"Hernani"
von Victor Hugo war die Vorlage für Verdis 5. Oper und wurde 1844 von
Francesco Maria Piave adaptiert. Weder Hugo noch Piave nehmen es mit den
historischen Tatsachen ganz genau. Denn Don Carlo ist der blutjunge (16
Jahre!) Habsburger König Carlos I. von Aragon, dem der Titelheld den Rang
streitig macht. Denn Ernani ist eigentlich Don Juan d'Aragon, der eigentliche
Thronanwärter. Carlos wurde 1500 in Gent geboren, sprach normalerweise
flämisch, mäßig französisch und italienisch, kaum spanisch und ganz schlecht
deutsch. Deshalb war die Urkunde seiner Brüsseler Abdankung von 1555 lateinisch
abgefaßt.
Carlos
wurde zuerst neunzehnjährig zum deutschen König als Karl V. gewählt und
ein Jahr später zum deutschen Kaiser gekrönt und von Papst Clemens VII.
erst zehn Jahre später als römisch-deutscher Kaiser gesalbt. Er führte
mehrere Kriege gegen François I. von Frankreich und dessen Verbündeten,
Sultan Suleiman den Prächtigen. Außerdem mußte er sich noch mit Luthers
Reform und dem Schmakaldischen Bund herum schlagen. 1555 dankte der Kaiser
"in dessen Reich die Sonne nicht unterging" total erschöpft ab und starb
drei Jahre später in San Yuste in Estramadura. In Wien wurde 2000 dem
großen Habsburger mit einer großen Ausstellung gedacht.
Das
schon genügend komplizierte Libretto von Piave kommt allerdings nicht
an die historische Geschichte heran. Denn das Libretto dreht sich essentiell
um Elvira, die gleich von drei Männern geliebt wird, aber nur den "Banditen"
Ernani will. Das Libretto ist dramatisch sehr wirkungsvoll und der grad
dreißigjährige Verdi hat hier seine ganze Meisterschaft der Melodie, Instrumentation
und dramatischer Inspiration geliefert. Es ist sehr schade und unverständlich,
daß diese prächtige Oper nur selten gespielt wird. Denn was es hier an
Cabaletten, Stretten, Kavatinen und großen Ensembles gibt, kann sich mit
der ersten großen Trilogie messen, ebenso die dramatische Verarbeitung
mit "Simone Boccanegra" oder "Otello". Die vielfache solistische Verwendung
von Trompeten und Klarinetten ist höchst stimulierend.
Die
Zürcher Aufführung war hervorragend. Die Inszenierung von Grisha ASAGAROFF,
Zürichs Hausregisseur, war klassisch und opulent, ohne jeden Versuch,
dem Publikum etwas erklären zu wollen. Abgesehen davon, daß das viel zu
weit ginge, hat das Publikum es kaum nötig "belehrt" zu werden. Das Bühnenbild
von Dante FERRETTI bedurfte deshalb keiner Videos und anderen Unfugs.
Das gilt auch für die Kostüme von Gabriella PESCUCCI, nach Bedarf prächtig
oder dezent. Jürgen HOFFMANN zeichnete für die passende Beleuchtung.
Altmeister
Nello SANTI dirigierte stehend und auswendig die ganze Oper ohne Partitur
und arbeitete den Schwung dieser fulminanten Musik perfekt heraus. Das
ORCHESTER DER OPER ZÜRICH folgte ihm auf einen kleinen Fingerzeig oder
einen Blick und der von Jürg HÄMMERLE einstudierte CHOR sang prächtig
und spielte auch dazu sehr passend.
Die
Sänger waren ohne Ausnahme ausgezeichnet und bereits der 1. Akt brachte
wahre Feuerwerke. Die äußerst schwierige und anstrengende Titelrolle sang
Salvatore LICITRA sehr gut. Aber wie in "Aïda" kommt der arme Tenor auf
die Bühne und muß sofort eine große Arie schmettern. Deshalb war seine
Auftrittsarie "Come rugiada al cespite" ziemlich eng und halsig gesungen.
Er sang sich aber rasch frei, und die restliche Aufführung war sehr gelungen.
Zumal der Italo-Schweizer mit sehr viel Einsatz singt und ausgezeichnet
spielt, was eine sehr glaubhafte Darstellung des Ernani ergab.
In
der kaum weniger schwierigen Rolle der Elvira war Joanna KOZLOWSKA ausgezeichnet.
Die Sängerin, die ich vor einigen Jahren noch als sehr gute Mozart-Sängerin
kannte, hat sichtlich im italienischen spinto Fach ihre wahre Berufung
gefunden. Bereits in ihrer Cabaletta "Ernani, Ernani, involami" konnte
man ihre stimmlichen Qualitäten erkennen, die sie im Laufe des Abends
bestätigte.
Als
König Don Carlos I, der heimlich in Silvas Haus eindringt, um Elvira zu
verführen und dann Kaiser Karl V. wird, war Thomas HAMPSON absolut umwerfend.
Bereits das erste Duett mit Elvira war ein Feuerwerk. Im 3. Akt war der
grübelnde Monolog "Gran Dio! ... Oh, de' verd'anni miei" vor dem Grabmal
Karls des Großen (das doch in Aachen ist und nicht in Spanien, aber das
stört doch Piave nicht!) ein Triumph für den hünenhaften Amerikaner.
Als
weiterer Gegner Ernanis war Carlo COLOMBARA als sehr sturer, aber würdiger
Da Silva zu erleben. Sein Auftritt, wo er Carlo und Ernani bei Elvira
findet ("Infelice!"), gefolgt von "L'offeso onor, signori, inulto non
andrà") war sehr eindrucksvoll. Bis der königliche Bote Don Riccardo (Miroslav
CHRISTOFF) als Deus ex machina mit "Sol fedeltate e omaggio al re si spetta"
den König erkennt. Das dreht die Handlung völlig um und führt in einer
Stretta mit Solo-Trompeten zu einem der fabelhaftesten Finale Verdis.
Das zweite Finale endet mit Ernanis Horn-Übergabe an Silva und dem fulminanten
Rache-Duett "Sangue! Vendetta!". Die ganze restliche Aufführung war von
derselben ungewöhnlichen Dichte und wurde mehrmals von Szenen-Applaus
unterbrochen.
Giuseppe
SCORSIN als Jago und Huiling ZHU als Giovanna, die vergeblich versuchte,
Don Carlo aus Elviras Gemach zu verscheuchen, waren rollendeckend.
Triumphaler
Applaus für alle Künstler, vor allem für die Zürcher Publikumslieblinge
Nello Santi und Thomas Hampson. wig.
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