„Il trittico“ – 21. März 2023

Viel Aufregung gab es um die aktuelle Hamburger Puccini-Produktion. Die eigentliche Premiere mußte aufgrund eines Streiks verschoben werden. Danach berichtete man nicht nur in der Hamburger Presse und im regionalen Fernsehen, sondern bundesweit von Zwischenrufen und Missfallensäußerungen aus dem Publikum während der Ersatz-Premierenvorstellung.

Nach dem Besuch zweier Aufführungen fragt man sich schon, was das ganze Theater eigentlich sollte, gab es während der aktuellen Intendanz doch mehr als eine Produktion, die wenig spannend und wesentlich weniger durchdacht war, aber trotzdem pflichtschuldig beklatscht wurde.

Regisseur Axel RANISCH hat Puccinis „Trittico“ mit einer Rahmenhandlung um Chiara de Tanti, eine fiktive Schauspielerin versehen, die sich in den Stücken widerspielt und mit deren Zuspitzung sich auch die Intensität des jeweiligen „Trittico“-Teils steigert – vom „Gianni Schicchi“ als typische 90er Jahre-Sitcom über einen „Il Tabarro“, der ohne Seine-Kahn auskommt, aber die erdrückende Enge trotzdem fühlbar macht, bis hin zur „Suor Angelica“ als Probensituation eines Films, der für Rahmenhandlung und „Il trittco“ zum emotional aufwühlenden Schlußpunkt wird. Insofern macht auch die umgekehrte Reihenfolge der Opern Sinn.

Ja, die Videos (Falko HEROLD) als Stein des Anstoßes wirken auf den ersten Blick vielleicht zu lang und bei der Lautstärke hapert es manchmal, ABER sie sind qualitativ hochwertig und dramaturgisch gut produziert. Sie erzählen die Rahmenhandlung als stringente Geschichte, die sich – wie bereits gesagt – in jedem Opernteil des Abends wiederfindet.

Es ist schon beeindruckend, wen den Regisseur hier so alles aufgeboten hat. Da sind vor allem Ursina Lardi als die Schwester von Chiara, Claudia de Tanti und Katharina Hoffmann als Agentin Viola Wolf (unglaublich intensiv), Teresa Harder als Schauspielchoacherin Bettina Strawosla, Tim Oliver Schultz als Ben Bonta, Christos Acrivulis als Regisseur Giuliano Buccero, Heiko Pinkowski als Produzent Gunter Krachel, Heiner Hardt als Regisseur Johannes Held* sowie Devid Striesow, Tom Tykwer, Gustav Peter Wöhler, Gayle Tufts, Rosa von Praunheim sowie Guido Maria Kretschmer als sie selbst.

Puccini bleibt allerdings nicht einen Moment auf der Strecke, denn da sind immer noch „Gianni Schicchi“, „Il Tabarro“ und „Suor Angelica“. Der Zwischenruf „Wir wollen Puccini.“ in der vorhergehenden Vorstellung war daher schon etwas verwunderlich. Puccini war ausreichend zu sehen und zu hören. Definitiv.

Das als Teil des Bühnenbildes (ebenfalls Falko Herold) eingesetzte Filmequipment störte nicht, sondern fügte sich ganz natürlich in die Szenerie ein. Hinzu kommen Kleinigkeiten, die man teilweise erst beim mehrmaligen Sehen entdeckt – wie z.B. das Muli, das tatsächlich in allen drei Teilen auftaucht, oder die tatsächliche Präsenz der molini di Signa im „Schicchi“. Man muß auch erst einmal darauf kommen, daß es sich dabei um die hochpreisige Espresso-Maschine von Buoso Donati handelt. Auch der dramaturgische Bogen ist clever gespannt, wenn der erste und der letzte Filmauftritt von Chiara de Tanti im Nonnenkostüm erfolgen.

Die Kostüme von Alfred MAYERHOFER waren im „Schicchi“ passend zum Sitcom-Setting leicht schrill, ansonsten sehr angemessen und kleidsam.

Zu Beginn denkt man noch, daß die Inszenierung im „Schicchi“ gar nicht außergewöhnlich ist, doch dann entdeckt man immer mehr Kleinigkeiten und exzellente handwerkliche Arbeit. Man merkt nicht einmal, wie eigentlich das völlig auf den Kopf gestellte Zimmer nach der Testamentssuche wieder in Ordnung gebracht wurde, oder wie sich ständig irgendwer am Hausrat und Wertgegenständen bedient. Das Timing stimmt, jede Figur hat jederzeit etwas zu tun, ohne daß es zuviel wird. Die Personenregie ist auf den Punkt.

