„Attila“ – 21. Mai 2016

So man gekommen war, um eine Verdi-Oper zu hören und ausreichend Aufmerksamkeit für die Musik aufbrachte, erkannte man recht schnell, daß dies der Abend von Ryusuke NUMAJIRI war. An der Spitze des bestens disponierten ORCHESTERs bewies der Lübecker GMD wahre künstlerische Meisterschaft. Jede Nuance in der Musik war bis ins Kleinste ausgearbeitet. Man hörte eine deutliche Nähe zum „Macbeth“, ohne das die musikalischen Charakteristika des gespielten Werkes vernachlässigt wurden. Hier gab es Hingabe zu und Respekt vor Verdis Werk, der dem Abend anderweitig abging.

Ernesto MORILLO in der Titelpartie war doch eher eine Enttäuschung. Gelang ihm in den Duetten zumeist eine recht achtbare Leistung, störte das recht unschöne Vibrato in seiner Stimme mit Fortschreiten des Abends immer mehr. Auch von der übermächtigen Präsenz Attilas, dessen Besessenheit und Wagemut war wenig zu spüren. Schade.

Bei Helena DIX wünscht man sich ein Wiederhören in neutraler Umgebung. Ihre Odabella verlor sich zuviel in kleinmädchenhaftem Getue, und obwohl ihre Stimme eine ungeheure Kraft und einen großen Variantenreichtum besitzt, vermißte man doch jegliche Entwicklung der Figur, die musikalisch eigentlich deutlich hörbar war. Alexander James EDWARDS war dann am besten, wenn von ihm keine merkwürdigen Mätzchen abverlangt wurden. Glücklicherweise klang er nicht wie das Klischee eines englischen Tenors, seine Stimme besitzt durchaus Anlagen für das italienische Repertoire. Für einen wirklich guten Foresto muß er aber unbedingt am Legato und der Konstanz der Spitzentöne arbeiten.

Ezio ist eine Idealpartie für Gerard QUINN, gibt sie ihm doch ausreichend Gelegenheit, die vielfältigen Stärken seiner Stimme darzubieten. „Dagli immortali vertici“ wurde perfekt vorgetragen, und die folgende Cabaletta so tadellos, ohne jeden Qualitätsverlust zu Ende zu bringen, wenn man dabei (aus Inszenierungsgründen durch stuntwürdiges zu Boden fallen) mehrfach unterbrochen wird, man muß erst einmal schaffen. Nichtsdestotrotz würde man die Cabaletta gern in einem Guß hören.

Hyungseok LEE gab einen quicklebendigen und dankenswerterweise völlig natürlichen Uldino. Man wird nicht müde, seine schöne Stimme und die stets saubere Gesangslinie zu loben. Eine tolle Entwicklung, die der junge Tenor bis hierher gemacht hat. Seokhoon MOON (Leone) beeindruckte in jeder Sekunde seines Auftritts. Durch seine ungekünstelte Art gelang es ihm mit am besten, das umzusetzen, was die eigentliche Idee hinter der Regie gewesen sein mag. Dazu kam ein runder, gesunder Klang der Stimme, ein echtes Gesangslehrstück.

Sehr rücksichtsvoll war, daß CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) ihrem Bewegungsdrang ausführlich nachgehen konnten. Nur wenige Wochen vor der Sommerpause braucht sich so hier wohl niemand Sorgen um seine Bikinifigur zu machen. Auf den Gesang der Herren hatte das Gehopse glücklicherweise wenig Einfluß, die Damen klangen streckenweise etwas dünn, was aber auch der jeweiligen Positionierung gelegen haben mag.

So ein kleines bißchen hatte man die Hoffnung, daß Peter KONWITSCHNY eine ähnlich geniale Regiearbeit wie mit dem Hamburger „Lohengrin“ auf die Bühne bringt, aber diese Verdi-Produktion untertrifft sogar das Niveau des Hamburger „Don Carlos“. Nun muß man Verständnis aufbringen. So mancher Regisseur hat die schöpferische Kraft wie zu besagter „Lohengrin“-Inszenierung vielleicht nur einmal im Leben, und diese Produktion ist inzwischen ja auch schon 18 Jahre alt. Eventuell verliert man mit voranschreitendem Alter auch ein wenig die Fähigkeit, die Genialität bestimmter Werke und die Komplexität gewisser Musikstrukturen in Gänze zu erkennen und flüchtet sich daher über weite Strecken in Klamauk. Haben wir also Mitleid und versuchen wir tatsächlich, Verständnis aufzubringen, auch wenn der Abend streckenweise szenisch recht fad und klischeehaft über die Bühne ging. Die Übernahme dieser Produktion aus dem Jahr 2013 vom Theater an der Wien bringt den Lübeckern zumindest am Premierenabend Presse und Konwitschny-Fans ins Haus. Eine gute Möglichkeit, Ensemble, Chor und Orchester überregional zu präsentieren – so es die Vorgenannten interessiert.
AHS