Interview mit Carlo Colombara

Das Interview wurde von Irene Stenzel verfaßt und jeweils ins bzw. aus dem Italienischen übersetzt von Dr.Fabian Stallknecht.

/Herr Colombara, Sie weilen derzeit in München zu einer Wiederaufnahme der Verdi-Oper „Luisa Miller“, in der Sie den Conte di Walter interpretieren. Claus Guth übernahm die Inszenierung und hatte dafür
etwas eigenwillige Regiegedanken. Wie denken Sie, der Sie in aller Welt singen, überhaupt über die heutigen Regie-Ideen an Opernhäusern?

/Solange solche Ideen nicht gegen die Musik gerichtet sind, und den Autor, die Sänger und das Publikum respektieren, ist für mich alles wunderbar! Mich beleidigen nur solche Regisseure, die die Oper weder
kennen noch lieben, solche, die es toll finden, ausgebuht zu werden weil es ihnen noch Publicity bringt. Ich glaube, man sollte solche Idioten nicht mehr ausbuhen, sondern sie lieber nach der Vorstellung direkt
ansprechen und ihnen ein paar passende Worte sagen…

/Unterscheiden sich die Inszenierungen voneinander, vor allen Dingen, gibt es Unterschiede hinsichtlich der Regie-Ideen an europäischen Opernhäusern zu den Opernhäusern in Übersee, vor allen Dingen auch
Unterschiede hier zu den Opernhäusern in Italien?

/In Amerika existiert noch etwas von dieser gesunden Tradition. In Europa dagegen werden die Kinder in ein paar Jahren leider wegbleiben, nachdem sie einmal so eine Aufführung gesehen haben. Wir sind dabei,
eine Publikumsgeneration zu verlieren, wenn nicht Schlimmeres.

/Fühlen Sie sich wohler in traditionellen Inszenierungen und haben Sie eine Erinnerung an eine Ihrer Auffassung von Inszenierung besonders entgegenkommende Produktion?

/Natürlich, schließlich liebe ich die Oper! Sehr gerne erinnere ich mich an eine großartige Inszenierung von „Don Carlo“ in der Regie von Visconti und an eine Zeffirelli-Inszenierung von „Aida“ in Tokio. Und
alle Rossini-Inszenierungen von Ponnelle!

/Sie stammen aus Bologna, einer Stadt mit großer Opernprägung, haben sozusagen „das Milieu der dortigen Oper mit der Muttermilch aufsaugen können“. Gab es für Sie auch familiäre Hintergründe, daß Sie Sänger
werden wollten oder wie hat sich dieser Wunsch entwickelt?

/Vermutlich habe ich da tatsächlich etwas im Blut, von meinem Onkel Riccardo Stracciari… Auf jeden Fall wollte ich schon mit neun Jahren Sänger werden!

/Bei Paride Venturi haben Sie dann auch Gesang studiert. Können Sie ein wenig über Ihren Gesangslehrer berichten, und warum Sie gerade bei ihm studiert haben?

/Paride Venturi ist der letzte Lehrer aus einer großen Schule, derjenigen des Tenors Melocchi, des Lehrers von Franco Corelli und Mario Del Monaco. Heute gibt es solche Maestri nicht mehr, leider. Er war
zweifellos der größte Glücksfall in meiner Karriere. 1986 wurden Sie beim renommierten G.B. Viotti-Wettbewerb in Vercelli zum besten italienischen Sänger gekürt und haben bereits ein Jahr später den
Concorso As.Li.Co in Mailand gewonnen, ein Wettbewerb, bei dem der Sieger ein Rollendebut gewinnt.

/Sie haben in der Folge noch mehrere Preise gewonnen, darunter haben Sie den Premio Lauri Volpi 1994, den Premio Orazio Tosi 1995, den Premio Cappelli 1999 und den Matassa d’oro 2002 gewonnen. Ist es nach Ihrer Ansicht für einen Sänger wichtig, an vielen Wettbewerben teilzunehmen, und war für Sie einer der Preise entscheidend für Ihren Karriereweg?