Oberhalb der Sitcom-Kulisse befindet sich die Schauspielergarderobe, wo vor Schicchis Auftritt sich erstmals de Tanti auf den reiferen Komödianten Silvio Bonta trifft. Es ist schon spannend, wie sich die beiden Figuren annähren, ohne daß ein einziges Wort fällt, und wie gut Roberto FRONTALI und Elena GUSEVA das spielen, obwohl sie ja ihrem normalen Ausdruckmittel beraubt sind.

In der Titelrolle ist Roberto Frontali ganz italienischer Komiker, immer knapp am Klischee vorbei und immer präzise sowohl musikalisch als auch darstellerisch.

Man weiß gar nicht, wo man bei Buoso Donatis Verwandschaft anfangen soll: Bei der Zita von Katja PIEWECK, die weit weg vom Stereotyp der “komischen Alten” war, sondern eine grande dame, die gelegentlich die Contenance verliert? Oder beim baßgewaltigen Simone von Tigran MARTIROSSIAN, der im – gewollt häßlichen – Designer-Jogginganzug über die Bühne tappert und dem man die molini di Signa fast gegönnt hatte? Dazu der wohlstimmige David Minseok KANG als ständig an der Flasche hängende Betto di Signa.

Die beiden Ehepaare sind mit Jürgen SACHER und Hellen KWON (Gherardo und Nella) in köstlich-prolligem Charme sowie Alexey BOGDANCHIKOV und Ida ALDRIAN (Marco und La Ciesca) gediegener, aber mit mörderischen Trieben, alle vier musikalisch und darstellerisch auf höchstem Niveau. Als Gherardino im Philip Amthor-Outfit war Mikus SCHREIBER (Alsterspatzen) zu erleben.

Leider ist das junge Paar nicht auf dieser Höhe. Narea SON singt als Lauretta lauter richtige Töne, aber daß die junge Dame eigentlich ein kleines manipulatives Biest ist, bleibt völlig auf der Strecke. Der Rinuccío von Oleksiy PALCHYKOV entbehrt jeglichen Schmelzes; während seiner Arie ist es deutlich spannender nachzuschauen, wie sich oben die Liebesbeziehung von Chiara de Tanti und Silvio Bonta entwickelt.

Maestro Spinelloccio (Han KIM) nutzt seinen kurzen Auftritt zur Profilierung. Ser Amantio di Nicolao (Mateusz ŁUGOWSKI) scheint sehr schnell den Braten zu riechen, spielt aber mit, als Pinellino und Guccio überzeugen Christian BODENBURG und Leo Yeun-Ku CHU.

„Il Tabarro”, in der Rahmenhandlung als großer filmischer Durchbruch von Chiara de Tanti und zugleich Wendepunkt in ihrer Beziehung zu Silvio Bonta gezeichnet, bestach mit der Kargheit im Bühnenbild, die der Regisseur aber raumfüllend mit Leben versah. Faszinierend war hier auch die Lichtregie (Michael BAUER), die immer düsterer werdende Stimmung durch spannende Effekte greifbar machte.

Elena Guseva hatte hier ihren ersten gesanglichen Auftritt. Der Sängerin gelang der Spagat zwischen der Figur der Rahmenhandlung und ihrer Opernfigur hierbei perfekt. Ihre Giorgetta hat hör- und sichtbar bereits mit der Beziehung zu Michele ebenso wie auch mit ihrem bisher geführten Leben abgeschlossen. In den Momenten mit La Frugola und später auch mit Luigi blüht sie dagegen auf. Die Fahlkeit im Klang und aufgesetzte Fröhlichkeit als Zeichen der Resignation verschwanden, machten einer Strahlkraft und stimmlichen Wärme Platz.

Ihr zur Seite stand mit Roberto Frontali ein Michele, der Giorgettas Gefühle wahrnimmt, aber mit ihrer Wandlung nach dem Tod des gemeinsamen Kindes nicht umgehen kann. Die dunkle Wärme seiner Stimme kam hier ausgesprochen gut zum Tragen und gab dem Schiffer eine zutiefst menschliche Seite, die erst allmählich verschwand je mehr sich die Eifersucht Bahn brach.

La Frugola und Il Talpa leben ihre Beziehung als vom Schicksal gegeben, klammern buchstäblich sich aneinander, weil das Leben nichts anderes als verglimmende Hoffnung für sie bereitzuhalten scheint. Katja Pieweck und Tigran Martirossian harmonisierten hierbei absolut wunderbar und zeigten nach dem gelungenen Auftritt im „Schicchi“ eine weitere Facette ihres vielfältigen Könnens. Ebenso anrührend brachte Jürgen Sacher Il Tincas Schicksal auf die Bühne. Ohne einen Augenblick aufgesetzt zu wirken, zeigte sich die ganze Tragik der Figur in ihrer stimmlichen Zeichnung ebenso überzeugend wie in Mimik und Gestik.

