"Siegfried"
ist das schwerste Stück des "Rings" und Wagners Schaffens überhaupt. Das
ist ja bekannt. Es liegen immerhin fünfzehn Jahre zwischen der Komposition
des 2. und 3. Akts. Dieser Bruch ist eines der Probleme. Weiters ist "Siegfried"
szenisch sehr komplex, das Drama des "Rings" wird hier akut, und es "passiert"
sehr viel. Das ist natürlich für Regie und Ausstattung eine besondere
Herausforderung. In szenischer Hinsicht ist hier aber fast alles schief
gegangen.
Dabei
war die Sängerriege durchaus gut und Christoph ESCHENBACH mit dem ORCHESTRE
DE PARIS bemühte sich die "kammermusikalische" Seite des "Rings" heraus
zu arbeiten. Dies war auch in den beiden ersten Akten durchaus gegenwärtig.
Eschenbach erreichte die von ihm so geschätzte Klangfarbenmelodie Karajans.
Die Einleitung zum 1. Akt war animiert und belebt, die Wagner-Tuben spielten
fabelhaft, die Bläser waren generell zuverlässig und exakt. Die Ausarbeitung
des Frage- und Antwortspiels zwischen dem Wanderer und Mime war sehr präzise
und eben "kammermusikalisch". Eschenbach nahm zwar etwas breite Tempi,
doch die Stimmung war da. Die Streicher waren nicht immer exakt, aber
das Waldweben des 2. Akts war feinsinnig und durchsichtig gesponnen. Auch
der Beginn des 3. Akts begann mit wogendem Orchester, mit federndem Tempo.
Die Erscheinung Erdas und der folgende Dialog waren etwas gedehnt, doch
dem Atmosphäre der Partitur gerecht. In der Begegnung zwischen Siegfried
und dem Wanderer zeigte das Orchester jedoch Ermüdung. In der Schlußszene
mit Brünnhilde artete das dann in einen ziemlich zähen Brei aus, ohne
irgend welche Steigerung oder Spannung.
Die
Schuld an dem Fiasko ist im szenischen Geschehen zu suchen und daran ist
in erster Linie das Team Robert WILSON - Frieda PARMEGGIANI - Kenneth
SCHULTZ schuld. Es begann mit einer kuriosen Balkenstruktur über Mimes
Schmiede und endete in der totalen Nichtaktion des Schlusses. Mimes riesiger,
überhöhter Amboß wird von diesem Balkenwerk umgeben, das Siegfried am
Schluß des 1. Akts mit Notung aus den Fugen hebt, ohne das Gestell zu
berühren. Die obligaten Wilson-Lichtspiele wurden hier zur Manie: bei
den Schmiedeliedern wechselt die Beleuchtung des Hintergrund bei jedem
Hammerschlag. Diesmal wurde sogar knalliges Rot verwendet, das ja bisher
auf Wilsons Farbenpalette verpönt war.
Szenisch
am besten gelang der Wald des 2. Akts: die lange Wanderung Siegfrieds
und Mimes zur Neidhöhle fand unter riesigen Baumstämmen statt, die sich
langsam auf der Bühne von links nach rechts verschoben. Fafner war ein
wirkliches Ungeheuer, das an eine Bessemer-Birne eines alten Stahlwerks
erinnerte, mit vier riesigen Blechzähnen. Der Kampf mit dem Drachen fand
allerdings einzig im Orchester statt, Siegfried fuchtelte mit seinem Schwert
in der Luft herum, worauf der Wurm versinkt und Fafner plötzlich im selben
Kostüm auf Koturnen wie im "Rheingold" dasteht. Aus nicht ersichtlichen
Gründen wurde der Waldvogel, der ja in den Bäumen sitzen soll, durch ein
halbnacktes Büblein personifiziert, das mit einem geschmacklosen Schleier
um die Hüften und mit Reisig in den Händen über die Bühne tanzte, während
die Sängerin hinter der Szene sang. Erda erscheint nicht, sie steht bereits
bei Aufgehen des Vorhangs verschleiert auf der Bühne. In der Konfrontation
mit Siegfried zerbricht der Wanderer selbst den Speer.
Die
Schlußszene - drei der sechs Barbecue-Öfchen aus "Walküre" sind bereits
entsorgt worden - ist von erschütternder Leere. Der Helm liegt neben Brünnhildes
schiefer Liege und erspart Siegfried das Abnehmen. Siegfried braucht auch
nicht die Rüstung aufschneiden, denn die "selige Maid" ist in einem schwarzen
Abendkleid mit zwei Meter langer Schleppe und Stehkragen auf der Liege
aufgebahrt. Wenn Brünnhilde erwacht, glaubt man einem Zeremoniell am spanischen
Hof beizuwohnen, derart steif und starr ist alles, keine Unze Jubel oder
Überschwang in dieser Szene. Frau Kammersängerin Brünnhilde gibt einen
Liederabend mit Orchesterbegleitung. Eine der emotionell geladensten und
überschwenglichsten Szenen in Wagners Schaffens fällt hier völlig flach!
Wie
erwähnt, waren die Sänger diesmal durchwegs gut. Der Siegfried von Jon
Fredric WEST gab stimmlich eine sehr glaubhafte Interpretation. Ein richtiger
Heldentenor, aber kein Brüller, der ebenso mit heldischer Stimme die Schmiedelieder
als auch die lyrischen Passagen des Waldwebens mit Gefühl und Subtilität
sang. Er stand die mörderische Rolle ausgezeichnet durch. Daß er ungewöhnlich
lächerlich geschminkt war und ihm eine blonde Brillantine-Perücke verpaßt
worden war, steht auf einem anderen Blatt, ebenso wie sein grotesker,
dunkelblauer Schlafrock. Der Wanderer von Jukka RASILAINEN war überzeugender
als im November in den beiden ersten Abenden. Die Stimme ist zwar nicht
schöner geworden, doch paßt das Timbre besser zu der zynischen Rolle,
besonders in den Frageszenen mit Mime. Sein voluminöser Bassbariton ist
für die Begegnung mit Erda passend.
Volker
VOGEL als Mime (in einer Art schwarzem Kimono) ist sicher einer der besten
Vertreter der Rolle. Der hoch intelligente Sänger machte das Beste aus
der Regie-Marotte alle Figuren in steife, bizarre Posen mit gespreizten
Fingern zu zwängen: er entwickelte eine ungewöhnlich ausdrucksvolle Mimik.
Stimmlich war er hervorragend (und mit perfekter Diktion) und sowohl Siegfried,
als auch dem Wanderer und Alberich ein gleichwertiger Partner! Sergei
LEIFERKUS als Alberich hatte diesmal sein Pneu-Kostüm abgelegt und gegen
einen schwarzen Kimono wie Bruder Mime eingetauscht. Stimmlich war er
der unsympathischen Rolle bestens gewachsen.
Kurt
RYDL als Fafner dröhnte "riesenhafte" Töne (auch noch verstärkt) aus dem
Hintergrund und dann direkt als sterbender Riese. Mit ihrer kultivierten
Stimme sang Linda WATSON die Brünnhilde sehr dezent und abgeklärt, hatte
aber - dank der Regie - wenig Gelegenheit ihre Gefühl auszudrücken. Wieder
sehr erfreulich war die prachtvolle Altstimme von Qiu Lin ZHANG als Erda,
die Wotan fast unbeweglich Ratschläge gab. Natalie KARL sang klangvoll
den Waldvogel hinter der Szene, während der kleine Louis-Alexandre DÉSIRÉ
zwischen den Baumstämmen des Waldes herumlief. wig
"Götterdämmerung"
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