Parodie auf einen schlechten Tenor an, ohne dabei auch nur ein einziges Mal der Versuchung nachzugeben, dies zu übertreiben. Ganz im Gegensatz zu Kaja BORRIS als Amme, die bereits im vergangenen Jahr an darstellerischer und stimmlicher Peinlichkeit unüberbietbar erschien. Nun, sie schaffte auch das.

Ute WALTHER (Larina) hatte in dieser Vorstellung ihren bisher besten Abend in darstellerischer Hinsicht. Auch in der Sprachbehandlung ging es aufwärts. Es ist erfreulich zu sehen, daß die Künstlerin in der Lage ist, aus Fehlern vergangener Jahre zu lernen. Gleb NIKOLSKIJ als Gremin stellte ein höchst überflüssiges Engagement dar. Diese Rolle ist in vergangenen Jahren wesentlich besser aus dem Haus heraus besetzt worden. Nikolskij fehlte es an so ziemlich allem, was ein Gremin haben muß, um mit seinem kurzen Auftritt in Erinnerung zu blieben: gute Phrasierung, saubere Aussprache und Präsenz.

Der Chor litt am meisten unter der Unfähigkeit Kouts. Waren die Chorpassagen in den vergangenen Serien noch ein Garant musikalischer Qualität gewesen, so zerfaserte jetzt jeder Auftritt, daß man zeitweilig den Eindruck gewann, es gäbe ein Echo im Haus.

Das ORCHESTER der DOB leistete sich kapitale Fehler, was allerdings dem anwesenden Publikum, mehrheitlich Teilnehmer des gerade stattfindenden Richard-Wagner-Kongresses, nicht weiter auffiel. Man bejubelte, ohne groß Unterschiede zu machen, Tschaikowskis Oper in der Orchester-Version von Kout-Penderecki… MK & AHS