Kurz
vor Weihnachten lassen sich allerorten Empfehlungen für CDs und DVDs finden.
Das dies auch an dieser Stelle geschieht, ist allerdings eher ein Zufall.
Es
begann mit der Ausstrahlung der Essener Aidsgala und der "Entdeckung"
eines Tenors. Keine Woche später steckte die DVD im Player - und heraus
kam sehr viel mehr, als ohnehin erwartet...
Die
im November 2005 an der Oper Leipzig aufgezeichnete und von Riccardo CHAILLY
geleitete Aufführung von "Un ballo in maschera" (Boston-Variante) ist
definitiv eine der besten Aufnahmen dieses Bühnenwerks.
Nicht
nur das präzise und unter Chaillys virtuosen Verdi-Dirigat schwelgerisch
aufspielenden GEWANDHAUSORCHESTER sowie der perfekt disponierte, wortdeutliche
CHOR DER OPER LEIPZIG (Leitung: Romano GANDOLFI + Sören ECKHOFF) und der
dazugehörende beeindruckende KINDERCHOR (Leitung: Sophie BAUER) sorgen
für die vollkommene Operneinspielung. Insbesondere auch die ausgesucht
harmonische Besetzung sorgt für stimmungsvolle wie erstklassige Interpretation.
Beginnend
mit Massimiliano PISAPIA, der seine Partie als lebensfrohen Filou charakterisiert,
und die Darstellung von dessen extravagante Eskapaden augen- wie ohrenscheinlich
genießt. Sein Riccardo ist agil, so romantisch wie mit kindlicher Freude
versehen, andererseits aber auch machbewußt, eitel und despotisch. Pisapia
singt die Partie schwärmerisch, aber jederzeit exakt, nimmt sich die Zeit
für lang gesungene Bögen, strahlende Höhen und wunderschöne Piani. Betörender
Tenorgesang mit den richtigen Vorbildern.
Traumhaft
auch die Interpretation Amelias durch Chiara TAIGI, die der Zerrissenheit
ihrer Figur weiten Raum in der Darstellung gibt und mit viel Leidenschaft
in der vollkommenen Identifikation bis hin zu Tränen um den einen als
auch den anderen Mann. Gesanglich steht sie ihren männlichen Kollegen
in nichts nach. Im Gegenteil mit imponierender Attacke und höhensicherem
Sopran behauptet sie sich, ohne daß die leisen Töne an Schönheit oder
Sicherheit verlieren würden.
Definitiv
ein Bariton für den zweiten Blick ist Franco VASSALLO, der sich von Akt
zu Akt steigert. Im ersten Akt noch amüsiert-genervt von den gouverneur'schen
Eskapaden sowie etwas verhalten gerät das "Eri tu" seines Renatos zum
fulminanten Schlüsselmoment des Abends. Stimmlich ist hier noch einiges
zu erwarten und vieles bereits deutlich zu hören. Allein die sauberen,
lange gehaltenen Höhen klingen verheißungsvoll.
Anna
Maria CHIURI setzt die Tradition der italienischen Mezzosoprane eindrucksvoll
fort. Ohne ihr Unrecht tun zu wollen, denkt man beim ersten Sehen /Hören
an die großen Sängerinnen der fünfziger und sechziger Jahre. Sowohl durch
ihre erstklassige Stimmführung als auch durch die auf minimale Gesten
und beeindruckende Mimik charakterisiert sie die Ulrica als Naturwesen
mit unheimlicher, seherischer Kraft. Brillant!
Einziger
Wermutstropfen in diesem sonst so makellosen Ensemble ist Eun Yee YOU,
der für Oscar neben der Geläufigkeit der Koloraturen auch das Händchen
für natürliches Spiel fehlt. Tuomas PURSIO (Samuel) und Metodie BUJOR
sind dagegen perfekt intonierende und amüsant spielende Verschwörer, die
stets genau den Grat zwischen Gefährlichkeit und Übermut abwägen. Hermann
WALLÉN holt aus der kurzen Partie des Silvano alles heraus und beeindruckt
mit seiner blitzsauberen Stimmführung. Daß Seung-Hyun KIM neben seinem
Kurzauftritt als Diener vor allem ein drolliger und sicher intonierender
Richter ist, ist schlicht das I-Tüpfelchen.
Keinesfalls
unerwähnt bleiben, sollte auch die immense Wortdeutlichkeit aller Solisten
sowie der Chöre.
Arnaldo
POMODORO (Bühnendesign + Kostüme) siedelte die Geschichte irgendwo zwischen
"Turandot", "Land des Lächelns" und "Babylon 5" an, wobei die gut gelösten
Szenenübergänge und das sparsame, aber praktikable Bühnenbild ausdrücklich
gelobt werden müssen. Riccardos Kostüm, Amelias Schleiermantel auf dem
Galgenberg sowie die Ballkostüme sind allerdings schlicht Zumutungen.
Es
ist schwer zu sagen, was an der Charakterisierung der einzelnen Figuren
nun vom Regisseur Ermanno OLMI erarbeitet wurde, und was dem Instinkt
des einzelnen Sängers entspringt. Die Bandbreite reicht von klassischem
Stehtheater bis hin zu höchst erotischen Momenten. Die Interaktionen zwischen
den einzelnen Sängern sind jedenfalls eindrucksvoll.
Kurzum,
eine nicht nur an einen (viel zu warmen) Winterabend begleitet von dem
einen oder anderen Becher Glühwein, sondern das ganze Jahr über und vor
allem immer wieder zu genießende Opern-DVD der Extraklasse. Kaufen, ausleihen
oder schenken lassen... AHS
EuroArts
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