„La Boheme“ – 17. Oktober 2014 (Premiere)

Es fällt schwer, sich nicht Hals über Kopf in diese Produktion zu verlieben. Was Regisseur Paolo MICCICHÈ hier auf die Lübecker Bühne gezaubert hat, ist ausgesprochen innovativ, ohne dabei den Blickwinkel auf das Stück zu verstellen. Es findet sich das eine oder andere Zitat, ohne daß es abgekupfert wirkt. Miccichès Bühnenbild lebt primär von Projektionen und wirkt doch so raumfüllend wie lebendig. Selbst der Einsatz des Gazevorhangs ist durchdacht – und so angelegt, daß man auch vom 3. Rang einen guten Blick auf das Bühnengeschehen hat. Die von Beate TAMCHINA kreierten Kostüme sind zeit-/stückangemessen gewählt und angenehm detailverliebt. Kurzum, ein Lehrstück wie Musiktheaterregie modern funktionieren kann, ohne gewaltsam ein Konzept überzustülpen. Definitiv eine Produktion, in die man bedenkenlos auch Opernanfänger mitnehmen kann.

Roman BROGLI-SACHER am Pult war an diesem Premierenabend ein lautstärkentechnisches Vabanquespiel. Schlußendlich hörte man aber blitzsauber und motiviert gespielten Puccini vom gut disponierten Lübecker ORCHESTER – und meistens auch die Sänger.

Gabriele Mangione wußte als Rodolfo bei seinem Lübeck-Debüt durchaus zu beeindrucken. Er war höhensicher, wußte zu phrasieren und konnte sich auch darstellerisch wunderbar unter den anderen Bohèmiens behaupten. Das Timbre ist vielleicht etwas neutral, aber dies ist nur ein minimaler Einwand.

Besser aber noch gelang der Einstand seiner Partnerin. Ab dem ersten von ihr gesungenen Ton war man als Zuhörer gebannt und begeistert. Zudem lieh Anna PATALONG Mimi nicht allein ihre ausgesprochen schöne und warmklingende Stimme, sondern formte auch einen Charakter, der real und nachvollziehbar wirkte. Das so gezeigte Selbstbewußtsein steht der Figur ausgesprochen gut zu Gesicht.

Ein rollenkonformes Naturereignis war Evmorfia METAXAKI. Musettas Temperament und Koketterie wurden von ihr tadellos auf den Punkt gebracht, doch es war im letzten Akt der Kontrast zu diesem flatterhaften Wesen, der am meisten beeindruckte. Ihre niemals süßlich oder beliebig klingende Stimme paßte hervorragend zu dieser facettenreichen Darstellung.

Gerard QUINN erhielt als Marcello die Gelegenheit, sein Talent für Komik (endlich) wieder einmal unter Beweis zu stellen. Ein Begabung, die in den letzten Jahren vielleicht etwas zu kurz gekommen ist. Die tragischen Momente werden natürlich ebenso ausgekostet, gerade im dritten Akt bekommt die Rolle mehr Tiefe, als man dies gewohnt ist.

Taras KONOSHCHENKO als Colline trat laut Ansage mit einer Kehlkopfentzündung (!) auf, von der man allerdings kaum etwas hörte. Die meisten Bässe wären froh, in gesundem Zustand derart voluminös zu klingen, ohne die Gesangslinie verlassen zu müssen. Schaunard wäre mit Steffen KUBACH in anderen Produktionen vermutlich überbesetzt gewesen. Da jedoch auch die anderen drei Herren über entsprechend große Stimmen verfügten, paßte die seine perfekt. Daß er darstellerisch präsent ist, versteht sich bei ihm schon von selbst.

In den kleineren Rollen hielten Mark McCONNEL (Parpignol), Seokhoon MOON (Benoit) und besonders Johan Hyunbong CHOI (Alcindoro) das hohe Niveau. Und wie schön, auch Ivan LOVRIC (Sergeant/Zöllner) wieder einmal zu hören.

Der CHOR unter Joseph FEIGL war wieder stimmstark und tadellos und bot im zweiten Akt zudem durch eine Vielzahl von einzelnen Figuren eine auffallend gute darstellerische Leistung.

Daumen hoch für diese Puccini-Produktion. Nach dem „Tannhäuser“ ist sie eine echte Erholung für Augen und Seele.
MK & AHS