Alexander Tsymbalyuk – Ein Porträt

Die Saison 2001 hatte gerade begonnen, in „Eugen Onegin“ lief das vierte Bild, ein neues Mitglied des Opernstudios sang die wenigen Noten des Hauptmanns und erregte mit dieser kleinen Rolle bereits Aufmerksamkeit ob der mächtigen Baßstimme und einer außergewöhnlich großen Bühnenpräsenz. In den folgenden Spielzeiten konnte man Alexander Tsymbalyuk in zahlreichen Rollen in Hamburg erleben wie z.B. Sparafucile, Colline, Biterolf, Masetto, Onkel Bonze, Ssurin („Pique Dame“), Zuniga, Angelotti, Ferrando, Ludovico, Graf Horn, Grenvil und Titurel. Auffallend war immer, daß auch in kleineren Partien plötzlich ein durchdachtes Rollenporträt die Figur aufwerten kann getreu dem alten Satz: „Es gibt keine kleinen Rollen…“

Zwischen den Proben für die Neuinszenierung von „Billy Budd“, in welcher er gleich drei Partien singt, bot sich die Möglichkeit zu einem Interview mit dem jungen Baß aus Odessa.

Nach seinen Anfängen bei der Musik befragt, erzählt der Sänger, daß er mit vier Jahren mit dem Klavierspielen angefangen habe. „Meine Mutter hat gemerkt, daß meine Finger beweglich waren. Ich war immer, wenn im Fernsehen oder im Radio Musik zu hören war, ganz still. Das hat mich berührt. Sieben Jahre, bis ich elf war, habe ich Klavier studiert. Danach habe ich zwei Jahre pausiert. Während der ganzen Zeit hatte ich keine Gedanken an Gesang. Zwar habe ich wie alle solfeggio studiert und in einem kleinen Chor gesungen, aber ich fühlte mich nicht fähig zum Gesang. Mit vierzehn habe ich dann in der Küche immer mit den Fingern auf dem Tisch getrommelt. Meine Mutter sagte dann, ich solle aufhören. Sie meinte, ich solle es entweder professionell oder gar nicht machen. Ich habe dann in der Musikschule Schlagzeug studiert und das in der Musikhochschule vier Jahre lang fortgeführt. Auch Dirigieren habe ich gelernt. Danach mußte ich mich entscheiden zwischen dem Konservatorium und der Armee. Ich wollte nicht zur Armee, das erschien mir als Zeitverschwendung.“

Als Pianist konnte er das Konservatorium jedoch nicht besuchen, da in jenem Jahr viele pianistische Wunderkinder in das angeschlossene Internat aufgenommen wurden, Schlagzeug wollte er auch nicht weitermachen. „Das war mir zu langweilig. Nur Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus“. Als ein Bekannter ihn gleichzeitig improvisieren und singen hörte und ihn fragte, warum er nicht Gesang machen wolle, wehrte er zunächst ab. Er ging dann aber doch in den Chor, „weil mir ein Mädchen dort gefiel“. Nach einigen Monaten sang er am Konservatorium vor. „Ich habe keine Ahnung gehabt, wie das mit dem Atmen geht, und es waren viele Sänger da, die bereits jahrelang Gesang studiert hatten.“ Er rechnete sich wenig Chancen aus, zog eine kleine Show mit Xylophon und Gesang ab, und wurde genommen. Tsymbalyuk versprach, in drei Jahren einen Preis zu gewinnen. Bereits ein Jahr später, 1996, gewann er den Preis im Wettbewerb „New Names of the Ukraine“ in Kiew.

Neben diesem Preis gewann Tsymbalyuk zahlreiche weitere Preise, unter anderem den Dvorák-Preis in Karlovy Vary, den Alchevsky-Preis in Kharkov, den Internationalen „Music-Academy-Prize“ in Holland und im Jahre 2006 den Jelena-Obraszowa-Wettbewerb in Moskau. Zuletzt errang er im Mai 2007 den ersten Preis im 13. Zandonai-Wettbewerb in Riva del Garda und im Sommer 2007 im 13. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb sowohl den ersten Preis als auch die Goldmedaille; dieser Wettbewerb findet nur alle vier Jahre statt, es kämpfen Teilnehmer aus dreizehn Ländern um die Preise. „Es ist sehr gut, am Anfang an Wettbewerben teilzunehmen, das stimuliert. Man lernt dadurch, daß man nicht allein ist, und daß man nichts besonderes ist.“

Nach drei Jahren im Konservatorium debütierte der Sänger 1998 als Gremin, die zweite Partie war dann der Raimondo in „Lucia“.

2001 suchte das Opernstudio in Hamburg nach einem Baß. Paata Burchuladze, der bei der gleichen Lehrerin … Iwanowa wie Alexander Tsymbayuk studiert hatte, empfahl ihn. Per e-mail wurde Verbindung aufgenommen, er wurde zum Vorsingen eingeladen, wo er unter anderem Mephistopheles und Banquo vorsang. Gleichzeitig hätte er auch nach St. Petersburg gehen können, doch Hamburg erschien ihm reizvoller.

Seit 2003 gehört der Baß fest zum Ensemble der Hamburgischen Staatsoper. Für die ganz großen Partien fühlte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit. „Jetzt langsam kommt die Zeit für die größeren Sachen, im April kommt Gremin, für die nächste Spielzeit sollen es Basilio, was sicherlich viel Spaß macht, und Fafner werden.“ Er ist Hamburg dankbar und wird der Staatsoper auch weiter erhalten bleiben. „Das Haus und ich sind Freunde, es ist ein bißchen wie eine Mutter für mich.“ Er hofft, in der Zukunft ein wenig gastieren zu können, um in kleinen Häusern große Partie ausprobieren zu können. Eine Rolle sitze erst im Kopf und im Herz, wenn man sie auf der Bühne singen könne.

