In Lübeck haben wir das erste Mal den Jazz in der Operette gehört und begriffen, daß auch das Musik vom Anfang des 20. Jahrhunderts ist, wenn sie nur vom Staub der Aufführungspraxis der fünfziger Jahre befreit. Dank Lübeck müssen wir beim Gedanken an Künnekes „Vetter aus Dingsda“ immer lachen, erinnern uns aber auch gut, wie einem am Ende der „Csárdásfürstin“ das Lachen verging.
Die gute Nachricht ist, Operette in Lübeck hat immer noch den Jazz, und die ironische Art, in der Adrian PAVLOV die Ouvertüre spielen, lädt zum Schmunzeln ein. Revoluzzertum im Dreivierteltakt, das PHILHARMONISCHE ORCHESTER kann auch das – und wie.
Michael WALLNER hat dazu eine spritzige Inszenierung voller Witz und Geschwindigkeit geschaffen, die das Verwirrspiel um Liebe und Ehe, um Emanzipation und Rollenbilder gut erzählt, ohne daß der Spaß dabei auf der Strecke bleibt. Die Bühnenbilder von Heinz HAUSER sind so bunt wie einfallsreich. Der Swimmingpool als eine der Hauptspielflächen im Hause de Faublas ist einfach der Hammer. Tanja LIEBERMANN und Yvonne FORSTER sind zu all dem wahrlich passende Kostüme eingefallen.
Als Marquis Aristide de Faublas war Philippe HALL zu erleben. Die Stimme ist nicht aufregend, dies wird aber gut überspielt durch große Beweglichkeit im Spiel und Tanz. Vielleicht gibt er an der einen oder anderen Stelle dem Affen zuviel Zucker, aber generell ist er eine rollendeckende Besetzung. Madeleine, seine Frau, in der Verkörperung von Emma McNAIRY ist eine Operettendiva in der besten Bedeutung des Wortes. Sie singt großartig, ohne jede Schwierigkeiten, tanzt grandios und spielt jede Nuance einer zunächst glücklichen, dann betrogenen, schließlich selbst betrügenden Ehefrau aus. In manchen Momenten scheint sie einer Hollywood-Screwball-Comedy entsprungen zu sein, selbstbewußt, emanzipiert, schlagfertig und sexy.
Dieses Stück hat nicht nur den Jazz in der Musik, sondern auch eine Jazzkomponistin als Figur. Sara WORTMANN gab Daisy Darlington glaubhaft Flair und Übermut der zwanziger Jahre. Man zweifelte keine Sekunde, daß sie sich in jedes sich bietende Abenteuer stürzt. Sei es die geheime Karriere als Jazzkomponist oder ein Liebesabenteuer mit Attaché bei der türkischen Botschaft.
Als Mustapha Bei wird Steffen KUBACH endlich einmal wieder von der Leine gelassen. Er kann so wieder seine komödiantischen Entertainerqualitäten voll ausspielen. Daß er dabei zudem prachtvoll singt, kommt hinzu. Interessant ist, wie der Regisseur und er es schaffen, daß die Figur immer wieder hart am Klischee vorbeischrammt, aber es dann doch nicht ganz erreicht. Mustapha Bei mag viel von der Familientradition sprechen, in Wahrheit ist er längst so in der westeuropäischen High Society assimiliert, daß er sich eher selbst in Erinnerung ruft, wo er ursprünglich herkommt.
Wioletta HEBROWSKA wirkte als Tangolita ungewohnt gehemmt. Etwas mehr von dem Übermut und der Gelöstheit, wie sie sie zum Vorhang zeigte, während des Abends, und die Bühne würde allein ihr gehören.
Jörn KOLPE ist ein zwei sehr unterschiedlichen Rollen zu hören, einmal als sehr extrovertierter Moderator, zuvor und danach jedoch als Celestin Formant, Rechtsanwalt. Wie er diesen armen, verschüchterten und fürchterlichen gehemmten Paragraphenreiter spielt, ist zwerchfellerschütternd.
Rudolf KATZER übernahm als Kammerdiener Archibald und Savoy-Ober Pomerol die Rolle des Faktotums. Tomasz MYSLIWIEC, immer wieder gern in kleineren Solopartien eingesetzt, gab beim eigentlichen Ball mit viel Witz den Barkeeper.
Der CHOR, in den Rollen der Strandgesellschaft in Nizza und der Ballgesellschaft im Savoy (wie zuletzt eigentlich immer auf höchstem Niveau geleitet Jan-Michael Krüger) übertrifft sich an Spielfreude selbst, wobei die Regie ihm hier zahllose Möglichkeiten gibt.
Operette in Lübeck ist auch, wenn der Chor besser tanzt als die Leute, die dafür eigentlich engagiert sind. Die Tanzcompany aus Michaela DAUM, Marlou DÜSTER, Elisa PAPE, Judith URBAN, Fabian BROERMANN und Sergio GIANNOTTI fügte sich aber durchaus gut in die recht kurzweiligen Choreographien von Andrea Danae KINGSTON ein. MK + AHS