"SIEGFRIED" - 26. Januar 2006 (Premiere)

"Siegfried" ist das schwerste Stück des "Rings" und Wagners Schaffens überhaupt. Das ist ja bekannt. Es liegen immerhin fünfzehn Jahre zwischen der Komposition des 2. und 3. Akts. Dieser Bruch ist eines der Probleme. Weiters ist "Siegfried" szenisch sehr komplex, das Drama des "Rings" wird hier akut, und es "passiert" sehr viel. Das ist natürlich für Regie und Ausstattung eine besondere Herausforderung. In szenischer Hinsicht ist hier aber fast alles schief gegangen.

Dabei war die Sängerriege durchaus gut und Christoph ESCHENBACH mit dem ORCHESTRE DE PARIS bemühte sich die "kammermusikalische" Seite des "Rings" heraus zu arbeiten. Dies war auch in den beiden ersten Akten durchaus gegenwärtig. Eschenbach erreichte die von ihm so geschätzte Klangfarbenmelodie Karajans. Die Einleitung zum 1. Akt war animiert und belebt, die Wagner-Tuben spielten fabelhaft, die Bläser waren generell zuverlässig und exakt. Die Ausarbeitung des Frage- und Antwortspiels zwischen dem Wanderer und Mime war sehr präzise und eben "kammermusikalisch". Eschenbach nahm zwar etwas breite Tempi, doch die Stimmung war da. Die Streicher waren nicht immer exakt, aber das Waldweben des 2. Akts war feinsinnig und durchsichtig gesponnen. Auch der Beginn des 3. Akts begann mit wogendem Orchester, mit federndem Tempo. Die Erscheinung Erdas und der folgende Dialog waren etwas gedehnt, doch dem Atmosphäre der Partitur gerecht. In der Begegnung zwischen Siegfried und dem Wanderer zeigte das Orchester jedoch Ermüdung. In der Schlußszene mit Brünnhilde artete das dann in einen ziemlich zähen Brei aus, ohne irgend welche Steigerung oder Spannung.

Die Schuld an dem Fiasko ist im szenischen Geschehen zu suchen und daran ist in erster Linie das Team Robert WILSON - Frieda PARMEGGIANI - Kenneth SCHULTZ schuld. Es begann mit einer kuriosen Balkenstruktur über Mimes Schmiede und endete in der totalen Nichtaktion des Schlusses. Mimes riesiger, überhöhter Amboß wird von diesem Balkenwerk umgeben, das Siegfried am Schluß des 1. Akts mit Notung aus den Fugen hebt, ohne das Gestell zu berühren. Die obligaten Wilson-Lichtspiele wurden hier zur Manie: bei den Schmiedeliedern wechselt die Beleuchtung des Hintergrund bei jedem Hammerschlag. Diesmal wurde sogar knalliges Rot verwendet, das ja bisher auf Wilsons Farbenpalette verpönt war.

Szenisch am besten gelang der Wald des 2. Akts: die lange Wanderung Siegfrieds und Mimes zur Neidhöhle fand unter riesigen Baumstämmen statt, die sich langsam auf der Bühne von links nach rechts verschoben. Fafner war ein wirkliches Ungeheuer, das an eine Bessemer-Birne eines alten Stahlwerks erinnerte, mit vier riesigen Blechzähnen. Der Kampf mit dem Drachen fand allerdings einzig im Orchester statt, Siegfried fuchtelte mit seinem Schwert in der Luft herum, worauf der Wurm versinkt und Fafner plötzlich im selben Kostüm auf Koturnen wie im "Rheingold" dasteht. Aus nicht ersichtlichen Gründen wurde der Waldvogel, der ja in den Bäumen sitzen soll, durch ein halbnacktes Büblein personifiziert, das mit einem geschmacklosen Schleier um die Hüften und mit Reisig in den Händen über die Bühne tanzte, während die Sängerin hinter der Szene sang. Erda erscheint nicht, sie steht bereits bei Aufgehen des Vorhangs verschleiert auf der Bühne. In der Konfrontation mit Siegfried zerbricht der Wanderer selbst den Speer.

Die Schlußszene - drei der sechs Barbecue-Öfchen aus "Walküre" sind bereits entsorgt worden - ist von erschütternder Leere. Der Helm liegt neben Brünnhildes schiefer Liege und erspart Siegfried das Abnehmen. Siegfried braucht auch nicht die Rüstung aufschneiden, denn die "selige Maid" ist in einem schwarzen Abendkleid mit zwei Meter langer Schleppe und Stehkragen auf der Liege aufgebahrt. Wenn Brünnhilde erwacht, glaubt man einem Zeremoniell am spanischen Hof beizuwohnen, derart steif und starr ist alles, keine Unze Jubel oder Überschwang in dieser Szene. Frau Kammersängerin Brünnhilde gibt einen Liederabend mit Orchesterbegleitung. Eine der emotionell geladensten und überschwenglichsten Szenen in Wagners Schaffens fällt hier völlig flach!

Wie erwähnt, waren die Sänger diesmal durchwegs gut. Der Siegfried von Jon Fredric WEST gab stimmlich eine sehr glaubhafte Interpretation. Ein richtiger Heldentenor, aber kein Brüller, der ebenso mit heldischer Stimme die Schmiedelieder als auch die lyrischen Passagen des Waldwebens mit Gefühl und Subtilität sang. Er stand die mörderische Rolle ausgezeichnet durch. Daß er ungewöhnlich lächerlich geschminkt war und ihm eine blonde Brillantine-Perücke verpaßt worden war, steht auf einem anderen Blatt, ebenso wie sein grotesker, dunkelblauer Schlafrock. Der Wanderer von Jukka RASILAINEN war überzeugender als im November in den beiden ersten Abenden. Die Stimme ist zwar nicht schöner geworden, doch paßt das Timbre besser zu der zynischen Rolle, besonders in den Frageszenen mit Mime. Sein voluminöser Bassbariton ist für die Begegnung mit Erda passend.

Volker VOGEL als Mime (in einer Art schwarzem Kimono) ist sicher einer der besten Vertreter der Rolle. Der hoch intelligente Sänger machte das Beste aus der Regie-Marotte alle Figuren in steife, bizarre Posen mit gespreizten Fingern zu zwängen: er entwickelte eine ungewöhnlich ausdrucksvolle Mimik. Stimmlich war er hervorragend (und mit perfekter Diktion) und sowohl Siegfried, als auch dem Wanderer und Alberich ein gleichwertiger Partner! Sergei LEIFERKUS als Alberich hatte diesmal sein Pneu-Kostüm abgelegt und gegen einen schwarzen Kimono wie Bruder Mime eingetauscht. Stimmlich war er der unsympathischen Rolle bestens gewachsen.

Kurt RYDL als Fafner dröhnte "riesenhafte" Töne (auch noch verstärkt) aus dem Hintergrund und dann direkt als sterbender Riese. Mit ihrer kultivierten Stimme sang Linda WATSON die Brünnhilde sehr dezent und abgeklärt, hatte aber - dank der Regie - wenig Gelegenheit ihre Gefühl auszudrücken. Wieder sehr erfreulich war die prachtvolle Altstimme von Qiu Lin ZHANG als Erda, die Wotan fast unbeweglich Ratschläge gab. Natalie KARL sang klangvoll den Waldvogel hinter der Szene, während der kleine Louis-Alexandre DÉSIRÉ zwischen den Baumstämmen des Waldes herumlief. wig

"Götterdämmerung"