„Tosca“ – 15. Oktober 2005

„Macht es für den Betrachter einen Unterschied, ob Tosca im Jahr 1800 in Rom oder 1973 in Chile spielt?“ – So fragt das Programmheft des Augsburger Theaters, und offensichtlich hat man die Frage mit ja beantwortet und gleichzeitig entschieden, daß dieser Unterschied zugunsten von Chile ausfällt.

Der Regisseur Philipp KOCHHEIM, der aufgrund seines Alter selbst keine Erinnerung an die Ermordung Allendes und die Schreckensherrschaft Pinochets haben dürfte, transferiert also die Oper nach Chile, was bei Puccini auf einige Schwierigkeiten stößt. Diese beginnen massiv im ersten Akt. Denn statt in einer Kirche spielt der in einer Wohnanlage, in der der Fotograf Cavaradossi Nachbar der Marcesa Attavanti ist, die dort statt einer Kapelle ein Appartement besitzt. Der Meßner wird kurzerhand zum Hausmeister und am Ende des Aktes von Spoletta erschossen, die Chorkinder zu Bier trinkenden Straßenkindern und beim „Te Deum“ steht Scarpia vor Krankenschwestern, Soldaten und Geistlichen, die sich mit Prostituierten vergnügen. Der Effekt von Scarpias erotischer Passion im Kontrast zur kirchlichen Umgebung, verschenkt.

Einfacher tut sich die Regie dann natürlich im zweiten Akt. Folter und Despotenherrschaft haben hier in beiden Fällen ähnliche Ausprägungen. Daß Tosca allerdings eine Wahrheitsdroge gespritzt wird, deren Wirkung sofort nach ihrem Verrat vollständig verfliegt, macht schon toxikologisch keinen Sinn. In konsequenter Anlehnung an die Foltermethoden Pinochets wird Cavaradossi geblendet, um ihm das zu nehmen was dem Fotografen/Maler das wichtigste ist. Wenn dann Tosca den Diktator erwürgt, nun ja, da ist man fast wieder mit der Geschichte versöhnt.

Der dritte Akt spielt dann im Nationalstadion von Santiago de Chile, welches wohl als Gefängnis und Folterkammer diente. Cavaradossi ist mitnichten der einzige Häftling, und wir werden Zeuge, wie sich zwei Soldaten an einem weiblichen Häftling vergehen. So war es wohl in Chile, aber ist das wirklich das Thema der Puccini-Oper? Kann man Menschen heute nur noch mit bildhafter Drastik erreichen? – Um es kurz zu machen, die Scheinhinrichtung wird vom erzbösen Spoletta verhindert, der Mario aus dem Hinterhalt erschießt, und danach auch Tosca stellt, die aber dem Elektrozaun der Erschießung den Vorzug gibt. Ein letzter Schritt der Verweigerung.

Halten wir fest, daß mal wieder ein Regisseur eine gar nicht schlechte Idee hatte, nur daß leider die Oper seiner Wahl nicht dazu paßte. Wie sehr er die Geschichte verbiegen mußte, um zusammen zu bringen, was nicht richtig zusammen gehört, wurde auch deutlich, indem die deutschen Übertitel nur den Text zeigten, der auch ins Regiekonzept paßte. Ebenso wurde die Synopse der Oper im Programmheft gleich mit den Regieveränderungen erzählt. Wer seinen Puccini kennt, dürfte verblüfft gewesen sein. Man kann also nur lakonisch festhalten: falls ein Komponist vorhat, eine Oper über die Schrecken der Pinochet-Herrschaft zu schreiben, so hat sich hier bereits ein Regisseur für die Uraufführung empfohlen.

Aber zurück zur „Tosca“ und zur anfänglichen Fragestellung. Ja, es macht einen Unterschied, wann und wo die „Tosca“ spielt, und es nützt weder dem Stück noch dem Zuschauer, wenn so massiv manipuliert wird. Statt einer größeren Nähe wird eine Entfremdung zu den Figuren erzeugt.

Die Sänger sind dann die Leidtragenden. Sally DU RANDTs Tosca wirkt wie eine naive Tochter aus reichem Hause, die bisher nur zwischen Liebhaber, Bühne und Shopping zu entscheiden hatte. Zurab ZURABISHVILI gestaltet den Cavaradossi; trotz etwas zu kleiner Stimme singt er die Partie schön aus, kann aber seine Hilflosigkeit nicht unterdrücken, allemal wenn er blind über die Bühne stolpert.

Spoletta (Gerhard WERLITZ) hat wohl selten in einer Inszenierung soviel Raum bekommen, was in krassem Widerspruch zu seiner sängerischen Rolle steht. Gegen ihn ist Scarpia (Riccardo LOMBARDI) fast schon ein Edelmann.

Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER AUGBURG unter der Leitung von Rudolf PIEHLMAYER bleibt seinem Puccini treu und klingt allzeit auf der Höhe der Zeit.

Fazit: ein starker zweiter Akt rechtfertigt kaum die Zerschlagung der gesamten Oper. KS