Zu
Beginn sieht man einen älteren müden Mann mit grauen Haaren und Brille
in einer fast leeren Etagenwohnung. Er brüht sich einen Kaffee und lehnt
sich ermattet gegen die Wand. Sein Leben, die Geschichte der Suche nach
dem fenen Klang zieht an ihm vorbei, die Drehbühne dreht sich, wir sehen
ein Zimmer in den fünfziger Jahren (Bühne und Kostüme Mathis NEIDHARDT).
Die
junge Grete, ein Teenager mit Petticoat und Haarband, Fritz, ihr Freund,
ein ordentlicher junger Mann mit Wollpullover. Aber Fritz will weg aus
der kleinbürgerlichen Enge, er sucht den fernen Klang. Daß er dabei Grete
trotz ihres Bittens nicht mitnimmt, läßt das Drama seinen Lauf nehmen.
Denn kaum ist Fritz aus dem Haus kommt Gretes Vater, der alte Graumann,
mit seinen Saufkumpanen heim, er hat Grete an den Wirt beim Kegeln verspielt.
Wir werden Zeuge, wie die Männer in Gretes Unterwäsche wühlen, und der
Wirt sie beinahe vergewaltigt. Die Mutter steht stumm daneben.
Grete
will Fritz hinterher, findet ihn aber nicht mehr. Bei Franz Schreker findet
sie sich an einem See wieder, in dem sie sich ertränken will. Regisseur
Jens-Daniel HERZOG verzichtet auch auf diesen letzen Hauch von Romantik
und läßt die Szene in einem verdreckten Hinterhof spielen, der See wird
zur Pfütze, eine Glasscherbe zum Selbstmordinstrument. Ein altes Weib,
augenscheinlich aus dem Milieu, findet Grete und nimmt sie mit, man ahnt
nichts Gutes.
Herzog
versetzt die nächste Szene in die Siebziger, Grete ist der Star der venezianschen
Lebewelt. Fulminant schon hier die Wandlungsfähigkeit von Juliane BANSE.
Mit roter Langhaarmähne und in weißer Abendrobe ist sie kaum wiederzuerkennen.
Aber bei aller strahlenden Schönheit hat sie etwas Elegisches im Vergleich
zum feiernden Partyvolk um sie herum. Im Sängerwettstreit werben die Männer
um sie, gewinnen tut der wie zufällig vorbeikommende Fritz. Als der allerdings
erfährt, wie Grete die letzten zwanzig Jahre gelebt hat, stößt er sie
von sich.
Wieder
sind bei Herzog zwanzig Jahre vergangen, Fritz' Opus "Die Harfe" erlebt
seine Uraufführung, und Grete ist dabei. Auch diesmal ist sie kaum wiederzuerkennen.
Obwohl mittlerweile auf dem Straßenstrich tätig, hat sie sich für den
Abend zurecht gemacht. Wollrock, Twinset, graue Kurzhaarfrisur, Brille
und die Haltung einer pensionierten Bibliothekarin. Daß der Freier der
Nacht zuvor sie wiedererkennt, grenzt an ein Wunder. Grete hat ob des
Werkes einen Schwächeanfall gehabt und wird in die Theaterkantine gebracht.
Hier treffen wir alle alten Bekannten wieder: den alten Graumann, den
Wirt, Damen aus Venedig, alle bei einer kurzen Zigarette oder einem schnellen
Bier in der Auftrittspause. Das ganze Leben Gretes in einem Raum. Nur
Fritz ist nicht da, zu krank um der Premiere beizuwohnen.
Ihn
sehen wir in der Etagenwohnung vom Anfang, sein Leben, sein Stück sind
an ihm vorbeigezogen, nur Grete fehlt. Das Werk ist durchgefallen, Fritz
soll den Schluß neu schreiben, und als Grete auftaucht, und die beiden
sich zaghaft annähern, erkennt er, daß er nur mit Grete dazu in der Lage
sein wird. Er bricht in ihren Armen zusammen, tot.
Juliane
Banse und Roberto SACCÀ in den Hauptpartien sind ein Glückgriff. Stimmlich
die anspruchsvollen Rollen voll ausgestaltend, stehen sie auch darstellerisch
dem in nichts nach. Aber auch die vielen kleineren Partien sind überzeugend
besetzt. So Oliver WIDMER als der Graf, Tomasz SLAWINSKI als der Wirt,
Stefania KALUZA als altes Weib oder Morgan MOODY als alter Graumann/Rudolf.
Ingo
METZMACHER am Pult hat wieder einmal gezeigt, daß er einer der ganz großen
Schreker-Dirigenten ist. Die Mischung aus Zartheit und wuchtigem Überschwang
gelang eindrucksvoll, kein Ertränken des Klangs, keine kalte Analyse.
Große
Begeisterung beim Publikum dieser Nachmittagsvorstellung. KS
|