Die neue Saison begann für uns im Norden aus Besetzungs- und Produktionsgründen diesmal recht spät – und tatsächlich mit einem erneuten „Nabucco“-Versuch in Hamburg.
Wir hatten hier primär auf Liudmyla MONASTYRSKA gesetzt, und wurden nicht enttäuscht. Bühnenbeherrschend, stimmgewaltig und temperamentvoll sang und spielte die ukrainische Sängerin eine Abigaille wie aus dem Bilderbuch, fügte sich aber dennoch erfreulich unprätentiös und mit großer Spielfreude ins Ensemble ein.
Tigran MARTIROSSIAN war ebenfalls ein Gewinn gegenüber der Premierenserie. Er mag nicht die größte Röhre haben, doch sein Zaccaria besitzt die Ambivalenz, die die Rolle gerade hier benötigt, und dies sieht man nicht nur im Spiel, man hört es vor allem auch in der Stimme.
Als Fenena brillierte diesmal Nadezhda KARYAZINA. Ihr gelang es, neben der Naturgewalt Abigaille zu bestehen und ein gutes Gegengewicht zu bilden. Ihre Vielseitigkeit und ihr weites stimmliches Spektrum bewährten sich ein weiteres Mal. Mit dieser Partnerin an seiner Seite gelang Dovlet NURGELDIYEV ein Ismaele noch ungestümer und energischer als im Frühjahr. Zuhören mag man seiner farbenreichen, ausgewogenen Stimme immer und immer wieder. Spannend wird, wohin die Reise mit seinem Potential nun geht. (Und was könnte man hier am Haus doch an interessanten Opern machen, wenn man mehr Mut hätte…)
Martin SUMMER ist eine wirklich gute Ergänzung für das Hamburger Ensemble. Optisch erinnerte sein Oberpriester des Baal ein wenig an Juan Pons, seine warmklingende, gut geschulte Stimme paßte gut dazu. Hiroshi AMAKO gab einen agilen und stimmschönen Abdallo, der nicht für eine Sekunde in den Ensembles unterging. Na’ama SHULMAN wiederholte ihre exzellente Leistung aus der Premierenserie als innig klingende Anna.
Von Dimitri PLATANIAS weiß man spätestens seit dem Abend, an dem die „Macbeth“-Kulisse den Dienst verweigerte, daß er am besten ist, wenn er sich nicht auf eine komplexe Produktion konzentrieren muß, und vielleicht liegt auch genau hier das Problem dieses Nabucco. Es war ordentlich, aber nicht weltbewegend gesungen. Man vermißte die Gefährlichkeit und auch das Temperament der Figur.
Der CHOR (Leitung: Eberhard FRIEDRICH) lieferte eine solide Leistung ab. Der PROJEKTCHOR Nabucco könnte bei seinem Auftritt durchaus selbstbewußter auftreten. Die Damen und Herren werden nämlich immer besser, und das darf man gern auch hören.
Als Intermedien zwischen den Szenen hörte man wieder Abed HARSONY (Gesang/Oud ) und Hana ALKOURBAH (Gesang). Vielleicht könnte man hier einmal einen ganzen Abend, z.B. in der opera stabile, zum konzentrierteren Zuhören bekommen.
Schwierig dagegen zu sagen, was an diesem Abend im Graben los war. War die musikalische Begleitung unter Paolo CARIGNANI noch DAS Plus der Premierenserie, klangen das ORCHESTER und insbesondere die Bläser an diesem Abend erschreckend unausgeglichen. Wenn die Banda hinter der Bühne der beste Klangkörper des Abends ist, stimmt etwas nicht (okay, sie waren wirklich gut, aber trotzdem…).
Die Produktion gewann durch die Neubesetzung mehrerer Rollen und dadurch, daß man von den oberen Logenplätzen die Videos nicht sehen konnte, also nicht abgelenkt war. Es gibt kleine Momente, die gefallen, z.B. wenn Nabucco von seiner Waffe singt und zu seinem Handy greift, oder wenn für unterschiedliche Schauplätze („Büros“) einfach nur die Flaggen ausgetauscht werden. Schlußendlich scheitert die Inszenierung aber daran, daß das Anliegen allein schon zu groß gemessen am Vermögen, es umzusetzen, ist. Für Verdi bleibt da kaum Platz.
Doch die PR-Maschinerie läuft, das Haus ist voll, und das Publikum applaudiert enthusiastisch – diese Ironie amüsiert mich eigentlich am meisten. AHS