Den Ton dribbeln – Interview mit Alexey Bogdanchikov

Was geschieht mit diesen talentierten, jungen Sängern, die man ein-, vielleicht zweimal während der Ausstrahlung von Gesangswettbewerben sieht? Meistens entdeckt man Videos auf YouTube oder eine Kritik in einem Opernmagazin, und manchmal erscheint ihr Name im Jahresprogramm des heimischen Opernhauses.

Alexey Bogdanchikov, u.a. Teilnehmer der Wettbewerbe BBC Cardiff Singer of the World und Neue Stimmen im Jahr 2013, ist seit Beginn der aktuellen Saison Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper. Ein Glücksfall für das Haus, denn nach Posa in der französischen Version von Verdis „Don Carlos“ und Frank/Fritz in „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, begeisterte er das Publikum besonders mit seiner leidenschaftlichen, dicht an Puschkin gehaltenen Darstellung von Jewgeni Onegin im April 2016.

Anfang Juni nahm er sich Zeit für unsere Fragen. Es wurde ein ausgesprochen interessantes Gespräch, das auch viel vom Menschen hinter dem Sänger offenbarte.

Zum Beispiel, wenn er über seine kleinen Töchter spricht oder über die Walisisch-Lektionen erzählt, die er vom Fahrer in Cardiff erhielt (und die Sätze, die er zitiert, klingen sehr echt) oder auch wenn er von dem Zufall berichtet, daß er sowohl an der Deutschen Oper Berlin als auch in Hamburg im „Don Carlos“ debütiert hat. „Mein Debüt in Deutschland war an der Deutschen Oper Berlin als Erster Flandrischer Deputierter. Es gibt sechs von ihnen. Ich war der erste… was allerdings keine Rolle spielt. Sie singen alle das gleiche“, lacht er. „und hier in Hamburg, habe ich ebenfalls im Don Carlos debütiert, allerdings als Posa.“ Zwischen beiden Auftritten lagen nur vier Jahre.

Wie hat das alles begonnen? In seinem Fall war seine Mutter anfangs die treibende Kraft. „Ich wurde in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan geboren. Als ich acht Jahre alt war, brachte mich meine Mutter in ein Opernstudio. Das war das Opern- und Ballettstudio des Opernhauses von Taschkent. Dort habe ich begonnen, Musik zu studieren. Zuerst war es der Kinderchor, da in vielen Opern wie z.B. Pique Dame, Carmen, viele von ihnen, Kinderchöre enthalten sind. So, trat ich also in diesen Opern auf und es gefiel mir sehr gut. Eines Abends entschied ich dann, daß ich in der Zukunft Opernsänger sein könnte.“

Es gab aber auch andere Zukunftspläne, z.B. ein Arzt zu werden. „Ich wollte meine eigene Klinik betreiben, aber ich änderte meine Meinung vollständig.“ Als Teenager wollte er außerdem ein Profifußballer werden. Er spielte sogar in der zweiten Fußballliga von Usbekistan, doch mit 16 Jahren entschied er sich dafür, seine Fußballkarriere für eine musikalische Laufbahn aufzugeben.

Alexey Bogdanchikovs Debüt war Wolfram in Wagners „Tannhäuser“ im Teatro Comunale di Bologna. Wie kam es dazu? Er wurde beim Armel Opernfestival entdeckt. „In 2010 habe ich an einem Wettbewerb teilgenommen. Es war ein wichtiger Wettbewerb in Ungarn, in Szeged. Das ist ein sehr besonderer Wettbewerb. Man präsentiert nicht sein eigenes Programm, sondern die Jury gibt dir eine Rolle. Es gab fünf Opern in verschiedenen Opernhäusern. Ich war bei einer davon dabei, einer modernen Oper von Marco Tuttino: The Servant. Es war auf englisch mit einer sehr modernen Musiksprache.“ Mit der Titelrolle namens Barrett wurde der Bariton einer der Preisträger des 2010er Wettbewerbs. Die Produktion wurde in Plzen im Rahmen des Armel Opernfestivals aufgeführt, und er wiederholte die Rolle am Teatro Rossini in Lugo im Jahr 2011.