DIE Entdeckung des Abends war für uns sicherlich Najmiddin MAVLYANOV, der Brüche in Luigis Charakter ausgesprochen gekonnt deutlich machte. Die Stimme des usbekischen Tenors besitzt nicht nur eine beeindruckende Kraft und einen wirklich schönen Klang, sie wurde auch durchgehend sauber geführt. Statt sich auf seinem gesanglichen Können auszuruhen, zeigte der Sänger zudem eine facettenreiche Darstellung, die Lust auf seine Interpretation weiterer Partien macht.

Florian PANZIERI bot mit seinem Kurzauftritt als Venditore di Canzonette ein tenorales Kabinettstückchen. Narea Son und Oleksiy Palchykov ergänzten als Due Amanti.

Die Dramatik der Rahmenhandlung gipfelt im Selbstmord des Sohnes von Chiara de Tanti mit Silvio Bonta. Dies wird stark mit der Handlung von „Suor Angelica“ als letztem Film der Schauspielerin verknüpft und endet in der letzten Szene der Oper als endgültige Zusammenführung von Rahmenhandlung und „Trittico“.

Man kann die Angelica sicherlich süßstimmiger singen als Elena Guseva dies tut, aber das hätte im Rahmen des Konzeptes gar nicht gepaßt. Es ist schwer vorstellbar, daß eine andere Sängerin sich hier so intensiv mit der Doppelfigur Angelica/Chiara, bei der man nicht ganz sicher ist, wo welche Person beginnt und aufhört, identifizieren könnte.

In der Begegnung von Angelica mit La Zia Principessa ist dann der einzige Moment, wo nicht ganz klar ist, ob es sich noch um eine Probe für den zu drehenden Film handelt oder schon um eine Halluzination von Chiara handelt. Katja Pieweck muß sich nicht durch die Partie orgeln, um Autorität auszustrahlen, sondern legt sie relativ lyrisch an. Man glaubt ihr sogar, daß sie einzig den guten Ruf der Familie im Blick hat und nicht einfach nur böse ist.

La Badessa (Renate SPINGLER) hat auch in High Heels die Autorität, über das Kloster zu herrschen. Hellen Kwon (La Suora Zelatrice) gefiel im „Schicchi“ besser, während die jungen Sängerinnen, mit denen man die Nonnen besetzt hatte, eigentlich durchweg begeisterten. Es war ein Vergnügen Priscila OLEGÁRIO (La Maestra delle Novizie), Olivia BOEN (Suor Osmina), Kady EVANYSHYN (Suor Dolcina), Ida Aldrian (La Suora Infermiera), Soomin LEE (Cercatrice 1), Luminita ANDREI (Cercatrice 2), Lisa JACKSON (Una Noviza), Tahirah ZOSSOU (Conversa 1), Clara KUNZKE (Conversa 2), Ines KREBS (Suora 1), Susanne BOHL (Suora 2) zuzuhören und ihrer Entwicklung des jeweiligen Charakters in der etwas anderen Umgebung des Filmsets zu folgen. Hinzu kam Narea Son als Suor Genovieffa.

Der Abend endet mit dem Begräbnis von Chiara de Tanti. Eine Szene so perfekt in Puccinis Musik eingewoben, daß es schwer ist, sich den Schluß dieses „Trittico“ anders vorzustellen.

Der CHOR unter der Leitung von Eberhard FRIEDRICH leistet endlich wieder gute Arbeit, was auch für den KINDER- UND JUGENDCHOR der Hamburgischen Staatsoper (Leitung Luiz DE GODOY) gilt.

Das PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTER HAMBURG klang deutlich besser als bei den letzten Begegnungen. Auch die zahllosen Verspieler der zuletzt besuchten Vorstellungen waren nicht mehr vorhanden mit Ausnahme eines Kieksers in der banda. Die höchst kompetente musikalische Leitung oblag Giampaolo BISANTI, der den Abend inspiriert mit großer Übersicht und immer sängerfreundlich leitete. Das war hoffentlich nicht die letzte Begegnung mit diesem Dirigenten.

Wir gingen sehr skeptisch in die Produktion und verließen sie restlos überzeugt. AHS & MK

 

* Vielen Dank an Sven Godenrath für das vollständige Zusammentragen der Namen!