/Diese Preise sind eine Bestätigung, aber für die Karriere eines Sängers bedeuten sie nichts, da zählt es nur, über viele, viele Jahre gut zu singen! Die Wettbewerbe dagegen helfen schon, allerdings nur die, bei denen die Sieger am Ende in einer Oper auftreten. Die, wo es nur um Geld geht, bringen nur etwas, wenn sie sehr prominent sind und das Fernsehen, die Agenten und die Intendanten anziehen.

/Welche Rolle haben Sie denn beim Concorso As.Li.Co gewonnen, und wo hat dann das Debut stattgefunden?

/Das war am Teatro Carcano in Mailand, als Le Baili in „Werther“ und in Rossinis „Petite Messe Solennelle“.

/Danach haben Sie ja dann eine steile Karriere begonnen, haben an allen führenden Opernhäusern Italiens gesungen und an der Scala 1989 debutiert mit dem Procida in Verdis „I Vespri Siciliani“, überhaupt eine steile internationale Karriere begonnen, an der Met haben Sie mit dem Ramphis in Verdis „Aida“ debutiert. Mit welcher Partie und an welchem Opernhaus begann Ihre internationale Karriere?

/Das war mit „I Vespri Siciliani“ mit Muti an der Scala.

/Fehlt Ihnen eigentlich noch ein Opernhaus, an dem Sie noch singen wollen? Gibt es für Sie eine Partie, die Sie besonders gerne charakterisieren, und wieviele Partien haben Sie in Ihrem Rollenkoffer überhaupt? Gibt es für Sie noch eine Wunschpartie?

/Von den großen Theatern fehlt mir nur noch San Francisco. Meine Lieblingspartie ist der Filippo in „Don Carlo“. In den kommenden Jahren möchte ich gerne noch den Boris Godunov singen. Außerdem fehlt in meinem
Repertoire noch der Mefistofele von Boito, der kommt 2010.

/Sie üben neben Ihrer Operntätigkeit auch eine umfangreiche Konzerttätigkeit in aller Welt unter namhaften Dirigenten aus. Ist das für Sie neben Ihrer Operntätigkeit wichtig und wäre es für Sie auch
wichtig, in Liederabenden aufzutreten?

/Das ist ein Teil des Berufes! Ich möchte mein Lieder- und Konzertrepertoire gerne noch erweitern, allerdings werde ich fast immer gefragt, Verdi zu singen… Es gibt leider nicht mehr viele echte Verdi-Bässe. Aber 2009 singe ich auch einige Liederabende in Spanien.

/Sie gehören mit Ihrem dunklen Timbre, einer außergewöhnlichen Gesangskultur und mit einem vokalen Farbenreichtum zu den gefragtesten Bassisten. Wie haben Sie sich diese Gesangskultur erarbeitet? Arbeiten
Sie heute noch an Ihrer so ausgeprägten Gesangstechnik?

/Damit habe ich nie aufgehört. Ich besitze zum Glück ein sehr ausgeprägtes selbstkritisches Bewußtsein, das mir nicht erlaubt, mich auf Erfolgen auszuruhen, und mich zwingt, immer weiter zu studieren. Das
ist keine Belastung, ich mache das mit derselben Begeisterung wie zu Beginn.

/Was würden Sie jungen Sängerkollegen als Gesangslehrer mit auf den Weg geben?

/Sich zu vergewissern, dass man einen guten Gesangslehrer gefunden hat und nicht einen „Trüffelsucher“, der nur ihr Geld will! Leider ist die Welt voll von solchen… Außerdem sollten sie ein starkes Gespür für
Selbstkritik entwickeln und nicht zu sehr auf diejenigen hören, die immer nur sagen: „Du bist großartig.“

/Welche Zukunftspläne in naher und ferner Zukunft haben Sie?

/Viele Theater, viele Engagements, eine DVD-Aufnahme von „Ernani“, eine CD mit französischen Liedern und einen Film mit dem Titel „Die Kunst des Basses“, der im Juni herauskommt. Außerdem eine Werbekampagne für Hugo Boss… also, ich werde mich nicht langweilen!
I.St. – März 2008