„Der Zwerg“/„Eine florentinische Trägödie“ – 24. April 2014

Sicherlich gibt es irgendwo kluge Aufsätze darüber, weshalb die Opernliteratur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts selbst heutzutage aufführungstechnisch so stiefmütterlich behandelt wird. Streckenweise ist es natürlich nicht das, was man im Englischen „easy listening“ nennt, aber gerade zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ist teilweise so wundervolle Musik entstanden, die dringend einer höheren Aufführungsrate bedürfte.

Alexander Zemlinskys Opern gehören hier unbedingt dazu. Gut, es ist keine Musik für Strauss-Phobiker – und doch sind Zemlinskys Klänge in ihrem Farbenreichtum, ihrer Melodik, der machtvollen Fülle und vor allem in ihrem Variantenreichtum ungleich schöner.

Das Theater Lübeck hat Mut bewiesen und nach Korngold und Krenek nun „Der Zwerg“ und „Eine florentinische Tragödie“ auf die Bühne gebracht. Die Stücke sind bis auf drei Partien aus dem hauseigenen Ensemble besetzt, was dem Ganzen einen zusätzlichen Reiz verlieh.

Aufgrund einer Erkrankung des eigentlichen Hauptdarstellers im „Zwerg“ übernahm Erik FENTON die gesangliche Gestaltung der Titelpartie. An einem Pult stehend, verlieh er dem Zwerg derart eindrucksvoll eine Stimme, daß man den Blick gar nicht von der Bühnenseite wenden mochte. Klangvoll heldentenoral, ohne zu übertreiben, bewies auch er, was für ein perfektes Klima der Mittelwesten für dieses Stimmfach ist. Fulvio OBERTO geriet so ein wenig ins Hintertreffen, konnte aber mit einer fulminant gespielten Schlußszene das Publikum doch noch in seinen Bann ziehen.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ Noa DANON als Donna Clara. Im Spiel sehr dicht an der verwöhnten, launischen Infantin, klingt stimmlich einiges gerade in den höheren Lagen doch eher schrill. Wesentlich mehr konnte Evmorfia METAXAKI als Ghita überzeugen. Ihre Stimme klingt in allen Lagen ausgewogen und die emotionale Reife, die sie der Figur verlieh, berührte zutiefst.

Taras KONOSHCHENKO ist ein echter Gewinn für das Lübecker Theater. Agil in Stimme wie Spiel und trotzdem würdevoll verlieh er Don Estoban eine natürlich wirkende Autorität, ohne den in die Figur hineingeschriebene Ironie außer Acht zu lassen.

Frauke BECKER, Steinunn Soffia SKJENSTAD und Annette HÖRLE rundeten das positive Bild als quicklebendige Zofen ab.

Gibt es etwas, was der CHOR des Lübecker Theaters nicht kann? Diesmal waren die Damen unter der Leitung von Joseph FEIGL zwar allein unterwegs. Der Stimmfülle und –schönheit tat dies allerdings keinen Abbruch.

Zemlinskys „Florentische Tragödie“ ist beinahe ein Monolog für Bariton. Sopran und Tenor fungieren eher als Stichwortgeber, während der Zuhörer, die sich anbahnende Tragödie aus Simones Sicht erlebt. Glücklich das Theater, das hier einen Sänger besetzen kann, der eine solche Herausforderung scheinbar mühelos trägt und weder stimmlich, noch darstellerisch oder konditionell Schwäche zeigt. Gerard QUINN setzte als Simone neue Maßstäbe und zeigte, daß es für ihn noch viel Spielraum jenseits des italienischen Fachs gibt.

Schön herausgearbeitet hat der Bariton zudem jene nonverbale Ebene, auf der Simone dem Prinzen erst eher zurückhaltend, später umso eindringlicher zu verstehen gibt, doch bitte die Finger von seiner Frau zu lassen. Hier zeigt sich der Unterschied, den ein tatsächlicher Sängerdarsteller ausmachen kann, der neben großartiger musikalischer Interpretation das Publikum eben auch mit seiner individuellen Interpretation der Figur in den Bann zieht.

So war es selbst für Wioletta HEBROWSKA nicht einfach sich hier ihren Platz zu erobern, insbesondere da Bianca oberflächlich nur als Trophäe der beiden Herren angelegt ist. Natürlich konnte sie sich trotzdem behaupten und die wenigen Momente, in denen die Figur zur Zuspitzung der Handlung beiträgt, optimal nutzen. So böse hat man die Sängerin m.E. noch nicht gesehen.

Wolfgang SCHWANINGER blieb als Guido Bardi dann doch auf der Strecke. Sein prinzliches Gebarden wirkte ebenso wie die Leidenschaft für Bianca zu gekünstelt, zu unecht. Weder im Gesang, noch im Spiel fand sich echte Noblesse.

Sehr zwiespältig war auch der Eindruck den Ryusuke NUMAJIRI am Pult hinterließ. Es war an diesem Abend in puncto Kommunikation Graben-Bühne sicherlich schon besser als in den Verdi-Vorstellungen, aber man wird den Eindruck nicht los, daß der aktuelle Lübecker GMD eher für sinfonische Aufführungen denn für Opern geeignet ist. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER klang über weite Strecken grandios, war aber häufig viel zu laut, was gar nicht Not tat, ist Zemlinskys Musik doch eigentlich eindringlich genug.

Die Produktion an sich begeisterte durchweg. Regisseur Bernd Reiner KRIEGER setzt beide Stücke in den Kontext der Beziehung des Komponisten zu Alma Schindler (die spätere Alma Mahler-Werfel). Und so sind sowohl der Zwerg, als auch Simone Abbilder des Komponisten, deren schlechte Erfahrungen mit den Frauen – Zemlinskys Frauenbilder war irgendwie auch nicht besser als das des bereits erwähnten Richard Strauss – so unterschiedlich ausgehen.

Die Produktion spielt gekonnt mit Blickwinkeln und Sichtweisen, ist in jedem Moment konform mit Musik und Text, ohne altbacken oder vorgestrig zu wirken. Unterstützt wird diese Interpretation vom gelungenen Bühnenbild (Roy SPAHN), das in beiden Stücken eigentlich das gleiche ist, und durch die kongeniale Lichtregie (Falk HAMPEL) und einige wenige Requisiten doch zwei komplett unterschiedliche Schauplätze darstellt.

Die Kostüme von Roy SPAHN waren im „Zwerg“ an Farbenpracht kaum zu übertreffen. Trotzdem wirkte es nie überkandidelt, sondern gab dem eigentlich recht dunkel wirkenden Raum den bunten Anstrich des lebendigen Hofstaates. In der „Florentinischen Tragödie“ mutete allein die Jacke des prinzlichen Kostüms ein wenig merkwürdig.

Es steht zu hoffen, daß man sich in Lübeck weiterhin dieser Musik annimmt und auch entsprechende Erfolge erzielt. Zemlinsky und seine Kollegen hätten es schlichtweg verdient.
AHS