„Hoffmanns Erzählungen“ – 13. November 2015

Es hätte ein perfekter Abend werden können. Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER ließ Offenbachs Musik unglaublich poetisch und seelenvoll klingen. GMD Ryusuke NUMAJIRI hat hier eine feingliedrige Interpretation erarbeitet, die nichts an Gespür für Tempi und Lautstärke missen ließ. Ganz großes Kino für die Ohren.

CHOR und EXTRACHOR hatten eine absolute Sternstunde. Joseph FEIGL, der Zeitungsmeldungen zufolge nun in Rostock tätig ist, und Jan-Michael KRÜGER haben hier ganze Arbeit geleistet. Der präzise gesungene Schlußchor gehört definitiv zu besten Sachen, die man in den letzten Jahren in Lübeck gehört hat.

Fabienne CONRAD war immer dann grandios, wenn sie sich unbeeinträchtigt ihrer Rolle widmen konnte. Die Sängerin besitzt eine ausgesprochen schöne und präzise klingende Stimme. Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen ist sie keine reine Stella, Olympia, Antonia oder Giulietta, sondern hat in jeder dieser Rollen großartige Momente, auch wenn so die eine oder andere musikalische Facette (vielleicht aufgrund von Premierennervosität) einen Tick unausgereift wirkte.

Wesentlich entspannter wirkte da Wioletta HEBROWSKA, die als Muse und inszenierungsbedingt auch als Kulturpolitikerin eine gute Figur machte. Ihr gelang der Spagat zwischen Produktion und Originalstück am besten. Man hörte hier nicht die Stichwortgeberin für Hoffmann oder die zweite Stimme in der Barcarole, sondern wurde von dieser rundum perfekt sitzenden und so klar wie lebendig klingenden Stimme in den Bann gezogen.

Jean-Noël BRIEND ging als Hoffmann komplett in der Inszenierung auf. Wünschenswerter wäre allerdings gewesen, er hätte seiner stimmlichen Interpretation genauso viel Energie und Aufmerksamkeit gewidmet. Die musikalischen Nachlässigkeiten waren deutlich hörbar und in den piani sogar recht unerfreulich. Es ist wohl Geschmackssache, aber ein etwas kerniger klingender Tenor paßt vielleicht doch besser zur Figur.

Lindorf als des Dichters Nemesis, Gerard QUINN vermochte dies gut zu transportieren und trotzdem die Eigenheiten jeder der vier Figuren aufzuzeigen. Coppélius ging im Treiben des inszenierungsbedingten Wirbels um die Schönheitsindustrie leider etwas unter. Dafür beeindruckte der Bariton mit einem grandios gesungenen und rollenkonform dämonischen Docteur Miracle. Nicht in der Pause zu gehen, sondern für Dapertuttos Arie „Scintille, diamant“ zu bleiben, war eine gute Entscheidung. Diesen großartigen Moment stimmlicher Kunstfertigkeit hätte man sonst verpaßt.

Die Stimme von Hyungseok LEE (Spalanzani, Nathanaël) hat sich zu einem wahren Prachttenor entwickelt, was seine kurzen Auftritte zu Highlights des Abends machten. Raffaela LINTL räumte zurecht mit beim Schlußapplaus ab. Was diese junge Sängerin bei ihrem Auftritt als La Voix de la Tombe an stimmlicher und darstellerischer Sicherheit bot, brachte Vorfreude auf ihre nächsten, hoffentlich längeren Auftritte.

Guillermo VALDÉS machte in den Dienerrollen stimmlich einen gar nicht mal so schlechten Eindruck, neigte aber zum Überagieren, was schnell etwas nervig wurde. Steffen KUBACH tobte als Schlémil und Hermann mit Elan über die Bühne. Man hätte ihm mehr Raum für die Gestaltung seiner Figuren gewünscht. Taras KONOSHCHENKO berührte als Crespel sowohl gesanglich als auch in der Darstellung tief und fügte sich als Maître Luther gut in das teils recht absurde Treiben.

Was musikalisch über weite Strecken begeisterte, war szenisch mehr ein Trauerspiel.

Absolut grandios war die Idee der „Bühnenmusik“ mit Jan STÖBER (E-Gitarre), Till BAUMANN (E-Bass) und Benjamin SCHMIDT (Drum-Set), die den vierten Akt mitreißend rockten. Ein Band-Solo ohne Tenorgesang wäre die Krönung gewesen. Letztlich blieb nur dieser eine wirklich gute Moment, der die wohl primäre Frage der Inszenierung „Was ist Kultur?“ tatsächlich auf den Punkt brachte.

Vom Stück selbst blieb nicht viel. Das künstlerisch-schwärmerische Wesen des männlichen Protagonisten wurde den Abend über eher negiert. Hoffmann ist nur eine gebrochene Existenz bis hin zur Selbstkastration. Die Liebe, die Leidenschaft des Dichters für die Frauen blieben irgendwie auf der Strecke.

Es geht hierbei nicht um eine generelle Verteufelung der Modernisierung einer Opernhandlung. „Hoffmanns Erzählungen“ ist dafür durchaus prädestiniert, und es ist erschreckend wie gut sich Offenbachs Oper auch auf heutige Werte und Entwicklungen anwenden läßt.Nur manchmal ist man als Zuschauer diese halbgaren Ideen und Konzeptzipfel einfach leid. Weshalb werden aktuell so oft wahllos Gedanken aufgeworfen, ohne später wieder aufgriffen zu werden??? Wo war der rote Faden des Regiekonzepts?

Schlußendlich kann man Florian LUTZ aber nur gratulieren. Der erste Impuls, einfach aufzustehen und zu gehen, kam bereits mitten im Lied von Klein-Zack. So schnell hat das noch kein Regisseur geschafft. Auch den kleinen, gemeinen Gedanke im völlig chaotischen Olympia-Akt, daß dies selbst Dieter Kaegi besser hinbekommen hätte, kann er auf der Habenseite verbuchen.

Die Gestaltung der Bühne (Martin KUKULIES) hatte ihre großen Momente im Antonia-Akt, wo die schlichte Ausstattung und die dezente Ausleuchtung (Licht: Falk HAMPEL) den passenden intimen Rahmen schufen, sowie im vierten Akt, der mit opulenten Fassadenteilen und satten Farben Venedig auf die Bühne brachte. Die hier gezeigten Ebenen paßten perfekt zu den entsprechenden Szenen, auch wenn man sich ein wenig um die Band sorgte (Venedig, Keller, November…).

Leider sah man diese Kreativität bei den Kostümen (Mechthild FEUERSTEIN) weniger: Stella zeigte sich in ihren Inkarnationen mal als Barockgestalt, mal im flanellanmutenden Oberteil usw. Lindorf aka alle Bösewichte erschien im schlechtsitzenden Anzug. Allein Dapertutto hatte die Gnade eines langen roten Mantels, der vielleicht einmal ein Scarpia-Kostüm gewesen sein mag. Hoffmann ging es in seinen Schlamperlook nicht besser.

Auch diesmal ist also die musikalische Seite einen Besuch wert. Wer sich ob der szenischen Umsetzung dafür nicht hart genug wähnt, sollte vielleicht eher auf eineder zahlreichen DVDs zurückgreifen. Eigentlich schade.
AHS