Das
"Dramma giocoso" "Don Giovanni" ist an der Grenze zwischen todernstem
Drama und liederlicher Zwiespältigkeit. Regisseur Sven-Eric BECHTOLF hat
sichtlich eine gewisse Ehrfurcht vor Da Pontes Libretto und noch mehr
vor Mozarts Musik. Er beruft sich im Programm auf Kierkegaard und macht
einige Bemerkungen über die Zeitlosigkeit des Werks und der Typisierung
der Personen und stellt mehrere Fragen: "Kann man das inszenieren?" und
beantwortet sie alle mit "Nein" oder "Kaum". Man fragt sich, weshalb er
die Inszenierung überhaupt unternommen hat!
Daher
ist die Verlegung der Handlung in eine Mafia-Gesellschaft, wo immer einige
Herren in weißen oder schwarzen Smokings und offenen Messern und leicht
geschürzte Damen herumlaufen, eher lächerlich. Bechtolf sind zu allem
Überfluß auch einige schwere Schnitzer unterlaufen: Donna Anna singt ihre
Rachearie "Or sei chi l'onore" wie angeschraubt auf einer Plüschbank,
turnt dann herunter und ist noch auf der Bühne, wenn Don Ottavio das Rezitativ
seiner Arie beginnt; Zerlina singt "Batti, batti, mio Masetto" alleine
in dürftiger Kleidung und Masetto erscheint erst am Ende der Arie.
Die
Mafiosi mimen Bäume in der Verkleidungsszene zwischen Donna Elvira und
Leporello in strahlendem Licht, was die Verwechslung völlig lächerlich
macht. Die Verwandlung des "steinernen Gastes" in eine afrikanische Holzskulptur,
anscheinend ein Fruchtbarkeitssymbol, die von einer mehrmals herum geisternden
schwarzen Schönheit in weißem Kleid auf eines der Sofas gestellt wird,
ist wohl das Absurdeste was ich gesehen habe. Aus dem Bauch der Statuette
entnimmt dann Leporello einen Zettel, auf dem Inschrift des Grabmals zu
lesen ist!
Das
Einheits-Bühnenbild von Rolf GLITTENBERG schwankte zwischen kitschig und
schäbig: links eine Reihe von kupferfarbenen Blech-Wänden und rechts mehrere
kitschige Leuchten, Im tiefsten Hintergrund (d.h. von Seitensitzen nicht
zu sehen) ergänzte ein unnötiges Video der im Vordergrund spielenden Handlung
seitenverkehrt. Mehrere blaue Plüsch-Sitze und -Sofas dienten für alles:
Sitze, Liegen, aber auch als Grabsteine, auf denen bisweilen Sänger saßen
und auf ihren Auftritt warteten. Mehreren Zwecken diente auch eine dunkelgrüne
Bar, als Anrichte, Masetto versteckte sich auch dahinter oder Leporello
fütterte stehend Don Giovanni mit Spaghetti (sehr unappetitlich). Die
Kostüme von Marianne GLITTENBERG waren passend, obwohl die Tänzerinnen
meist nur mit einigen Fähnchen bekleidet waren.
Stefano
GIANETTIs Choreographie beschränkte sich darauf, die jungen Damen in Unterwäsche
zu beschäftigen und die messerstechenden Herren zu reihen. Im Finale des
1. Akts war der Pinguin-Mambo zum Menuett allerdings schon "too much".
Die durchwegs gleißend helle Beleuchtung hatte Jürgen HOFMANN gemacht,
anscheinend auf des Anweisung des Regisseurs!
Um
so erbaulicher war die musikalische Seite der Aufführung. In Zürich ist
Theodor GUSCHLBAUER durch die Vorstellungen der Saisoneröffnungen in Winterthur
bekannt und beliebt und zeigte sich von seiner aller besten Seite. Bereits
die Ouvertüre war straff und spannend dirigiert. Er hielt die Präzision
und Steigerung während der ganzen Vorstellung durch und gab den Sängern
praktisch jeden Einsatz. Das Masken-Terzett und die Finales waren besonders
gelungen! Der CHOR (ausgezeichnet und präzise einstudiert von Ernst RAFFELSBERGER)
und das ORCHESTER DER OPER ZÜRICH folgten dem Dirigenten mit hörbarer
Begeisterung.
Die
Sänger waren durchwegs hervorragend. In erster Linie ist der phänomenale
Don Giovanni von Carlos ALVAREZ zu nennen. Man glaubt dem Spanier jeden
Augenblick den Erfolg bei den mille e tre Spanierinnen, denn er spielt
mit größter Überzeugungskraft. Was aber besonders besticht, ist die hervorragende
stimmliche Leistung. Er singt von Anfang an mit voller Stimme, keinerlei
Bruch im Registerwechsel und singt nach dreieinhalb Stunden ein hohes
"A" ohne zu forcieren, als wäre er ein Heldentenor! Einfach umwerfend!
Sein
Leporello war Ruben DROLE, ein hervorragender junger Bariton mit prachtvoller
Stimme und klugem Spiel zwischen Unterwürfigkeit und Aufmüpfigkeit. Elena
MO?UC war eine hervorragende Donna Anna. Sie sang ihre Rachearie stimmlich
perfekt mit großer Wut und das Rondo des 2. Akts war verhalten, ja innig.
Malin HARTELIUS meisterte die schwierige Rolle der Donna Elvira mit wunderbarer
Phrasierung und ausdrucksvollem Spiel, immer an der Grenze zwischen Verzweiflung
(hinreißend "Mi tradi") und possessiver Liebe.
Um
15h sprang der junge Schweizer Bernard RICHTER für den erkrankten Christoph
Strehl als Don Ottavio ein und machte seine Sache ausgezeichnet, obwohl
er mit einer blöden grau-weißen Perücke bedacht war. Das alterte ihn zwar
(wozu?), aber sein jugendlicher Tenor und die hervorragende Phrasierung
widersprachen seinem Kostüm. Als Komtur punktete Alfred MUFF mit seinem
Prachtbaß. Die entzückende Laura GIORDANO sang die Zerlina, mit wunderbar
geführter Stimme und Ausdruck, sowie jugendlichem Charme. Als ihr geliebter
Masetto war Reinhard MAYR hervorragend, denn seine Stimme und Darstellungskraft
ist sicher "zu Höherem" berufen. In ein paar Jahren ganz sicher ein sehr
guter Holländer.
Ein
musikalisch wunderbarer Abend, den das Zürcher Publikum, trotz der dämlichen
Inszenierung, mit ganz großem Applaus bedachte. wig.
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