Historische Stoffe und Geheimnistuerei waren im 19. Jahrhundert in italienischen und französischen Opern sehr beliebt. Meistens kennt das Geheimnis nur einer der Beteiligten und gibt sein Wissen erst ganz am Ende preis. Es handelt sich entweder um eine vertrackte Familienangelegenheit, wie in „Simon Boccanegra“, „Trovatore“ oder „La Juive“, oder um Leichtgläubigkeit oder Verrat, z. B. in „Otello“, in Rossinis „Zelmira“ und eben „I due Foscari“. In Verdis selten gespieltem Frühwerk wird aber das Geheimnis nie geklärt. Der Besucher verläßt das Theater, ohne zu wissen, weshalb der arme Jacopo Foscari eigentlich in die Verbannung nach Kreta geschickt wurde – nur weil er einen Brief an den Herzog von Mailand geschickt hatte?
Ein bißchen wenig. Ein Meister dieser Geheimnistuerei war Francesco Maria Piave, Verdis Hauslibrettist Verdis mittleren Schaffensperiode. Er hat immerhin zehn Libretti für den Meister geschrieben, u. a. das für „Forza del destino“ (eine Referenz in Sachen Verwirrung!), aber auch für Pacini, Ricci oder Mercadante gearbeitet. Der zentrale dramatische Punkt der Oper findet sich bereits im Anfangschor „Giustizia incorruttibile non fia qui mai negletta!“, diese gleiche Gerechtigkeit für Patrizier und Volk, an der die drei Protagonisten zerbrechen. Dieses Prinzip wird deshalb mehrmals wieder erwähnt und entsprach sehr Verdis republikanischem Geist.
Musikalisch hält sich die 1844 in Rom uraufgeführte Oper in den klassischen Formen der italienischen Zeitgenossen. Die Orchestrierung ist nicht sehr dicht und die Verwendung der Harfen in lyrischen Passagen läßt oft an Bellini denken, ebenso wie die Arien, Cavatinen und Cabaletten. Ungewöhnlich sind einige synkopierte Stellen. Sehr typische Stretten mit feurigen Trompeteneinsätzen weisen bereits auf spätere Werke Verdis hin. Das prächtige Terzett im 2. Akt zwischen den drei Hauptpersonen endet in einer Stretta.
Die ABAO (Asociación Bilbaina de Amigos de la Opera) brachte „I due Foscari“ im Rahmen der mehrjährigen „Tutto Verdi“ Serie, in der heuer bereits „Trovatore“ gezeigt wurde, und im Frühjahr „Alzira“ folgen wird. Die allgemein gelungene Produktion wurde aus Triest importiert. Die Inszenierung des Italo-Amerikaners Joseph Franconi LEE besitzt Format und war der Handlung gerecht, und selbst die Einspringer waren gut geführt. Die Bühnenbilder von William ORLANDI erwiesen sich für eine „Reiseinszenierung“ passend und praktisch. Verschiebbare Holz-Wände erlaubten rasche Szenenwechsel, die prächtige Projektion der Lagune mit San Giorgio Maggiore im Hintergrund war optisch gelungen. Das Verlies, in dem Jacopo schmachtet, war diskret mit sechs Lanzen angedeutet. Die Kostüme Orlandis hielten sich in klassischen Formen und Farben: das Consiglio dei Dieci trat in roten Roben und der Doge Francesco Foscari in einem schönen weißen Kostüm auf. Lucrezia trug ein prächtiges stahlblaues wallendes Kleid. Dazu kam die gute Beleuchtung von Franco MARRI.
Infolge der Absage von zwei der drei Hauptdarsteller war die Produktion vom Pech verfolgt – Mariana Mescheriakova sagte bereits vor Wochen ab und Leo Nucci krankheitsbedingt sehr knapp. Woher findet man nun in dieser kurzen Zeit einen Bariton für den Francesco Foscari? Marco di FELICE lernte die Rolle des Dogen in drei Tagen und überraschte selbst den Dirigenten. Der junge Bariton hat natürlich noch nicht die stimmliche Ausdruckskraft seines berühmten Kollegen Nucci, die Stimme wirkte am besten im Forte, klang in gedämpfterer Lautstärke nicht besonders und wirkte bisweilen etwas rauh, was aber für den greisen Dogen nicht störte. Die Rolle ist für einen Verdi-Bariton recht tief gesetzt. Di Felices Spiel war außergewöhnlich ausdrucksvoll, besonders wenn Loredano ihm den Rücktritt abzwingt. Sehr beeindruckend!
Dem Jacopo Foscari lieh Francisco CASANOVA seinen Tenor. Zu Beginn der Vorstellung war er hörbar nicht in bester Form und hatte Schwierigkeiten in den Höhen. Er sang sich aber bald frei und seine Arie „Non maledirmi, o prode, se son del Doge il figlio“ gelang mit großem Ausdruck und guter Phrasierung. Trotz seines angenehmen Spinto-Tenors (heute ein Mangelberuf) hat Casanova aber ein Handicap, nämlich seine Leibesfülle, die ihm die Beweglichkeit raubt und damit die Glaubhaftigkeit der gesanglichen Leistung. Schade!
Die zweite Einspringerin, Latonia MOORE, als Jacopos Gattin Lucrezia Contarini, war die Sensation des Abends. Die sehr attraktive achtundzwanzigjährige Afro-Amerikanerin, in Wien schon zu hören gewesen und in dieser Saison in London als Liù, besitzt nämlich eine sehr gut geführte, tragende Bombenstimme, welche sie mit einem vulkanischen Temperament verbindet. Als sie im 1. Akt beim Dogen eindrang, da war etwas los! Namen merken, eine kommende Größe!
Maurizio MURARO als Jacopo Loredano war rollendeckend der „Böse“ wie Paolo in „Boccanegra“(die einzige Baß-Rolle der Oper!), ebenso wie Itziar FERNANDEZ de UNDA als Pisana, Lucrezias Vertraute, Andeka AZURMENDI als Barbarigo und Giorgi Meladze YERULIN als Fante.
Das BILBAO ORKESTRA SINFONIKOA spielte die unbekannte Partitur hervorragend. Am Pult war aber ein Kenner ersten Ranges, Renato PALUMBO, am Werk, von der Rasse der italienischen Operndirigenten in der Tradition von Serafin, Gavazzeni oder Giulini, die genau wissen, wann und wo ein rubato hin gehört und wo nicht, und die fühlen, wie man Sänger leitet. Er zelebrierte die Partitur mit hörbarer Liebe und ungewöhnlichem Einsatz und hielt Orchester und Bühne bestens zusammen. Hervorragend! Die zahlreichen Chorstellen wurden von Chormeister Boris DUJIN mit dem OPERNCHOR BILBAO bestens einstudiert. Ein kleines Gondoliere-Ballett zu Beginn des 3. Akts war von Marta FERRI charmant gestaltet worden.
Die Künstler wurden von Teilen des Publikums sehr gefeiert, während andere der Garderobe zu strömten. Jedenfalls eine schöne und interessante Begegnung mit einem wenig bekannten Werk Verdis, das bessere Behandlung verdient, d. h. durchaus spielbar ist (in dieser Saison an der Scala). wig.