Wenn Tsymbalyuk eine neue Partie lernt, sieht er sich zunächst die Noten an, hört sich an, wie andere Sänger es singen und informiert sich über das Umfeld der Rolle. Man müsse eine gewisse Basis haben, auf der man aufbauen könne, beispielsweise historisches Wissen. Zur Zeit beschäftige er sich damit, sein Spiel zu intensivieren. Er habe Stanislawski und Michail Tschechow gelesen, welcher ihn sehr inspiriere. „Zunächst ist die Frage, auf welche Seite gehört die Figur, auf die weiße oder die schwarze Seite. Welche Ziele, welche Gedanken hat die Person? Ich versuche jetzt mehr, auch durch das Spiel den Kontakt zum Publikum herzustellen. Früher ging das hauptsächlich über den Gesang, jetzt versuche ich beides mehr zu verbinden. Sonst kann man einfach das Radio einschalten. In der Vergangenheit habe ich oft schauspielerisch übertrieben. Ich wollte seriös sein, kam aber eher komisch herüber.“ Er habe nun gelernt, daß man mit weniger Mitteln mehr erreichen könne. Störend sei allerdings, wenn Regisseure verlangen, daß man, auch wenn man nichts zu tun habe, permanent auf der Bühne bleiben müsse, damit die Bühne gefüllt sei.

Auf das Thema Lampenfieber angesprochen, demonstriert er zunächst mimisch und gestisch Panik und die Sucht, im Scheinwerferlicht zu stehen, und schüttelt dann den Kopf. „Ich leide nicht unter dem ersten und nicht unter dem zweiten. Manchmal, wenn die Scheinwerfer zu stark leuchten, kann ich das Publikum nicht sehen. Das ist störend, denn nur für mich selbst zu singen, da fühle ich mich wie ausgeschaltet.“ Wichtig sei es auf jeden Fall, kein „Buh“ zu bekommen, dies habe schon manche Sänger auch menschlich ruiniert, weil es so schwierig sei, das wegzustecken. Er meint, daß die Zeit auf der Bühne schneller laufe als dies wirklich der Fall sei, weil man aufgeregt sei; auch hiermit müsse man lernen umzugehen, indem man sich bremse.

Es gäbe Rollen, die Alexander Tsymbalyuk gerne singen würde, „aber die gehören leider zum Tenor.“ Er liebt dramatische Partien, Sparafucile gefällt ihm. Er sei, wie er selbst, ein Ausländer, dazu ein guter Bruder für Maddalena, trotz seines düsteren Geschäfts sei er ein Geschäftsmann, er wolle nicht nur einfach ein Bandit sein. Er sei nicht nur einfach ein angsteinflößender Mann. Mit Boris und Philipp will sich der Sänger noch etwa zehn Jahre Zeit lassen. „Dafür muß man mehr erlebt haben. Man muß mindestens dreimal verliebt gewesen sein, Verluste erlitten haben. Da muß man dann auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können, dann geht das automatisch.“

Unnötigerweise entschuldigt sich Tsymbalyuk für sein Deutsch, was im übrigen sehr gut ist, da er seine Freizeit hauptsächlich mit russischsprachigen oder aus anderen slawischen Ländern stammenden Freunde verbrächte. Er wolle sein Deutsch jedoch weiter verbessern, da er auch im deutschen Repertoire mehr singen möchte.

„Die beste Schule ist auf der Bühne mit großen Sängern zusammenzusein. Da braucht man keinen Meisterkurs mehr mit einem Professor. Wenn man sieht, wie große Sänger funktionieren, wie die bestimmte Sachen machen, das bringt unendlich viel. Erklärt zu bekommen, wie man etwas singt, ist nicht das Gleiche, als wenn man es erleben kann, gerade bei den Details.“ Er bewundert Nicolai Ghiaurov, und von der Begegnung mit Placido Domingo im vergangenen Februar schwärmt er geradezu, zumal Domingo ihn zum Vorsingen nach Valencia einlud. Zehn Minuten vor dem Auftritt habe Domingo in Hamburg gefragt: „Sascha, hast du Noten?“ Tsymbalyuk verneinte. Dann müsse er zum Vorsingen nach Valencia kommen. „Ich war total schockiert. Zehn Minuten vor dem Auftritt, normalerweise ist ein Tenor da überhaupt nicht ansprechbar. Der Mann ist eine große Ausnahme, ein unglaublicher Künstler.“

Tsymbalyuk findet, daß man sich als Sänger sein Leben nicht zu normal, zu bequem einrichten solle. „Man muß sich ein bißchen zurückziehen von der Gemütlichkeit, denn sonst fehlt auf der Bühne das Adrenalin, die Spannung.“ Trotzdem genießt er sein Leben. Er malt seit seiner Jugend, was er sieben Jahre lang neben der Musikhochschule gelernt hat. Sogar zu einer kleinen Ausstellung habe er es schon gebracht.

Wir drücken fest die Daumen, daß wir auch in der Zukunft hochinteressante Rollenporträts von Alexander Tsymbalyuk erleben können, hoffentlich bald auch in größeren Rollen. MK