Glanzvoller kann ein Abschied nicht sein. Vier junge internationale Gesangssolisten brillieren
In den nicht enden wollenden Jubel des Publikums mit Bravorufen und stehenden Ovationen für Dirigent, Sänger und Orchestermusiker mischte sich auch Wehmut des Abschieds. Dem Konzerthaus „Mühlehof“ und dem repräsentativen Gottlob-Frick-Saal steht nach dieser Veranstaltung der Abriß bevor. Deshalb sollte der Beifallsturm auch ein Appell an die Verantwortlichen der Stadt sein, der Kultur wieder eine würdige Heimat und der Region einen kulturellen Mittelpunkt zu geben.
Die Verpflichtung von Alois SEIDLMEIER, 1. Opernkapellmeister am Nationaltheater Mannheim, der für den erkrankten langjährigen Leiter des HEILBRONNER SINFORNIE ORCHESTERs Professor Braschkat das Konzert kurzfristig übernahm, war ein Glücksgriff. Prägnant und elegant in der Zeichengebung ergab sich bereits in der einleitenden Ouvertüre zu Mozarts „Schauspieldirektor“ ein nahezu perfektes Zusammenspiel mit dem Orchester. Filigran, transparenter Mozartklang konnte auf Anhieb verwirklicht werden. Tonschön, schwelgerisch mit einem wunderschön gespielten Cello-Solo durch den Solocellisten Martin BÄRENZ wurde die „Don Pasquale“- Ouvertüre musiziert. Schmissig, feurig erklangen die „Navarraise“ aus Massenets „Le Cid“ und die bekannte Polonaise aus Tschaikowskis „Eugen Onegin“. Vor allem ist Seidlmeier ein sensibler Sängerdirigent, der seine Solisten durch gefühlvoll abgestufte Akzentuierung von Lautstärke, Tempo und Dynamik nie zudeckt.
Musikalisch so geführt und getragen konnten die jungen Sänger mit hoher Sicherheit agieren. Das zeigte sich bereits, als der gerade einmal zwanzigjährige Baß Michael NAGL mit voluminöser Stimme, erstaunlich reifer Gestaltung und überzeugender Komik in der Arie des Figaro „Non piú andrai“ seinem Rivalen Cherubino die Schrecken des Soldatenlebens schildert. Erste Bravos! Der ausgezeichnete Eindruck bestätigte sich, als er als Leporello mit perfektem Legato und Parlando, wortgewandt die Liebesabenteuer seines Herrn Don Giovanni schildert. Die Szene wurde zum Schauspiel durch die gewandte Präsentation eines Leporellos, indem die 2000 Opfer verzeichnet waren. Und es gab sogar noch eine Steigerung mit dem unverwüstlichen Reißer „5000 Taler“ aus Lortzings „Wildschütz“. Hier zeigte der junge Bassist vollends, was in ihm steckt. Stimmlich souverän mit großen Tönen schilderte er wortverständlich in mitreißender Gestaltung die Zweifel des schrulligen Schulmeisters Baculus, um am Ende mit einem „ich werd ein hochberühmter Mann“ sieghaft zu triumphieren. Die zahlreichen großen Bässe, die im Publikum waren, nickten zustimmend. Warum sollte dies bei einem solchen Talent nicht möglich sein?
Mit tenoralem Schmelz, reizvollem Timbre und vollendeter Belcantokultur brillierte der jungenhaft, drahtige rumänische Tenor Remus ALAZAROAE. Schwelgerisch mit höchster emotionaler Intensität berührt er mit der Romanze des Nemorino „Una furtiva lagrima“. Strahlend bewältigt er mit seiner klaren, höhensicheren Stimme die Bravourarie „Ah! Parais! Parais“ aus Massenets „Le Cid“ . Die Herzen schmelzen vollends, als er mit Temperament und Verve den Schlager „La Donna è mobile“ aus „Rigoletto“ grandios serviert. Das Publikum ist so begeistert, dass nach dem perfekt gesetzten hohen Schlusston sofort der Jubelsturm einsetzt. Chapeau!
Auch die Damen erfüllen die hochgespannten Erwartungen: Zunächst die zauberhafte Mezzosopranistin Anna
HYBINER. Mit technisch gut geführter Stimme sang sie noch etwas zaghaft die Canzone des Cherubino „Voi che sapete“ aus „Figaros Hochzeit“. Beflügelt vom wohlwollenden Beifall des Publikums wurde sie bei jedem Auftritt selbstbewußter und freier. Mit dunkel gefärbter, in allen Lagen gut ansprechender Stimme, deutlicher Artikulation und jetzt vorhandener Wandlungsfähigkeit überzeugt die junge Sängerin in der unsterblichen Habanera aus Bizets „Carmen.“ Welch charmant temperamentvolles „Teufelchen“ in ihr steckt, bewies sie in der Szene des Orlofsky aus der „Fledermaus“ von Johann Strauß.
Die litauische Sopranistin Aiste MIKNYTE singt zu den gedämpften Klängen des Orchesters das märchenhaft schöne „Lied an den Mond“ aus Dvoraks „Rusalka“. Mit großem, glockenklaren Sopran, reiner Intonation und technisch ausgefeilten Lyrismen gelingt es ihr, die innere Zerrissenheit der unglücklichen Nixe glaubhaft darzustellen. Musikdramatischer Höhepunkt des Abends ist die Briefszene der Tatjana aus „Eugen Onegin“. Eine der schwierigsten Aufgaben für eine Sopranistin. Mitreißend durchlebt Miknyte die ganze Gefühlswelt von verzehrender Liebe, Leidenschaft und resignierender Verzweiflung mit eminenter stimmlicher und darstellerischer Intensität. Eine große Leistung, die zu Recht umjubelt und mit Bravos belohnt wird.
Im Finale vereinen sich die Stimmen von Anna Hybiner und Aiste Miknyte im harmonischen Zauber der „Barcarolle“ aus „Hoffmanns Erzählungen“ dem wundervoll stimmungsvollen Schlusspunkt eines überaus gelungenen Konzertes.
Die Veranstalter krönten den Abend noch mit einer fabelhaften Geste: Sie verliehen den jungen Sängern als Dank für ihre Leistungen und als Motivation für den Fortgang der Karriere die Gottlob-Frick-Medaille. Als dann noch der Weltklassebassist Matti Salminen die Bühne betrat, sich zu den jungen Sängern stellte und seinen blutjungen Baßkollegen Michael Nagl sogar tätschelte war dies ein Augenblick mit höchst anrührender Symbolik und die Begegnung der Generationen war auf sichtbarste Weise gelungen.
Ingo Kardos