Durch diesen Erfolg taten sich neue Möglichkeiten auf. Neben den „Tannhäuser“-Aufführungen in Bologna, der junge Sänger wurde zu einem Vorsingen an die Deutsche Oper Berlin eingeladen. „Sie mochten mich sehr. Es gibt dieses Stipendium dort, aber normalerweise nehmen sie nur vier Opernsänger in jeder Spielzeit. Sie schufen einen extra Platz für mich, damit ich das Programm teilnehmen konnte.“ Nach dem Jahr als Franz-Josef-Weisweiler-Stipendiat kehrte er nach Rußland zurück, um seine Ausbildung am Staatlichen Moskauer P.-I.-Tschaikowski-Konservatorium zu beenden.

Nach den generellen Auswirkungen von Gesangswettbewerben befragt, sagt er: „Ich denke, niemand weiß, was passieren kann. Es ist natürlich eine großartige Erfahrung. So bin ich z.B, sehr froh, daß ich in Cardiff war. Auch wenn ich nicht gewonnen habe, gehörte ich 2013 doch zu den zwanzig besten Sängern der Welt. Das war sehr wichtig für mich und eine sehr gute Erfahrung, denn man muß die Stücke vorbereiten, man hat Konzerte. Man sammelt Erfahrungen in der Arbeit mit anderen Musikern, neuen Dirigenten und neuen Pianisten.“ Seine Teilnahme am Wettbewerb Neue Stimmen im gleichen Jahr brachte ihm Opernengagements in Ancona und Rom. „Man kann dort, insbesondere bei wichtigen Wettbewerben wie Neue Stimmen, Operalia or in Cardiff, einen guten Agenten oder einen Künstlerischen Direktor treffen.“

Bei einem dieser Wettbewerbe begegnete er Constanze Könemann, die aktuell Operndirektorin in Hamburg ist. Sie lud ihn zu einem Vorsingen ein, das direkt zu seinem jetzigen Engagement an der hiesigen Staatsoper führte.

Eine Sache, die aufmerksame Zuschauer bei jeder seiner Vorstellungen beobachten können, ist die sorgfältige Ausarbeitung jeder Facette des Charakters der Rolle. Uns fiel dies besonders während „La Traviata“ auf. Hat der Bariton tatsächlich eine eigene Geschichte für Baron Douphol entwickelt? „In Rußland haben wir eine große Tradition des dramatischen Theaters; Stanislawski zum Beispiel, Michail Tschechow. Mir wurde beigebracht, auf der Bühne zu leben. Wenn man Rollen wir Onegin oder Rodrigo singt, gibt es eine große Geschichte, eine Vorgeschichte und etwas in der Zukunft. Singt man eine Rolle wie Douphol, kann man nicht vom Text her sagen, was er ist, und man muß etwas über diese Rolle erfinden. Ich versuche mein Bestes in jeder Rolle, selbst wenn es Douphol ist.“

Die Bandbreite der Rollen, die er in Hamburg gesungen hat und hier noch singen wird, ist groß. Während der Saison 2016/17 wird er u.a Fürst Jeletzki in „Pique Dame“, den Grafen Almaviva in „Le nozze di Figaro“ sowie Sharpless in „Madame Butterfly“ singen, aber es ist Enrico in „Lucia di Lammermoor“, worauf er sich am meisten freut. „Jede Rolle in der nächsten Spielzeit ist für mich interessant. Doch Enrico wird meine erste Erfahrung mit diesem Stück sein. Ich habe schon die Arie und das Duett mit Lucia gesungen, aber noch nie die komplette Rolle. Ich denke, das wird eine großartige Erfahrung sein.“

Außerdem bereitet er gerade Valentin aus Gonouds „Faust“ vor. Das Konzept dieser Produktion an der Neuen Oper Moskau wird auf Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ basieren.

Was soll die Zukunft bringen? Gibt es Wünsche in bezug auf Rollen? „Ich mag Oper generell und bin glücklich jede Rolle in meinem Repertoire zu singen. Momentan denke ich über Il Trovatore und Simone Boccanegra nach, aber das wird erst später sein. Vielleicht in zehn Jahren.“

Um ein paar Schlußworte gebeten, ist Alexey Bogdanchikov voll des Lobes für Hamburg und sein Opernhaus. „Ich bin sehr glücklich, hier zu sein und so großartige Kollegen zu haben. Die Atmosphäre am Opernhaus ist sehr gesund. Unser neuer Intendant George Delnon und die Operndirektorin Constanze Könemann sind sehr nett. Ich denke, das ist für alle sehr wichtig. Tatsächlich mag ich die Leute in Hamburg sehr. Sie sind sehr kenntnisreich, besonders das Publikum, und ich bin sehr froh für die Menschen hier zu singen.

Was sollte man dem hinzufügen?
AHS (Juli 2016)