Das
bereits bewährte – wenn auch nicht gänzlich unumstrittene – Leadingteam
Franz WELSER-MÖST/Sven Eric BECHTOLF/Rolf und Marianne GLITTENBERG
(welchen 2007 an der Wiener Staatsoper der neue „Ring“ und vorgängig eine
„Arabella“ anvertraut wurden) brachten am Sonntag Debussys „Pelléas und
Mélisande“ zur Aufführung.
Das
Werk war auf speziellen Wunsch des ehemaligen Musikalischen Chefs der
Zürcher Oper und jetzigen „Principal Conductor“ ins Programm aufgenommen
worden, obwohl es wohl allen klar war, daß es kein „Blockbuster“ werden
würde. Zu speziell, zu konfus, für manche zu langweilig dürfte es für
„Otto-Normalverbraucher“ sein.
Das
Haus war demzufolge auch nicht restlos besetzt, und nach der Pause lichteten
sich die Reihen stark. Hatte die Inszenierung sie verschreckt? Das Inszenierungsteam
mußte ein Bravo- und Buhkonzert über sich ergehen lassen, wobei die Bravo-Rufer
meines Erachtens doch deutlich in der Überzahl waren.
Gänzlich
unumstritten war die musikalische Leistung. Berechtigte „Bravo“ und starker
Applaus für das Orchester und seinen Chef und praktisch alle Sänger, wobei
Michael Volle als Golaud als „Sieger“ hervorstach.
Aber
eins nach dem anderen:
Die Inszenierung siedelt das Geschehen in einer irrealen (Traum-)Welt
an. Die scheinbar banale Dreiecksgeschichte (älterer Prinz verliebt sich
in unbekanntes Mädchen, bringt sie nach Hause in ein düsteres Schloß,
wo sich der jüngere Halbbruder in sie verliebt. Der wiederum wird dann
vom Ehemann ermordet; das Mädchen stirbt, nachdem sie von einer Tochter
entbunden wurde, an gebrochenem Herzen) ist jedoch komplexer, als es auf
den ersten Blick erscheint. Debussy und der Textdichter Maeterlinck waren
Künstler, die sich immer von der industrialisierten Welt in eine Traumwelt
zurückzogen. Der Text von Maeterlinck ist bisweilen so verrätselt, daß
manche Deutung zugelassen werden kann; desgleichen kann man auch von Debussys
Musik behaupten.
Ich
hatte persönlich am Anfang ziemlich Mühe damit, denn ich versuchte, die
symbolträchtige Bildsprache quasi mit dem Verstand zu enträtseln. Auf
der Bühne werden die Personen mittels Puppen verdoppelt. In den meisten
Fällen wird der Dialog über diese Puppen gesucht; ein sicherlich für die
Sänger nicht einfaches Unterfangen, das aber die Beschränktheit der Kommunikation,
das Gefangensein der Gefühle, in vortrefflicher und beklemmender Art und
Weise zum Ausdruck bringt. Einzig wenn die wahren Gefühle zum Vorschein
kommen, suchen die Sänger den direkten Kontakt.
Mich
irritierte die scheinbare Unlogik der Inszenierung bis zu dem Zeitpunkt,
als ich mich plötzlich in einem Traum wähnte (auch meine Träume sind jeweils
so konfus und scheinbar unlogisch!). Der Traum entpuppte sich mit der
Zeit als Albtraum; die Inszenierung war aber von diesem Moment an absolut
schlüssig. Sie ist für mich schwer in Worte zu fassen und zu schildern
(bin gespannt, wie das die Profis machen); sie fuhr bei mir aber voll
in die Magengrube. Womöglich hatten die Leute, die sich in der Pause auf
den Heimweg machten, später buhten oder sich anschließend lauthals über
diesen „Unsinn“ ereiferten, genau damit ihr Problem. Denn wie immer bei
diesem Regie-Team war die Inszenierung sehr ästhetisch, sehr genau, auf
die Musik gerichtet und liebevoll; aber sie hielt einem bisweilen einen
Spiegel vor die Nase und verlangte, daß man sich ihr „hingab“. Die Bewegungen
waren meist zeitlupenmässig, was den Eindruck des irrealen Traumes noch
verdeutlichte. Die Lösung mit den Puppen eröffnete zudem ungeahnte Möglichkeiten:
wenn Golaud Mélisande an den Haaren packt und sie hin- und herschleudert.
Eine der stärksten Momente, die einem das Blut in den Adern gefrieren
ließ.
Die
Inszenierung läßt viele Möglichkeiten offen. Jeder, der sich reinfallen
läßt, kann seine Deutungen finden (vom simplen Albtraum über künstliche
Intelligenz, fehlgeschlagene Manipulation bis zur Zeichnung von Schizophrenie
ist alles denkbar); sie animiert zur Kreativität, zum Gesprächsaustausch,
zur Reflexion, und berührt zudem noch. Bestes Singtheater also!
Das
Orchester spielte meisterhaft. Selten habe ich die Streicher in einem
solch samtenen Klang gehört. Sehr transparent, fein ziseliert, wie das
bei Welser-Möst meist der Fall ist, ließ die Musik oftmals aufhorchen.
Wagner konnte da unschwer herausgehört werden. Bislang konnte ich mit
dem wenigen, was ich von Debussy gehört hatte, nicht wirklich etwas anfangen,
und meine Befürchtungen, dieses „komische“ Stück könnte mich langweilen,
bewahrheiten sich glücklicherweise absolut nicht. Ich saß gebannt und
atemlos da. Die Spannung war bisweilen fast unerträglich.
Das
gesamte Sängerensemble war ausgesprochen homogen; alle sangen dieses Konversationsstück
überaus textverständlich und auch im französischen Duktus (was ja leider
in Zürich nicht immer der Fall ist). Michael VOLLE als Golaud war atemberaubend.
Keine noch so kleine Ermüdungserscheinung, wohl tönend im Fortissimo,
berückend im Piano – eine, auch schauspielerisch eindrückliche Leistung
dieses Künstlers, der immer besser wird. Isabel REY als Mélisande war
wiederum eine bezaubernde, naive, berührende junge Frau, die das ganze
Spektrum der Empfindungen in die Stimme und den Ausdruck einfliessen ließ.
Rodney GILFRY als Pelléas mußte bisweilen mit der extrem hohen Tessitura
kämpfen, flüchtete sich hin und wieder ins Falsett und bekundete gegen
Schluß einige Mühe mit der Partie, war aber ansonsten ein unwiderstehlicher
Gegenspieler von Volle, dem vor allem auch die lyrischen Passagen sehr
schön gelang.
Cornelia
KALLISCH in der kleinen Rolle der Mutter bestach durch ihr makelloses
Französisch, die Sinnlichkeit ihres runden Alts und berückende Piani,
und Lászlo POLGÁR (sonst nicht wirklich einer meiner Lieblinge,
da er – obwohl mit imposantem und schönem Material ausgestattet – für
meine Begriffe zu langweilig singt) gefiel mir als gütiger Großvater ausgesprochen
gut. Eva LIBEAU als Yniold und Guido GÖTZEN als Arzt/Schäfer rundeten
das vorzügliche Bild ab.
Fazit:
endlich wieder eine gelungene Premiere. Auch wenn ich verstehen kann,
daß gewissen Leuten eine romantische Deutung besser gefallen hätte, kann
ich nicht verstehen, warum man sich nicht auch mit einer solchen Interpretation
auseinandersetzt, zumal musikalisch kaum etwas auszusetzen ist. Chantal
Steiner
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