Vollkommen schifflos treibt die neue Bayreuther „Holländer“-Inszenierung dahin. Für eine der maritimsten Opern überhaupt schon eine Leistung. Irgendwie.
John LUNDGREN machte seine Sache gar nicht mal schlecht. Sein Holländer war sicherlich nicht die aufregendste Interpretation der Figur, mußte es hier aber auch nicht sein. Er war präsent wie er da saß und zuhörte und rauchte. Der Auftritt, vorwiegend im Sitzen gesungen, gelang und war trotz der Geschäftigkeit drumherum durchaus anrührend. Die Holprigkeit in der Begegnung mit Senta war ihm nicht anzulasten.
Zu Asmik GRIGORIAN paßt Senta als rebellischer Teenager. Die Jugendlichkeit kam ihr ob der Sorglosigkeit wie Leichtigkeit sowohl gesanglich als auch im Spiel sehr entgegen. Ob es ihr auch gelingt, die Partie auch in der üblichen stimmlichen wie darstellerischen Interpretation zu stemmen, wird die Zukunft zeigen.
Georg ZEPPENFELDs Daland erinnerte eher an den Chef des lokalen Einzelhandels in einem westdeutschen Nachkriegsfilm als an einen mit allen Wassern des Meeres gewaschenen Seefahrer. Für den hier konstruierten Auslöser der Geschichte fehlte es ihm an der für einen entsprechenden Spannungsbogen notwendigen Gefährlichkeit in der Stimme, wie man sie im Spiel hin und wieder aufblitzen sehen konnte.
So es tatsächlich tenorale Selbstironie war, die Eric CUTLER zu der entsprechenden großgestigen und ironisch-stimmigen Interpretation Eriks trieb, war es genial, sich der Figur so zu nähern. Die ins baritonale neigende Stimme steht der Partie auch gut zu Gesicht. Ihm gelang mit am besten, sich neben der pubertierenden Senta zu behaupten.
Zugebenermaßen war Marina PRUDENSKAYA als Mary der eigentliche Auslöser zum Einschalten des Fernsehers. Natürlich ist sie eine Luxusbesetzung der Partie. Bei ihrer Präsenz war es einfach die Figur zu einem der Dreh- und Angelpunkte der Produktion zu machen. Sie bot ein gutes Gegengewicht zu Senta und nutzte mit ihrer Stimme so voll mit dunklen, warmen Farben ihre Auftritte für eine ausgereifte Gesangsinterpretation.
Attilio GLASER hatte als Steuermann einen guten ersten Auftritt.
Die Chorproblematik der aktuellen Situation hatte man gut gelöst. Der FESTSPIELCHOR sang im Chorsaal und wurde auf die Bühne übertragen, während der Teil des Chors, der nicht sang, auf der Bühne agierte. In der Fernsehübertragung funktionierte dies recht gut. Der gute, homogene Klang war gerade auch ob der Leitung durch Eberhard FRIEDRICH nicht wirklich eine Überraschung.
Das Meer fand sich schlußendlich zumindest im Graben. Die musikalische Leitung durch Oksana LYNIV begann sehr ambitioniert. Das FESTSPIELORCHESTER ließ in der Ouvertüre die Wogen hören, die die Inszenierung verweigerte. Über den Abend relativierte sich der anfangs recht positive Eindruck ein wenig. Insgesamt blieb es aber solide und fehlerfrei.
Holländer ist in jenem Ort Furchtbares widerfahren, er kehrt zurück, um sich zu rächen ist jetzt nicht wirklich neu. Anfangs funktionierte das Konzept von Regisseur Dmitri TCHERNIAKOV auch irgendwie, obwohl es von Anfang an bei der Umsetzung hakte. So machten einen die verschenkten Chancen der Inszenierung auf die Musik während der Ouvertüre schier wahnsinnig. Hin und wieder paßte es, aber man gewann rasch den Eindruck, daß dies eher Zufall denn Absicht war.
Ging das Regiekonzept also im ersten Aufzug noch mehr oder weniger auf, fragte man sich bei Sentas Auftritt, wo eigentlich die besungene Schwärmerei des Mädchens war, und ab der Begegnung zwischen Senta und dem Holländer funktionierte es gar nicht mehr. Mehr noch, dieser wichtigen Szene wurden Emotionalität und Intensität genommen, zerstörte sie schlichtweg und führte damit den Rest des Stückes ad absurdum. Alles gipfelte darin, daß Mary wohl aufgrund einer Vorgeschichte mit dem Holländer diesen erschoß, und man sich fragte, weshalb sie eigentlich nicht Senta erschießt, eben um jenen Mann durch deren „Treue bis zum Tod“ zu erlösen.
Das Bühnenbild, gestaltet vom Regisseur selbst, erinnerte zumindest an die engen Gassen einer kleinen Küstenstadt. Kirkwall oder ein norwegisches Pendant? Vielleicht war er ja mal dort. Das Lichtkonzept von Gleb FILSHTINSKY ging in der Fernsehausstrahlung naturgemäß eher unter, zumal die Bildregie der Übertragung detailverliebt das eigentliche Bühnengeschehen teilweise zu wenig berücksichtigte. Die Kostüme (Elena ZAYTSEVA) waren durch die Bank weg eher häßlich und klischeebehaftet.
Trug die Produktion dem Ruf der Institution Bayreuth als Wagner-Hochburg Rechnung? Eher nicht. Wie bei so manch anderer Bayreuther Produktion in den letzten Jahren hat man das an anderen Theatern ambitionierter gehört und gesehen, bekam man woanders mehr bzw. überhaupt Denkanstöße zur eigenen Sichtweise auf das Stück. Anderssein um des Anderssein wollen, Regietheater in seinen vielen Klischees funktioniert einfach nicht und rutscht hier in Betulichkeit. Aufregend ist anders. Schade drum. AHS