Kann
man ein Werk, dessen Libretto verschollen ist, das keine Ouvertüre, keine
Dialoge und kein Ende besitzt, aufführen? Man kann, wie im Opernhaus am
Montag zu sehen und hören war.
Nikolaus
HARNONCOURT, bekannt für seine unermüdliche Forscherarbeit, wagte das
Unterfangen und brachte mit seinem CONCENTUS MUSICUS Mozarts Fragment
„Zaide (Das Serail)“ konzertant zur Aufführung. Anstelle der Ouvertüre
wurde die Sinfonie Es-Dur KV 184 aus dem Jahre 1773 vorangestellt. „Zaide“
wurde 1779/1780 komponiert. Aus den wenigen Passagen im Briefwechsel Mozarts
mit seinem Vater geht hervor, daß er mit dem Text des Librettisten Johann
Andreas Schachtner wohl nicht zufrieden war. Weil ihm dann zudem noch
das Libretto der „Entführung“ angetragen wurde, wird sich Mozart wohl
gedacht haben, daß zwei ähnliche Handlungen nicht aufführbar sind. Warum
allerdings die ganzen Dialoge unauffindbar sind, bleibt wohl für immer
ein Rätsel.
Die
Handlung erinnert stark an die „Entführung“, wenn auch der Sultan Soliman
(zumindest in dem verfügbaren Material) keine Wendung zum Weisen vollzieht,
sondern Rache schwört und unbeugsam bleibt.
Daß
Harnoncourts Unterfangen gelang, verdankt er nicht zuletzt dem Schauspieler
Tobias MORETTI, in Zusammenarbeit mit Veronika ZIMMERMANN. Moretti, der
für die Textkonzeption und –fassung verantwortlich zeichnet, fungiert
als Sprecher und übernimmt so – in Ermangelung der Dialoge – die Rolle
des erläuternden Bindegliedes zwischen den einzelnen Musikstücken, die
jedoch wie aus einem Guß wirken. Er agiert erfreulicherweise unprätentiös,
aber mit großer Bühnenpräsenz, und seine Texte sind ironisch, bisweilen
satyrisch, manchmal „politisch unkorrekt“, bissig, einfühlsam, berührend.
Sie verleiten zum Schmunzeln, Lachen wie auch zum Nachdenken. Eine reife
Leistung! Erfreulicherweise ließ auch er das Ende offen, so daß jede(r)
weiter rätseln konnte...
Den
Eingangschor sang der Concentus Musicus gleich selbst (wie Moretti schmunzelnd
mitteilte, um einen „eigentlichen“ Chor einzusparen). Er spielte überzeugend
auf, der Streicherklang ist von hervorragender Qualität und die Musiker
folgen dem feurigen Diktat von Harnoncourt mit Hingabe. Auch die leisen
Passagen wurden auf den alten Instrumenten vorbildlich zur Geltung gebracht.
Michael
SCHADE (Gomatz) tritt mit einem so genannten „Melolog“ auf. Es mutet seltsam
und ungewohnt an, daß ein Tenor seine erste Arie sprechend absolviert…
Schade ist ein anerkannter Mozart-Sänger, der sichtlich Freude an der
Rolle hatte und der sängerisch keine Wünsche offen ließ. Eva MEI (Zaide)
verfügt über eine eher kleine, in der Höhe etwas enge Stimme, vermag mich
aber immer wieder durch ihre Zerbrechlichkeit zu bezaubern. Für die dramatischeren
Passagen fehlt ihr allerdings das stimmliche Durchsetzungsvermögen.
Matthias
GOERNEs Stimme (Allazim) ist etwas gewöhnungsbedürftig; er verfügt aber
über eine erstaunlich profunde untere Lage und kann aus dem Vollen schöpfen.
Die Stimmfarbe ist etwas eindimensional, allerdings sind Diktion und Stimmführung
perfekt. Herbert LIPPERT (Soliman), kurzfristig für den erkrankten Rudolf
Schasching eingesprungen, überzeugte stimmlich wie darstellerisch als
emotionaler Sultan. Anton SCHARINGERs Kurzauftritt als Osmin (auch den
gibt’s hier!) mit der sogenannten „Lacharie“ wurde zum großen Erfolg.
Er trumpfte großartig auf, und die Drohgebärden zwischen ihm und Harnoncourt
waren köstlich.
Ein
wirklich spannender Abend und eine Neuentdeckung, die sich lohnt. Das
Publikum bedankte sich mit frenetischem Applaus. Hoffentlich denkt jemand
daran, diese Aufführung auf CD dem Publikum zugänglich zu machen. Chantal
Steiner
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