Leider
war auch die 2. besuchte Vorstellung dieser Neuproduktion eine Enttäuschung.
Die
musikalische Leistung war in vielem noch schlechter als an der Premiere,
und die Inszenierung von Nicolas JOEL konnte auch beim näheren Hinsehen
nicht überzeugen. Zuviel wird hier dem Zufall überlassen. Eine historisch-kitschige
Darstellung des Geschehens reicht in der heutigen Zeit ganz einfach nicht
aus, zumal der Text, welcher in der deutschen Übersetzung eingeblendet
wird, einem zum Teil die Nackenhaare zu Berge stehen läßt.
Da
findet man eine solche Verherrlichung des Krieges wie "Vergessen wird
nur, wer als Feigling stirbt; dem tapferen Soldaten, dem wahrhaft Tüchtigen
ist die Krone des Ruhmes, der Ehre gewiss! Schön ist der Krieg! Es lebe
der Krieg!" oder "Wer das Paradies will, der entflamme seinen Mut und
rüste zum Sieg über den barbarischen Eindringling". Kommt einem das in
der heutigen Zeit nicht irgendwie bekannt vor? Daß man dies ganz ohne
Hinterfragen oder zumindest Ironie auf die Bühne bringt, erscheint mir
doch eher fragwürdig. Nichts gegen eine "konventionelle" Inszenierung,
wenn sie denn stimmt.
Aber
hier wurden einfach nur "schöne" Bilder produziert, die Sängerinnen und
Sänger sich selbst überlassen (was zu den operntypischen Gesten führte,
die bisweilen ganz einfach nur lächerlich waren, z.B. "ich ziehe meinen
Degen und singe meine Arie" oder "ich falle nach meiner Arie in Ohnmacht,
nach dem Applaus stehe ich ganz schnell wieder auf"…), der Chor hübsch
zum Gruppenbild drapiert etc. etc. Zudem ist der Schluss absolut widersinnig.
Leonora steht in einem Laufkäfig auf der Bühne, der auf der hinteren Seite
offen ist. Alvaro kommt zu ihr ans Gitter, irgendjemand läutet die Glocke
(!), und Don Carlo kommt sterbend zu Leonora und ersticht sie… Wenn schon
konventionell, dann bitte aber durchgehend richtig!
An
der Premiere hatte mich Vincenzo LA SCOLA in seinem Rollendebüt als Alvaro
noch positiv überrascht, auch wenn die Höhen bisweilen schwierig waren
und die Intonation zu wünschen übrig ließ. Nun, acht Vorstellungen später
(Premiere war am 16. Oktober!), mußte man mit Entsetzen feststellen, daß
seine Stimme erheblichen Schaden genommen hat. Die Höhen sprangen gar
nicht mehr an und waren mit Hauch belegt, die Stimme klang bisweilen brüchig,
und die Intonation war noch problematischer. Es ist extrem schade um diese
Stimme, die eigentlich einen schönen Klang besitzen würde, aber eindeutig
im falschen Fach angesiedelt ist. Einzig die - zwar künstliche abgedunkelte
- Mittellage war noch schön. La Scola versteht es zwar zu phrasieren,
Piano zu singen und zu gestalten - aber leider reichen die technischen
Mittel nicht aus, um einen würdigen Don Alvaro darzustellen.
Leo
NUCCI, der Don Carlo singt, ist in dieser Rolle ganz einfach nicht mehr
glaubwürdig (vor allem nicht im 2. Akt, wo er einen Studenten verkörpern
soll). Die Arie "Son Pereda, son ricco d'onore…" sang er dementsprechend
blaß und ohne Biß. Immerhin versuchte er, sein "Bellen" in der ganzen
Vorstellung zurückzunehmen, was jedoch dazu führte, daß er bisweilen von
Nello SANTI übertönt wurde. Im Grossen und Ganzen war es für mich eine
enttäuschende Leistung und eine einfallslose Gestaltung der Partie.
Die
Leonora von Joanna KOZLOWSKA überzeugte mich nur in den lyrischen Passagen
und im Piano, dort hat sie so etwas wie Stimmkultur. Alles andere wird
monochrom vorgetragen, bisweilen habe ich immer noch den Eindruck, sie
weiß nicht wirklich, was sie singt. Und für mein Empfinden attackiert
sie in den dramatischen Passagen zu sehr, sie verfügt dann über zuviel
Metall, und auch bei ihr hapert es mit der Intonation ganz gewaltig.
Stefania
KALUZA als Preziosilla ist zu sehr "Leichtgewicht"; sie versucht, mit
"neckischem" Rockheben und Arme-in-die-Taille-Stemmen eine richtige Zigeunerin
zu geben. Es gelingt nur ein müder Abklatsch einer Ponnelleschen Carmen.
Stimmlich fehlt mir die Sinnlichkeit, das Volumen einer d'Intino, Naef
o.ä.
Paolo
RUMETZ' Fra Melitone wird auf typisch italienische Buffo-Bariton-Manier
gegeben; derb, chargierend und mit Holzhammer. Daß er zudem meist Fortissimo
sang, und dies zu einer ausgesprochen häßlichen Stimmfarbe führte, nahm
mich nicht unbedingt für ihn ein. Einziger Lichtblick war wiederum der
Padre Guardiano von Matti SALMINEN: ruhig, balsamisch, minimalistisch
zwar, aber durch sein Charisma zog er sofort die gesamte Aufmerksamkeit
auf sich.
Nello
Santis Dirigat war - wie so häufig in den letzten Jahren - zwar routiniert,
aber nicht sonderlich inspiriert. Das ORCHESTER spielte (bis auf einige
Patzer in den Bläsern) hervorragend. Hervorzuheben sind die Soloeinlagen
von Hanna WEINMEISTER (Konzertmeisterin) und Robert PICKUP (Klarinette).
Der CHOR (vor allem der Männerchor) hinterließ wiederum einen vorzüglichen
Eindruck.
Schade
um die schöne Musik! Allerdings muß der Gerechtigkeit halber gesagt werden,
daß sehr viele Operngängerinnen und -gänger Freude an der Vorstellung
hatten. Man mußte sich nichts dabei denken, und das Niveau wäre in anderen
Häusern bestimmt als gut eingestuft worden. Allerdings ist es immer so
eine Crux, wenn man deklariert, ein Spitzenhaus zu sein - dann sind halt
auch die Anforderungen höher, die man erreichen muß. Chantal Steiner
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