„I Capuleti e i Montecchi“ – 16. April 2016

Das Stück heißt in Lübeck offiziell, vermutlich aus Marketinggründen, „Romeo und Julia“, auch wenn Shakespeares Tragödie für Bellinis Oper lediglich einen sehr losen Rahmen bietet.

Die Produktion ist sicherlich szenisch eine der besseren im italienischen Repertoire der letzten Jahre, wirklich gelungen waren in den letzten zwei Jahren eigentlich nur „La Bohème“ und vielleicht noch „La Cenerentola“. Was allerdings sehr unpassend wirkte, waren die stark modernisierten Übertitel. Es erscheint einfach albern und anbiedernd, wenn Romeo z. B. laut diesen auf Bellinis Musik singt, daß sich seine Gegner „vor Angst in die Hose machen“ würden.

Michael STURM läßt die Geschichte im Mafia-Milieu spielen, was grundsätzlich eigentlich sehr gut funktioniert, allerdings hätte man sich gewünscht, daß er diese Idee ein bißchen konsequenter verfolgt hätte bis zum Schluß. Warum am Ende Giulietta die Tosca bzw. Senta macht und sich zu Tode stürzt, war nicht wirklich nachzuvollziehen. Ein wenig unentschlossen wirkte auch das Finale des ersten Aktes, bei dem sich irgendwie nicht ganz deutlich wurde, warum Romeo und seine Mannen nicht einfach Giulietta auch gegen deren Willen mitnehmen, da außer Capellio und Tebaldo auf Seiten der Capuleti niemand da ist, der Widerstand leisten würde.

Die Auseinandersetzung zwischen Romeo und Tebaldo auf leerer Bühne vor einem Sternenhimmel (Ausstattung Stefan RIECKHOFF) und die Szene in Giuliettas Gruft waren hingegen sehr stimmungsvoll. Ebenso gefiel auch die bedrohliche Atmosphäre, die Capuleti haben anscheinend ihr ganzes Haus gegen Angriffe mit Brettern vernagelt, wird eine Tür oder ein Fenster geöffnet, wird es sehr schnell besorgt wieder geschlossen. Vielleicht ist noch anzumerken, daß in manchen Szenen Sänger und Chor akustisch nicht optimal plaziert worden zu sein scheinen; die Stimmen kommen nur gedämpft im Publikum an, wenn die Bretter ungünstig stehen.

Musikalisch gehört der Abend den beiden Sängerinnen der Titelrollen. Daß Wioletta HEBROWSKA über eine Stimme verfügt, mit der sie mühelos das Mezzorepertoire von Barock bis zur Moderne abdecken kann, ist hier schon oft genug erwähnt worden. Die Stimme strömt, ohne Grenzen zu kennen, voller Emphase und dramatischer Attacke. Auch darstellerisch ist sie absolut glaubwürdig, ich habe keine Sekunde daran gedacht, daß dort eine Frau in einer Hosenrolle agiert, sondern sah einen jungen Mann vor mir.

Evmorfia METAXAKI ist den Koloraturen der Giulietta gewachsen, sie singt sie ohne Anstrengung. Ihre Stimme mischt sich geradezu ideal mit der ihrer Partnerin. Sie besitzt in der Darstellung auch die Fragilität, die häufig mit dieser Figur verbunden wird, kann jedoch gleichzeitig Romeo im Duett nicht nur stimmlich Paroli bieten.

Die Stimme von Andrey VALIGURAS klingt teilweise hohl und zu wenig fokussiert, als Figur ist er in diesem Konzept allerdings wirklich sehens- und hörenswert. Obwohl er keine große körperliche Ähnlichkeit mit Marlon Brando aufweist, erkennt man spontan Vito Corleone (ohne dessen Nuscheln) in seinem Capellio.

Wenn Capellio Vito Corleone ist, wirkt Tebaldo wie Carlo, Vitos unseliger Schwiegersohn, nämlich ohne große eigene Persönlichkeit. Daniel JENZ’ Stimme ist nicht sehr belcantogeeignet, sie hat dafür doch einige Kanten und Schärfen zuviel, und die Extremhöhen klingen, als kämen sie von einer anderen Stimme. Sie wirken aufgesetzt und angestrengt.

Warum Lorenzo mit einem Tenor besetzt wurde, nachdem er doch eigentlich ein Baß ist, konnte auch anhand des Programms nicht nachvollzogen werden. Nicht, daß Hyungseok LEE die etwas undankbare Rolle nicht vorzüglich singen und gestalten würde, aber als Kontrast hätte hier eine tiefe Stimme vielleicht doch gutgetan.

Der CHOR und EXTRACHOR DES THEATER LÜBECK machen ihre Sache hervorragend (Leitung Jan-Michael KRÜGER). Andreas WOLF dirigiert mit flotten, aber nie gehetzten Tempi und viel Brio, das PHILHAROMINISCHE ORCHESTER folgt ihm mit großer Spielfreude. Das Blech hatte allerdings einen rabenschwarzen Abend mit unzähligen Verspielern.
MK