Donizettis „Liebestrank“ funktioniert eigentlich in der Regel, indem man fünf spielfreudige Sänger in ein malerisches Bühnenbild stellt, und sie machen läßt. DeNederlandse Opera ist unter der Regie von Guy JOOSTEN hier einen anderen Weg gegangen. Das Bühnenbild (Johannes LEIACKER) ist eher nicht malerisch, sondern stellt statt dessen eine Showbühne dar, auf der offenbar gerade eine am Strand spielende Revue geprobt wird, in deren Verlauf die Geschichte passiert. Dazu passen die teilweise sehr grellen Kostüme von Jorge JARA.
Da wird Nemorinos Unterkunft durch eine heruntergekommene Badewanne symbolisiert, während Adina ein luxuriöses Schaumbad ihr Eigen nennt, ein alter pinkfarbener Ami-Schlitten parkt im Sand (selbst eine Füllung mit Elisir mag ihn nicht wirklich in Gang zu setzten, dafür funktioniert jedoch die Alarmanlage), Dulcamara, als etwas abgewrackter Entertainer, hat seinen Auftritt auf einer glitzernden Showtreppe inklusive einem halben Dutzend entsprechender -girls (und zwei -boys), und die Feier zur bevorstehenden Hochzeit von Adina und Belcore endet als wüstes Gelage. Das ganze strotzt nur so von Einfällen; nur für den meist im Hintergrund oder an der Seite herumstehenden Chor sind dem Regisseur offenbar die Ideen ausgegangen. Die meisten Einfälle machen nicht allzuviel Sinn, amüsieren jedoch immerhin ungemein – zumindest beim ersten Sehen. Ich vermute, daß bei einer wiederholten Begegnung sie sich abnutzen würden, und es dann an Tiefe fehlt.
Musikalisch war der Abend auf jeden Fall ein Gewinn. Daniele CALLEGARI leitete das NEDERLANDSE KAMERORKEST mit Verve, Sinn für Nuancen und zeigt, was in dem Stück eigentlich steckt, wenn es von einem ersten Dirigenten geleitet wird. Zudem wurde er gelegentlich auch ins Geschehen mit einbezogen. Der KOOR VAN DE NEDERLANDSE OPERA (Leitung Martin WRIGHT) konnte gesanglich ebenfalls überzeugen, szenisch war er ja nicht allzusehr gefordert.
Ich bin nicht sicher, ob ich Dmitry KORCHAK als Tonio hören muß, den er laut Programmheft im Repertoire hat, da seine Spitzentöne an diesem Abend nicht hundertprozentig ungefährdet klangen, als Nemorino ist er jedoch eine erstklassige Besetzung. Er phrasiert sehr gut, mit langem Atem, schönem Timbre und spontanen Einfällen. Von diesem jungen Sänger dürfte noch einiges zu erwarten sein, denn für Belcanto-Rollen scheint er prädestiniert.
Valentina FARCAS war eine sehr attraktive Adina (der ältere Herr neben mir bekam sich über ihre langen Beine gar nicht wieder ein), spielfreudig und wissend, wie man phrasiert. Die Stimme an sich ist nicht außergewöhnlich, aber gut geführt und höhensicher. Wenn es ihr noch gelänge, dem etwas kühlen Timbre etwas mehr Wärme zu geben, wäre sie auch für Rollen außerhalb des reinen Koloraturfachs ein Gewinn.
Es dürfte nicht allzu viele Sänger geben, die zwischen den schweren Fach-Partien von Wagner, Puccini und Verdi ihr Debüt als Dulcamara geben. Zu Beginn der Auftrittsarie hörte man Lucio GALLOs Stimme an, daß Donizetti nicht mehr so leicht geht wie vor anderthalb Jahrzehnten, doch dann konnte man sich daran erfreuen, wie ein Sänger im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte sich dieser Rolle annimmt. Er hatte hör- und sichtbar Spaß an der ungewöhnlichen Zeichnung des leicht frustrierten Entertainers im Paillettenanzug mit Tolle und zuviel Schmiere im Haar. Eigentlich schade, daß es im schwereren Repertoire so wenig komische Rollen gibt.
Der Belcore Tommi HAKALA war von der Regie als prolliger US-Soldat gezeichnet (inklusive „I want you“-T-Shirt, was er während seiner Arie enthüllte), ließ jedoch einen ganz und gar nicht prolligen lyrischen Bariton hören, der ohne Fehl und Tadel durch die Koloraturen kam, und in einem anderen Aufzug wäre er wahrscheinlich durchaus ein ernsthafter Konkurrent für Nemorino gewesen.
Gianetta wurde als eine Art Regieassistentin der Revue gezeichnet. Renate ARENDS war daher dauerhaft auf der Bühne, korrigierte hier, bekam dort eine Krise. Stimmlich wirkte sie speziell in den oberen Lagen ein wenig spitz. MK
P.S.: Der Trailer für die Produktion ist hier zu bewundern: Eine Marketing-Idee, über die andere Häuser zumindest nachdenken könnten in Zeiten, in denen über ein überalterndes Publikum und schwindende Besucherzahlen geklagt wird…