Eine
groß angekündigte Kampagne für den neuen "Ring" (der erste in Paris seit
elf Jahren) entsprach den Erwartungen: die Karten (bis € 200,--) verkauften
sich wie frische Brötchen, und das Haus war immer voll.
Einer
der Gründe der Aufregung war die aus Zürich importierte Inszenierung von
Robert WILSON, der - wie immer - auch für die sogenannte "Szenographie"
zeichnete. Viel Neues gab es zwar nicht zu sehen: die bei Wilson übliche
bläuliche und gelbe Beleuchtung (rot und grün existieren nicht!) und viel
orientalisierendes Schattentheater auf praktisch leerer Bühne, während
alle Personen - immer mit gespreizten Fingern - sich im Schneckentempo
bewegen. Laut Wilsons Credo ist die Vereinfachung der bildlichen Darstellung
der Musik und der Handlung nützlich. Gestik, Beleuchtung und Bewegungsregie
sind essentiell für sein Theater-Konzept und sind - wie die Musik - genau
definiert, ja kodifiziert, was aber bisweilen zu recht bizarren Stellungen
führt. Natürlich folgen die Kostüme von Frida PARMEGGIANI und die Beleuchtung
von Kenneth SCHUTZ diesem Plan.
Man
muß bisweilen an Neu-Bayreuth von Wieland Wagner vor fünfzig Jahren mit
seinem imposanten Symbolismus denken. Das ist ja nicht notwendigerweise
ein Schaden, zumal es keine läppischen politischen Anspielungen gibt.
Die priesterisch-feierlichen Bewegungen sind durchwegs langsam und feierlich,
alles ist sehr unterkühlt. Manchmal sind optisch recht ansprechende Bilder
zu sehen. Für eine gewisse Zeit ist das alles recht eindrucksvoll. Doch
diese zeremonielle Atmosphäre im Stil des No-Theater, die bei Wilson immer
vorherrscht, in allen Situationen und allen von ihm inszenierten Werken,
beginnt langsam auf die Nerven zu gehen. Wenn die Abstraktion so weit
führt, daß manche Bilder beliebig austauschbar für "Rheingold" oder "Zauberflöte",
"Alkestis" oder "Butterfly" sind, ist irgendwo etwas faul an dem Konzept.
Diese eisige, distanzierte Atmosphäre ist Welten entfernt von Wagners
Geschichte von menschlichen Leidenschaften, Haß und Liebe, Habgier, Feigheit,
Verrat, Freiheit, Totschlag, Lust und Treue. Die französischen Übertitel
im Telegrammstil waren diesmal ausnehmend schlecht übersetzt, mit erheblichen
Auslassungen, so daß die Handlung dieses "Rings" für einen Ersthörer völlig
unverständlich sein muß.
Im
wie immer ausgezeichneten Programmbuch kann man ein Interview mit Frieda
Parmeggiani lesen, unter dem Titel "Eine ästhetische Haltung und kein
formalistischer Despotimus", in der die Kostümbildnerin u. a. die Wahl
ostasiatischer Referenzen verteidigt. Dieser Text ist eher ein Manifest
als ein Interview und faßt sehr gut die ganze Problematik der Produktion
zusammen. Es scheint dem Regie-Team entgangen zu sein, daß so ziemlich
das Gegenteil erreicht wurde. Die bewußte Verneinung der kulturellen Hintergrund
Wagners im "Ring" und die ebenso bewußte Beziehung auf ostasiatische Kultur,
sind wohl das typische Beispiel von "formalistischem Despotismus". Wagner
hat sich für viele Kulturen interessiert, besonders Persien und Indien.
Es gibt sogar einen Entwurf für ein buddhistisch inspiriertes Drama "Der
Sieger" aus Wagners Hand (Wagner nahm diesen Text klugerweise nicht in
seine "Gesammelte Schriften und Dichtungen" auf, obwohl er viel diskutablere
Texte in die zehn Bände einschloß). Das ständige, bewußte Verneinen der
ausführlichen Regieanweisungen Wagners und die Ignorieren wichtiger Punkte
der Dramaturgie der Handlung in der Tetralogie führt zu Absurditäten.
Eine ausgezeichnet beherrschte, meist pastellfarbene Lichtregie, die alle
Inszenierungen des WILSON-Teams charakterisiert, soll diese Abwesenheit
von Substanz und Ideen wett machen. Das Publikum wird damit in eine unterkühlte
postmoderne Ästhetik gewogen, die zwar sehr hübsch anzusehen ist, wo aber
die Transzendenz völlig ausgespart wird.
Dieser
"entsäuberten" Ästhetik ist auch den Dirigent Christoph ESCHENBACH auf
den Leim gegangen. Ganz im diesem Sinne hat Eschenbach mit seinem ORCHESTRE
DE PARIS mit nur knapp neunzig Musikern für eine "kammermusikalische"
Version optiert. Man erwartet nicht die Orchesterwogen von Knappertsbusch,
Furtwängler, Krauss, Böhm oder Keilberth aber es sollte Grenzen geben...
Er beruft sich im Programmbuch auf Karajan und streicht die "musikantische"
Seite Wagners heraus, die die Leitmotive betont. Nur selten kommt es zu
einem großen orchestralen Ausbruch. Was nicht hindert, daß Eschenbach
recht langsam dirigiert. Doch weder das Vorspiel zu "Walküre", noch Siegfrieds
Tod oder Brünnhildes Schlußgesang kann man als "Kammermusik" spielen,
das ist schwer nachvollziehbar. Eine gute, aber nicht umwerfende Sängerschar,
die aber stimmlich in Qualität und stimmlichen Gleichgewicht sehr heterogen
war, tat das Übrige. Schade!
Fazit:
Ein szenisches Fiasko und eine unausgeglichene musikalische Konzeption
in dieser Produktion führten zu einem totalen Bruch mit den Ideen Wagners.
wig.
P.
S. Da man im Châtelet zwei Bayreuthische Pausen (über 1 Stunde und 40
Minunten) eingelegt hatte, so daß die beiden letzten Abende sechs Stunden
dauerten und knapp vor Mitternacht endeten, mußte ich das Haus schleunigst
verlassen, um meine letzte Metro nicht zu versäumen und konnte deshalb
den Schlußapplaus nicht abwarten.
P.P.S.:
Im April 2006 gibt es zwei vollständige "Ringe".
"Das
Rheingold"
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