Es war der Fringe der 23 Weltklasse-Shows, wenn ich aber einen Tipp abgeben sollte, welche eine Chance hat, wie vor einigen Jahren „Six“ es auf größere Bühnen zu schaffen, würde ich mein Geld auf „Irrepressable“ setzen.
Gillian Lacey-Solymar hat ein cleveres, witziges und gesellschaftskritisches geschrieben, was die Macht von Boulevardpresse heute und in der Vergangenheit am Beispiel Emma Hamiltons, gemeinheim nur als Geliebte Lord Nelsons bekannt, bedeutet. Die Musik von Carrie Penn und Toby Huelin geht ins Ohr, 21 Songs, von denen keiner platt ist oder zu gefällig oder zu kalkuliert wirkt.
Das Stück erzählt, wie die zynischen und mindestens am Rande eines Alkoholproblems stehende Boulevardreporterin Beth beim Versuch, einen verheirateten Politiker beim Treffen mit seiner Affäre „abzuschießen“, in der National Portrait Gallery landet, wo das Porträt von Emma Hamilton zum Leben erwacht und Beth ihre wahre Geschichte erzählt, damit diese die überfällige Biographie über sie schreiben, die ihr gerecht wird. Es beginnt mit Emmas Weg nach London, wo sie Muse eines Quacksalbers, Prostituierte, Malermodell, gefeierte Prominente und Mätresse reicher Männer wird, und geht weiter bis zu ihrer Ehe mit Sir William Hamilton mit der skandalösen menage à trois mit Kriegsheld Nelson bis zu ihrem bitteren Ende, was gerade im Zusammenspiel mit Beth einige Tränen im Publikum fließen ließ.
Shauna BAIRD und Kevin MCKENDRICK (Regie) haben mit einfachsten Mitteln eine ganze Welt auf die Bühne gestellt, was von den Kostümen von Victoria CONSTANTINO noch unterstützt wird.
Die Darsteller sind großartig, singen und spielen auf höchstem Niveau. Caitlyn CALFAS hat die Ausstrahlung für eine so berühmte Schönheit, verläßt sich aber nicht darauf. Sie singt und spielt ergreifend eine Frau, die eigentlich keine Chance hatte, diese aber soweit möglich nutzte. Ihr Gegenpart Beth in bei Molly LYDON in ebenbürtig besten Händen. Auch wenn ihre Figur zu Beginn eigentlich einen ziemlich skrupellosen, miesen Charakter zeigt, schafft sie es doch, Sympathien zu wecken, so daß man ihr den Weg aus dem Gossenjournalismus heraus gönnt.
Alle weiteren Rollen werden exzellent und überaus wandlungsfähig von drei Personen verkörpert: Davide VALENTI ist unter anderem Nelson und Greville, der Mann, der durch die Trennung von Emma unfreiwillig dafür sorgt, daß sie sich nicht mehr abhängig machen will von Männern, Halle PENNER, z. B. als Bordellbetreiberin, die aus Emma eine Edelkurtisane macht, und Hari CHANDRESH, dessen komisch-verzweifelte Darstellung von Emmas gehörnten, aber gezwungenermaßen toleranten Ehemanns, in Erinnerung bleiben wird.
Das Stück ist gut zu konsumieren, ohne flach oder zu anspruchsvoll zu sein, um Publikum zu verschrecken.
Eine besondere Erwähnung verdient noch das vor der Vorstellung verteilte Programmheft in Form eines reißerischen Extrablatts, hoch professionell erstellt und mit viel Selbstironie gespickt. MK