Die
Inszenierung von Jürgen FLIMM, welche 1999 Premiere hatte, wurde nach
längerer Zeit wieder aufgenommen und wieder einmal hervorragend und liebevoll
von Claudia BLERSCH einstudiert. Die Produktion, die im Amerika der fünfziger/sechziger
Jahre spielt, und Riccardo wohl als eine Art John F. Kennedy zeigen soll,
wurde leider etwas „amputiert“ - die unpraktischen Kameraschienen, welche
Videokameras das Drehen der Todesszene ermöglichten, aber für die Protagonisten
im wahrsten Sinne des Wortes Stolpersteine bildeten, wurden entfernt.
Somit fielen aber eben auch die starken Bilder der Schlußszene weg, die
nun nicht mehr von der sensationslüsternen Presse direkt übertragen werden
konnten. Im Hintergrund flimmerten auf der Projektionsleinwand nur noch
Sterne.
Die
Inszenierung hat ihre Aktualität bewahrt, ist aber doch kein allzu großer
Wurf. Ich finde es immer störend, wenn aus bühnenpraktischen Gründen (z.B.
um Platz für einen Chorauftritt zu schaffen, oder um den Blick auf eine
Projektionsleinwand freizugeben, die man auf dem 2. Rang sowieso nicht
mehr sieht) mitten in einer Szene die Kulissen verschoben werden, was
hier häufiger vorkam. Auch ist eine zeitliche Versetzung eines historischen
Stückes nicht ganz unproblematisch. Man kann Riccardo als Präsidenten
der Vereinigten Staaten deuten, aber wenn dann „S’avanza il Conte“ gesungen
wird, klingt das doch eher seltsam. Auch wenn sich der Präsident/Conte
als „pescator“ verkleidet und dafür die Jacke, Mütze und Sonnenbrille
eines NYPD-Cops anzieht, sieht er eher nach „Village People“ als nach
einem Fischer aus. Solche Ungereimtheiten ärgern mich immer wieder, aber
darüber sollte ich wohl hinwegsehen.
Ansonsten
kann man mit der Inszenierung durchaus leben, vor allem, wenn man über
einen solchen Ausnahme-Riccardo verfügt, wie ihn das Opernhaus in dieser
Wiederaufnahme hatte. Marcelo ALVAREZ, den ich bisher erst einmal live
als „Faust“ in München erlebte, ist seinen Weg konsequent weitergegangen.
Endlich wieder ein Tenor, der keine Mätzchen macht, der technisch ohne
Fehl und Tadel ist, über Schmelz und Metall verfügt, auf Linie singt,
betörende Piani genauso wie bombensichere Höhen präsentiert, eine hervorragende
Diktion besitzt und auch weiß, was Diminuendi sind, Gefühl ausdrücken
kann und sich erst noch völlig natürlich bewegt! Herz, was begehrst du
mehr? Verdi-Puristen mögen vielleicht einige Schluchzer bemängeln; mich
stören sie in keiner Weise.
Störend
an der Vorstellung empfand ich allenfalls, daß ihm mit Roberto SERVILE
nur ein bestenfalls mässiger Renato zur Seite stand. Die Stimme ist brüchig,
langweilig, ohne Farben - und die opernhaften, chargierenden Bewegungen
konnten mich für ihn auch nicht erwärmen. Entgegen allen Erwartungen gefiel
mir Michèle CRIDER gut, auch wenn sie bisweilen sehr schrill ist. Aber
die Piani sind sehr schön und berührend. Nach der 2. Szene des 2. Aktes
(Szene am Galgenhügel) stand auf alle Fälle das Publikum Kopf. Zwischen
Riccardo und Amelia stimmte an diesem Abend alles.
Sehr
gut war auch Sen GUO als Oscar, auch wenn sie leider textunverständlich
blieb. Aber ihr heller, leichter Sopran war der Aufgabe bestens gewachsen
und auch darstellerisch blieben keine Wünsche offen. Die Ulrica von Stefania
KALUZA konnte mich nicht gänzlich überzeugen. Auch wenn sie über ein schönes
Material und über eine gute Bruststimme verfügt, so fehlt mir für diese
Rolle doch das Volumen, vor allem im tiefen Register. Dies führte dazu,
daß das Orchester sie manchmal gar zudeckte, was aber nicht am Dirigenten
lag.
Der
Chor erledigte seine Aufgabe souverän, die kleineren Rollen waren adäquat
besetzt, auch wenn ich persönlich mit Peter KALMAN (nicht nur als Silvano)
herzlich wenig anfangen kann.
Das
Orchester unter Stefano RANZANI war wach und präsent, und auch wenn die
Lesart nicht gerade eine Offenbarung war, so war es doch ein traditionell-italienischer
Verdi-Abend mit flottem Tempo und ohne Langeweile.
Man
kann nur hoffen, daß Alexander Pereira Marcelo Alvarez vermehrt nach Zürich
holt! Chantal Steiner
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