„La Traviata“ – 6. Mai 2015

Wieviel „Traviata“ kann man verkraften? Das ist sicherlich eine Frage, die man sich im Alltag nicht immer zwingend stellt, aber dank einer nicht sonderlich gut gelungen Planung wissen wir nun, daß drei Vorstellungen an zwei Häusern innerhalb von sechs Tagen noch keinerlei Schäden verursachen…

Die diesjährige Verdi-Produktion des Allee Theaters wollten wir aber auch auf keinen Fall verpassen – und vorwegnehmend ist festzustellen, daß sich dieser Besuch gelohnt hat.

Die Violetta des Abends kann man nur als grandios bezeichnen. Kamila DZIADKO besitzt alles, was man für diese Partie benötigt: Temperament und Tragik, Spielfreude, Leidenschaft, eine strahlend schöne, ausgesprochen gut sitzende Stimme. Weshalb die Opera na zamku die Sängerin hat ziehen lassen, bleibt so ein Rätsel.

Sehr erfreulich ist, welch großartige Entwicklung Titus WITT gemacht hat. Sein Germont klang nach echtem Verdi-Bariton und auch die Rollengestaltung traf ins Schwarze. Man sah die Zerrissenheit des Charakters ebenso wie Alfreds Vater der Standesdünkel ins Gesicht geschrieben stand. Nur schade, daß Cabaletten hier von anderen Leuten gesungen wurden.

Richard NEUGEBAUERs Stimme verfügt über eine ausgesprochen schöne Mittellage, klingt allerdings in den Höhen recht eng. Sein Alfred fand zudem kaum aus der Rolle des schmachtenden Liebhabers heraus. Die echte Tragik der Figur ging so leider verloren.

Die aufgewertete Rolle der Flora trat nicht nur als Violettas leichtlebige Freundin auf, sondern bekam auch Anninas Szenen, was der Figur einen komplett neuen Charakter und dank Rebekka REISTER eine interessante Tiefe in der Darstellung verlieh. Musikalisch kam die Cabaletta der Lady Macbeth hinzu. Rebekka Reisters Stimme gefällt bei jeder Begegnung mehr. Auf die weitere Entwicklung darf man gespannt sein (Bitte demnächst einen „Macbeth“ in Altona!).

Verdi-Cabaletten kann es grundsätzlich nie genug geben, und so bekam Daniel POHNERT als Douphol gleich auch noch eine. Er sang nicht nur diese, sondern den gesamten Abend über exzellent. Andrey VALIGURAS war ein schönstimmiger und ausgesprochen präsenter Grenvil.

Leider legte Ettore PRANDI am Pult viel zu viel Wert auf altmodisches Verdi-Humtata. Der Produktion hätten flottere Tempi und eine frische musikalische Handschrift wesentlich besser zu Gesicht gestanden. Das ALLEE THEATER ENSEMBLE schlug sich wacker und klang gewohnt sicher.

Mit ihrer Inszenierung zeigte Birgit SCHERZER gekonnt, wie man ein Stück auf kleinsten Raum arrangiert und sehr behutsam modernisiert. Die Geschichte von der unglücklichen Liebe zwischen der Kurtisane und dem Sohn aus besserem Hause funktioniert auch in der Neuzeit – ohne daß zu drastischen oder unpassenden szenischen Mitteln gegriffen werden. Wie schön, daß Regisseure doch noch in der Lage sind, eine Karikatur der modernen Gesellschaft zu zeigen, ohne Verdi dabei außer acht zu lassen.

Es waren die kleinen Dinge, die Stück für Stück das Bild zusammenfügen. Einfach nur klasse war z. B. der Moment als Alfred und Douphol im dritten Akt ihre Smartphones zücken und ihr Kartenspiel offensichtlich virtuell stattfindet. Wunderbar eingepaßt wurde auch die zusätzliche Figur Der Unentrinnbare. Ralf HUTTER formte die stumme Figur mit viel Präsenz und wirkte dabei nie überagierend oder aufdringlich.

Kathrin KEGLER hat im Rahmen der Möglichkeiten der recht kleinen Bühne eine Kulisse geschaffen, die die Geschichte von der Vergänglichkeit trotz teilweise ähnlicher Elemente wesentlich besser und unaufdringlicher erzählte als die Produktion an der Staatsoper. Die Kostüme aus der Hand von Barbara HASS paßten perfekt zum Konzept ebenso wie zum Stück.

Das Allee Theater hat im Rahmen seiner Möglichkeiten – nein, eigentlich darüber hinaus – wieder Großartiges auf die Bühne gebracht.
AHS