Es ist unglaublich viel über die Situation von Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Kirill SEREBRENNIKOV geschrieben worden, gerade auch über die Bedingungen, unter denen er aufgrund seines Hausarrests inszeniert. Worüber nicht sonderlich viel geschrieben wurde, ist die Frage, ob es eigentlich eine gute Inszenierung ist. Noch weniger wurde über die musikalische Seite geschrieben.
Leider ist es keine gute Inszenierung. Mit Wohlwollen könnte man sagen, es ist eine durchschnittliche Inszenierung im italienischen Fach, was in Anbetracht der meisten letzten Inszenierungen keine sehr hohe Latte auflegt. Serebrennikov möchte uns ein Flüchtlingsdrama erzählen. Das gibt das Stück grundsätzlich her. Nur erzählt der Regisseur es aus einer Perspektive, die das Stück eben nicht hergibt. Der erste Teil spielt im Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrats. Zur Ouvertüre wird der Saal für die Sitzung vorbereitet. Dabei muß man die sehr schlechte Organisation betrachten. Die Techniker prüfen die Elektronik, Sicherheitskräfte durchsuchen den Saal, woraufhin dann das Reinigungspersonal kommt. Daß das so nicht funktionieren kann, ist eher eine Randerscheinung, zieht sich jedoch durch den ganzen Abend. Da weist die Musik auf existentielle Not hin, alles sitzt ruhig auf seinem Platz. Nabucco entweiht den Ort. Wie genau er das tut, bleibt das Geheimnis des Regisseurs, denn es passiert nichts. Ich hätte zumindest erwartet, daß er die Füße auf den Tisch legt oder sich ansonsten danebenbenimmt. Der in dieser Inszenierung als flüchtlingsfreundlicher Politiker dargestellte Zaccaria singt Textzeilen wie „morte allo stranier!“ Dafür laufen permanent Breaking news im Hintergrund. Interessieren die Bildunterschriften? Nicht wirklich. Die vorherige Warnung von einem visuellen Overkill war nicht notwendig.
Grundsätzlich fällt auf, daß wenig Personenregie stattfindet, die Figuren leben nicht wirklich, keine ihrer Handlungen ist nachvollziehbar. Man empfindet nicht wirklich irgendetwas für sie. Die Logiklöcher könnte der gesamte Gefangenenchor problemlos durchschreiten. So fahren im dritten Teil metallene Servierwagen durch einen nicht auslösenden Metalldetektor, Nabucco wird durch Abdallo und dessen Mannen befreit, verläßt aber den Raum nicht und auch der Chor tritt von irgendwo auf, um dann irgendwie wieder abzutreten. Den Höhepunkt der Unlogik hat die Inszenierung dann im letzten Teil, wenn plötzlich Zaccaria und Anna die Pause offenbar für die Absolvierung ihres Medizinstudiums genutzt haben; sie haben sich von UN-Delegierten in Ärzte verwandelt. Abigaille sitzt bereits zu Beginn der Szene gebrochen am Krankenbett von Nabucco. Was hat sie so verändert, denn zuvor war ihr dessen Herzinfarkt noch ganz gelegen gewesen? Auch die Breaking News erzählen uns dies nicht. Ihre Selbsttötung erscheint vollkommen unmotiviert.
Der Musikfluß wird zudem unterbrochen durch die beiden syrischstämmigen Musiker ABED HARSONY (Gesang und Oud) und Hana ALKOURBAH (Gesang). Die beiden sind großartig, aber musikalisch paßt es nicht wirklich, und nach dem vierten Oud-Einschub zu Bildern von Krieg und Flucht macht sich Unruhe im Publikum breit, welche die beiden einfach nicht verdient haben, dem der Regisseur sie jedoch aussetzt. Der aus Geflüchteten bestehende PROJEKTCHOR NABUCCO, welcher den Gefangenenchor wiederholt, macht seine Sache gar nicht so schlecht, es wäre jedoch zu wünschen, daß die Oper ihr Engagement in dieser Richtung fortsetzt und die engagierten Sänger danach nicht im Nichts dastehen läßt.
Musikalisch war es ein durchwachsener Abend.
Abigaille gilt als fast unsingbare Rolle. Oksana DYKA versuchte es zumindest, aber es waren etliche Schärfen und gefährdete Töne zu hören, eben auch in den lyrischen Momenten. Sie konnte auch in keinem Moment vermittelt, was diese Frau eigentlich antreibt, mir konnte sie weder Machthunger, noch Boshaftigkeit oder in der letzten Szene Reue vermitteln.
Dimitri PLATANIAS in der Titelrolle konnte auch nicht wirklich überzeugen. Er hatte alle Töne, aber „Dio di guida“ war sehr spannungslos gesungen und vermochte weder den „Lagerwechsel“ der Figur deutlich machen, noch gar irgendeine Sympathie wecken. Die anschließende Cabaletta zündete gar nicht. Es gelang ihm auch nicht, beim ersten Auftritt bei der UN irgendwie herauszustechen. Er war nur ein weiterer Delegierter, der halt zu spät zur Sitzung kommt. Irgendeine Gefahr strahlte er nicht aus.
Alexander VINOGRADOV hatte als Zaccaria keinen sonderlich guten Abend, man hat diesen Sänger schon deutlich besser gehört. Die Stimme sprang in der Tiefe nicht richtig an, sie strömte nicht richtig. Zudem war ihm von der Regie her auch nicht die Spur von Charakterisierung und eben auch nicht die manipulative Seite, die die Figur hat, gegönnt. Sein babylonischer Gegenpart Alin ANCA als Oberpriester des Baal blieb unauffällig.
Wenn die besten Sängerleistungen in einem „Nabucco“ von Ismaele, Fenena, Anna und Abdallo kommen, ist das problematisch. Dovlet NURGELDIYEV singt einen wunderschön timbrierten, absolut sicheren und klug phrasierenden Ismaele. Er ist übrigens der einzige, der eine lebendige Figur auf die Bühne stellt mit der hingebungsvollen Darstellung eines bebrillten Weicheis mit Aktentasche. Géraldine CHAUVET ist eine auffallend schönstimmige Fenena, die in ihrem Gebet zu ergreifen weiß, und deren Mezzo man gerne noch einmal in einer ergiebigeren Rolle wiederbegegnen möchte. Als Anna und Abdallo lassen Na’ama SHULMAN und Sungho KIM aufhorchen.
Der CHOR DER HAMBURGISCHEN STAATSOPER machte seine Sache ordentlich, aber nicht großartig (Leitung Eberhard FRIEDRICH). Dies ist der erste „Nabucco“ meines Lebens, in welchem der Chor nicht mit Bravos bedacht wurde. Das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER spielte ohne Fehler und durchaus animiert, was auch an Paolo CARIGNANI liegen könnte, der vielleicht manchmal ein wenig zu langsam, aber mit viel Brio am Werk war, und dem man anhören konnte, daß ihm das Stück am Herzen liegt. Daß der Abend teilweise langweilte, lag jedenfalls nicht an ihm.
MK