Als
allerletzte Vorstellung der insgesamt nicht wirklich befriedigenden Saison
2005/2006 gelangte nochmals die vor einer Woche als Festspielpremiere
gezeigte Oper "Tiefland" zur Aufführung.
Nach
mehrmaligem Hören vermag die musikalische Umsetzung immer mehr zu überzeugen.
Auch wenn Eugène d'Albert eine eigene Handschrift abgesprochen werden
muß, er versteht es meisterhaft, überall etwas zu entlehnen. Sei es nun
beim übermächtigen Wagner (den er eigentlich explizit vermeiden will),
sei es bei Puccini, Mascagni, Bizet oder bei Operetten- und Liedmelodien
sowie Folklore, alles ist perfekt miteinander verwoben und ergibt - trotz
des "déjà-vu"-Erlebnisses - ein durchaus spezielles und gekonntes Klangbild.
Dies
ist nicht zuletzt dem GMD der Zürcher Oper, Franz WELSER-MÖST, zu verdanken,
der an diesem Abend seinem ORCHESTER noch schmelzendere Klänge und blühendere
Farben entlockte als in den vorher besuchten Vorstellungen. Die Musik
wurde zum narkotisierenden Schwelgen; das Orchester spielte hervorragend,
die Holzbläser betörend, und alleine deswegen lohnte sich der Besuch.
Ebenfalls
hervorragend schlugen sich die Protagonisten nach einer schweren Woche
mit vier Vorstellungen eines anspruchsvollen Werkes, allen voran ein unvergleichlicher
Peter SEIFFERT in der Rolle des tumben (??) Hirten Pedro. Diese Rolle
ist ihm auf den Leib (und die Stimme) geschneidert. Von den zartesten
lyrischen Pianotönen bis hin zum dramatischen Ausbruch wagnerschen Ausmasses,
von der Naivität bis zur Erkenntnis - alles vermochte Seiffert in seine
Stimme zu legen. Schade, daß er- trotz hervorragender Diktion - mit dem
Text ("wie üblich", möchte ich fast sagen), bisweilen seine liebe Mühe
hatte. Das führte manchmal zu unschönen "Dialogen" mit dem Souffleur.
Seine
Angetraute Marta (Petra Maria SCHNITZER) war nach dieser arbeitsintensiven
Zeit der Proben und Aufführungen nicht mehr ganz so souverän wie an der
Premiere, einige hohe Töne gerieten ihr etwas schrill. Aber sie überzeugte
ansonsten durch ihre Darstellung und stimmlichen Kapazitäten vollauf und
zeichnete ein überzeugendes Rollenportrait dieser zuerst devoten, dann
jedoch aufbegehrenden Frau.
Mit
dem bösen Sebastiano (Großgrundbesitzer, der sich Marta als Minderjährige
zur Geliebte nahm, indem er ihre Lage schamlos ausnutzte und der sie jetzt
- um eine reiche Frau heiraten zu können - mit Pedro vermählt, nicht ohne
weiterhin auf sie "zugreifen" zu wollen) konnte man nach langer Zeit wieder
Matthias GOERNE in einer Opernrolle auf der Bühne sehen. Für mich nicht
ganz befriedigend, denn seine Stimme sitzt mir zu tief hinten in der Kehle,
und die Tessitura des Stücks scheint ihm nicht wirklich zu liegen. Die
hohe Lage meisterte er eindrücklich, da befand sich die Stimme auch wieder
in der Maske und konnte aufblühen. Die tiefe Lage geriet jedoch nicht
nach Wunsch. Auch fehlte es ihm meines Erachtens an darstellerischer Bösartigkeit
und Schleimigkeit. Allerdings muß neidlos zugestanden werden, daß ihm
seine Liederfahrung sehr zustatten kam (vor allem bei dem Tanzlied "Hüll
in die Mantille dich fester ein…").
Lászlo
PÓLGAR als Tommaso, Rudolf SCHASCHING als Nando sowie vor allem Eva LIEBAU
als überragende naive Nuri seien aus dem Ensemble speziell hervorgehoben.
Die
Inszenierung vom designierten Burgtheater- und jetzigen Zürcher Schauspielhausdirektor
Matthias HARTMANN überzeugt auch beim dritten Mal nicht. Er verlegt den
ersten Akt aus den Pyrenäen in ein Klon-Labor. Tommaso (Ältester der Gemeinde)
wird zum Laborleiter, der versucht, die Geisteswelt von Personen zu erfassen.
Sebastiano ist Herr über ein Wirtschaftsimperium. Er wählt aus diesen
Gefühlswelten diejenige von Pedro aus, um ihn seiner Marta zum Mann zu
geben. Klingt abstrus und ist es auch, auch wenn die Videoprojektionen
von Berglandschaften und Schafen durchaus ihren Reiz haben und im Gegensatz
zu denjenigen in Hartmanns erster Regie "Die verkaufte Braut" zumindest
ob der Fülle die Zuschauer nicht ermüden.
Die
zwei anderen Akte hingegen bebildern in durchaus gekonntem Handwerk nur
noch das Libretto. Da offensichtlich kein schlüssiges Ende herbeigeführt
werden konnte, schiebt Tommaso seine "Gefühlsmaschine" einfach in das
Bühnenbild (das Innere einer Mühle) hinein, und Pedro und Marta lassen
sich wieder in die imaginäre Bergwelt zurückversetzen. Was meiner Meinung
nach absolut keinen Sinn macht; denn warum soll ausgerechnet das "wandelnde
Gewissen" Tommaso diesen Akt vollziehen?
Das
Fazit hat sich gegenüber der Premiere noch verstärkt: eine absolut musikalisch
gelungene Wiederentdeckung eines hörenswerten Werkes (wenn auch sicherlich
kein Meisterwerk!) mit hervorragender Sängerleistung. Die Inszenierung
stört zwar nicht weiter und hat einige gute Ansatzpunkte. Man kann sich
jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß Hartmann sich des Stücks nicht
wirklich annimmt - vor allem, wenn das Gerücht stimmt, daß die Personenführung
- die zum Stärkeren der Inszenierung gehört - allein das Verdienst der
Sänger ist… Chantal Steiner
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