„Falstaff“ – 2. Februar 2020

Die Grundidee der „Falstaff“-Inszenierung von Mario MARTONE ist eigentlich gar nicht so schlecht. Falstaff als übrig gebliebener Alt-68er, Bewohner eines besetzten Hauses, das Bürgertum, das auf ihn herabblickt, aber in Wahrheit doch schon gerne so frei leben würde. Das mangelnde Schuldbewußtsein, zwei Frauen ins Bett bekommen zu wollen, und zwischendurch auch noch ein Schäferstündchen mit Mrs. Quickley einzuschieben, verankert im alten „Wer zweimal mit derselben pennt…“. All das würde funktionieren, wenn man es denn auch das gesamte Stück durchhalten würde. Doch genau daran krankt es, weil es zu wenig pointiert ist, zu beliebig, der Gegensatz zwischen Falstaffs Welt und dem Leben des Spießers Ford ist zu wenig herausgearbeitet. In der Villa von Familie Ford könnte auch ein erfolgreicher Künstler leben, in ihrem stylischen Garten mit Pool. Es ist auch für mich kaum vorstellbar, daß Ford es gestattet, daß sich zwei junge Männer und eine junge Frau, die nicht zur Familie gehören, an seinem Pool räkeln; welche Funktion diese drei Figuren haben, ist sowieso unklar. Warum die Szene bei Hernes Eiche dann in einer Industrieruine spielt, in welcher sich offenbar die Lack- und Lederszene trifft, erschließt sich auch nicht. Hingegen sehr passend ist es, wenn zur Schlußfuge ein Joint kreist, und somit Falstaff seinen Lebensstil durchaus zumindest ein bißchen weiterreicht.

Das Bühnenbild (Margherita PALLI) für die Szenen bei Falstaff stellt schon sehr treffend ein besetztes Haus dar. Wenn allerdings im Hintergrund zur „Reverenza“-Szene zwei Bewohner stilecht ein Transparent sprühen, stellt sich die Frage, warum Regisseure eigentlich nicht begreifen, daß Spraydosen Lärm verursachen, den man auch in oberen Rängen noch deutlich hört. Wie wäre es zukünftig mit einem Eimer Farbe und einem Pinsel?

Die Kostüme von Ursula PATZAK sind passend, wenn auch von der Epoche nicht wirklich zuzuordnen. Ein Problem stellt noch dar, daß Falstaff weder dick, noch kahl ist. Ich wäre jetzt auch nicht begeistert, wenn ein Mann einer anderen Frau und mir deckungsgleiche Briefe schriebe, aber ihm dann vorzuwerfen, er sei fett und glatzköpfig, wenn er dies augenscheinlich nicht ist?

Musikalisch war der Nachmittag deutlich weniger zwiespältig. Lucio GALLO singt und spielt einen exzellenten Falstaff, mit sicht- und hörbarem Spaß an den Phrasierungen, jederzeit spontan wirkend in seinen Reaktionen auf die jeweiligen Partner, unglaublich beweglich sowohl in Stimme als auch Spiel. Schon nach wenigen Minuten hatte er das Publikum komplett auf seiner Seite. Für die Szene mit Ford hätte man sich hier jemanden gewünscht, der ein bißchen mehr mitspielte, vielleicht auch in der Arie eine größere Fallhöhe darstellen würde als Alfredo DAZA. Dieser sang jedoch hauptsächlich lauter richtige Töne, das auch durchaus schön ist, aber ein Gegner war das nicht.

Barbara FRITTOLI war in der Vergangenheit selten so ganz mein Fall, ihre Alice war allerdings wirklich großartig, sexy im Auftreten, Outfit und Stimme, witzig, spontan, und mit viel Lust an den großen Bögen. Quasi ganz die Mutter war Slàvka ZÁMEČNIKOVÀ als Nanetta mit klarem, absolut sicherem Sopran und guter Phrasierung. Francesco DEMURO war als ihr Fenton sympathisch, wirkte allerdings zu Beginn stimmlich angegriffen, da wackelte einiges. Erfreulicherweise legte sich dies nach einer Weile, so daß die Liebesgesänge der beiden dann doch gut harmonierten.

Daniela BARCELLONA (Mrs. Quickley) röhrt vielleicht die „Reverenza“ nicht ganz so, wie es andere Rollenvertreterinnen tun, singt aber sehr geschmackvoll und mit den richtigen Akzenten, zudem strahlt sie nicht nur auf ihrem Motorrad Sex-Appeal aus. Daß Falstaff sich von ihr angezogen fühlt, ist ebenso verständlich wie bei den beiden anderen Damen. Cristina DAMIAN veredelte die Meg mit ihrem erneut gewachsenen Mezzo und pointiertem Spiel.

Schwer vorstellbar, daß es einen Dr. Cajus gibt, der die Rolle noch genauer auf den Punkt singt und spielt, als Jürgen SACHER dies tut. Der Ausdruck Edel-Spießer umschreibt seine Interpretation vielleicht am besten. Stephan RÜGAMER ist eine luxuriöse Besetzung für den Bardolpho, schönstimmig und sehr präsent, während Jan MARTINIK als Pistola dieses Niveau nicht ganz halten konnte und unauffällig blieb.

Am Pult der STAATSKAPELLE BERLIN stand Zubin METHA., der einen munteren „Falstaff“ dirigierte und alles gut zusammenhielt; ein kleiner Wackler im zweiten Bild wurde schnell wieder eingefangen. Es gab hier bei der Lesart keine überragend neuen Erkenntnisse zum Stück, aber die Sänger wurden geradezu auf Händen getragen, sie konnten sich vollständig entfalten. Der STAATSOPERNCHOR erledigte seine Aufgabe tadellos. MK