In Augsburg beginnt man mit dem Ende, das Britten uns erspart hat. In einem bläulich schimmernden Raum sehen wir, wie Peter langsam und qualvoll ertrinkt, sein kleines Boot immer tiefer sinkt, bis es auf dem Meeresgrund liegen bleibt. Und erst jetzt setzt die Musik ein, wechselt die Farbe von blau zu weiß, wird das Boot vorn an den Bühnenrand geschoben, wo es für den Rest des Abends liegen bleibt. Als Peters Heimat und Zuflucht, sein Exil und sein Ghetto. Alles was folgt, ist seine Erinnerung, die Rückschau auf das, was diesem Ende vorausging.
Wo diese Geschichte spielt, ist dem Regisseur Thomas WÜNSCH nicht so wichtig. Der Bühnenraum ist weiß, ein ebenfalls weißes Wrack liegt herum. Das Dorf existiert nur als auf dem Kopf hängende Silhouette im Hintergrund (Bühne und Kostüme: Heiko MÖNNICH). Aussagekräftig ist dann allemal die Kleidung der Dorfbewohner in dunklen Farben und in puritanisch rigidem Schnitt. Hier hat (vermeidlich) die Kirche das Sagen, hier schert keiner aus. Die Bewohner sehen sich alle ähnlich, sind fast nur als Masse wahrnehmbar. Und diese Masse steuert Wünsch sehr effektvoll, mal als hektisches Gewusel, mal als bedrohliche Wand, fast wie ein Schwarm der im Stück viel beschworenen Heringe. Ein einzelner wie Peter hat da keine Chance, ist auf sich allein gestellt schon verloren, von der Gerichtsszene gleich zu Beginn, wo Peter formal ja noch vom Tod seines Lehrlings entlastet wird, über die Weigerung, ihm beim Anlanden zu helfen, oder seinen neuen Lehrling zu holen bis zum Haß, als auch dieser verschwindet und stirbt. Die schwarze Mauer kennt kein Erbarmen.
Dabei ist die Stärke dieser Inszenierung gerade die feine Zeichnung der einzelnen Personen. Allen voran natürlich die Lehrerin Ellen Orford (Sally DU RANDT), die immer bei Peter bleibt, mal zweifelt, kurz vor ihm zurückweicht, aber letztlich doch zu ihm hält, bis zu ihrem verzweifelten „No“ als Balstrode Peter in den Selbstmord schickt. Oder eben Balstrode, stimmlich ausdrucksvoll aber eher zurückhaltend gespielt von Riccardo LOMBARDI, der schlecht wegkommt; er verläßt die Bühne als sei mit Peters Tod für ihn die Sache erledigt.
Wunderbar die Auntie von Vuokko KEKÄLÄINEN. Stimmlich von großer Präsenz ist sie vielschichtig gezeichnet, wenn sie Ellen als Ausgestoßener beisteht, aber doch klar macht, daß das keine Freundschaft bedeutet. So auch der Ned Keene von Manuel WIENCKE, der, stimmlich sehr prägnant, die Fäden im Hintergrund zieht. Oder die opiumabhängige Mrs. Sedley von Kathrin KOCH, die hier nicht zur Karikatur verkommt, sondern zwischendurch fast Mitleid erregt, wenn sie von Krämpfen geschüttelt wird, da ihr das Laudanum ausgegangen ist. Oder der hilflose Pastor Adams von Zurab ZURABISHVILI, der sich ob seiner eigenen Schwäche ins Kindische zurückzieht, damit er keine Verantwortung übernehmen muß. All dies sind kleine feine Portraits, die den harmlos gefährlichen Hintergrund für Peters Untergang bilden.
Peter selbst (John UHLENHOPP) ist zunächst phlegmatisch, verfällt dann aber zusehends dem Wahn, so daß schon sehr bald deutlich ist, dass es keine Rettung geben kann. Wenn er dann seinen Lehrjungen wie ein Stück Stoff hin und her zerrt und durch den Raum schleudert, kann man kaum noch Mitleid mit ihm haben, was der Figur leider nicht gut tut. Erst als der Junge tot ist, kommt Grimes zu sich und läßt ihm die Fürsorge angedeihen, zu der er vorher nicht fähig war.
Rudolf PIEHLMAYER und das PHILHARMONISCHE ORCHESTER AUGSBURG begleiten diese Augsburger Erstaufführung sehr umsichtig und zeigen auch gerade in den Zwischenspielen ihre Qualität.
So war dieser Abend mal wieder ein Beweis für die Zeitlosigkeit von Brittens Oper, für die Abgründe im Menschen, für die Vielschichtigkeit menschlicher Beziehungen und dafür, daß das Leben nicht so schwarz weiß ist, wie Bühne und Kostüme es andeuten. KS