Stephen LAWLESS hat mit „Turn of the Screw“ und vor allem dem „Owen Wingrave“ exemplarische Britten-Inszenierungen in Lübeck auf die Bühne gestellt. Seine „Nozze“-Inszenierung hätte etwas mehr Tempo und Schärfe vertragen, was besonders dann auffiel, wenn sie die einmal hatte. Wenn am Ende des dritten Akts ganz beiläufig eine Guillotine am Grafen vorbeigezogen wird, erinnert man sich daran, welchen sozialen Sprengstoff das Stück eigentlich hat.
So ist es zumeist solide und dicht am Libretto inszeniert mit einigen cleveren Einfällen (hier sei die Behandlung des Betts oder der Umstand, daß Basilio und Don Curzio die gleiche Person sind, genannt), aber manchmal eben auch etwas Leerlauf. Das Bühnenbild nutzt die Drehbühne klug, und die Kostüme (beides Adrian LINFORD) sind kleidsam, passend für die Zeit und sorgen dafür, daß niemand sich darin unwohl fühlen muß.
Jacob SCHARFMAN sang und spielte jede Nuance des Grafen aus, phrasierte außergewöhnlich gut und kam stimmlich an keine Grenzen. Hier gab es niemals Leerlauf, der Bariton war immer „da“ und sei es, daß er sich nur malerisch auf Möbelstücken herumlümmelte. Nach Wagner und Verdi bewies er auch die stilistische Kompetenz bei Mozart. Evmarfia METAXAKI benötigte ungefähr bis zur Mitte von „Porgi amor“, um die Figur zu formen und einen echten Charakter darzustellen. In dieser Gräfin war noch ganz viel „Barbiere“-Rosina zu finden. „Dove son?“ war ergreifend. Warum der Graf dieser Frau überdrüssig geworden ist, weiß auch nur er selbst.
Man kann sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, daß ein wenig des mangelnden Tempos der Inszenierung auch an Florian GÖTZ als Figaro liegen könnte. Während alle anderen Personen auf der Bühne sich unbedingt mit ihrer Rolle identifizieren zu scheinen, spontan wirkende kleine Phrasierungsschlenker einflechten, singt er seine Rolle herunter. Daß es sich bei ihm um den Dreh- und Angelpunkt des Stücks handeln soll, ist kaum erkennbar. Susanna war bei Andrea STADEL in guten Händen, auch wenn sie in dieser Nachmittagsvorstellung etwas Anlaufzeit benötigte. Spätestens ab dem zweiten Akt war sie aber alles, was ihrem Verlobten fehlte, quicklebendig, jederzeit präsent und dazu musikalisch absolut sicher.
Laila Salome FISCHER war darstellerisch ein sehr guter, überzeugender Cherubino, gesanglich mußte man feststellen, daß sie eigentlich über die Rolle hinaus ist. Dies fällt besonders am Ende der Arien auf, ansonsten ist sie ohne Fehl und Tadel. Noah SCHAUL singt sowohl Basilio als auch Don Curzio und macht Lust auf die größeren Aufgaben, die auf ihn in der nächsten Saison warten. Dazu spielt er zwerchfellerschütternd.
Marcellina war Virginia Felicitas FERENTSCHICK, die angemessen schrullig eine liebestolle ältere Frau spielte, ohne sie bloßzustellen. Runi BRATTABERG (Bartolo) konnte den positiven Eindruck seines Fiescos leider nicht wiederholen. Die Stimme brach immer wieder aus der Gesangslinie aus.
Höchsten Luxus bieten Steffen KUBACH als Antonio und Nataliya BOGDANOVA als Barbarina. Ein Theater, welches sich solche Besetzung in diesen Rollen aufbieten kann, ist zu beneiden.
Der Abend wurde geleitet von Jan-Michael KRÜGER, welcher das tadellose PHILHARMONISCHE ORCHESTER zu einem sehr flotten, dabei aber auch inzwischen fast ungewohnt süffigen Mozart anleitet. Daß Krüger auch noch die Leitung des gut disponierten CHORs inne hatte, soll nicht unerwähnt bleiben. MK