In
der Kirche des Gewesenen, in der Paul seiner verstorbenen Frau Marie gedenkt,
ist alles, einschließlich des Bettes, in schützende Folie eingehüllt (Bühne:
Rolf GLITTENBERG). Nichts darf sich hier verändern, auch die Trauer nicht.
Als Pauls Freund Frank zu Besuch kommt ist er also zurecht besorgt und
verabreicht (er ist wohl Arzt?) Paul erst einmal eine Spritze und diverse
Tabletten, damit der auf andere Gedanken kommt. Das hätte es freilich
nicht bedurft, da Paul ja bereits die Tänzerin Marietta erblickt und eingeladen
hat, die durch ihre frappierende Ähnlichkeit mit der Toten, Paul aus seiner
leidenden Trauer gerissen hat. Marietta taucht auf, wie man es von einer
Tänzerin, allerdings kaum einer, die in einer Meyerbeer-Oper tanzt, erwarten
würde: blonde billige Perücke, rote Handschuhe, Sonnenbrille und Plüsch-Leopardenmantel
(Kostüme: Marianne GLITTENBERG). Das macht Sinn bei einer Lebedame, aber
sah die über alles geliebte Marie wirklich auch so aus? Die blonde Perücke
hinter Glas läßt das vermuten. Und was weiß man schon von Marie?
Regisseur
Sven-Eric BECHTOLF gibt uns zumindest einen Grund, warum der Tod seiner
Frau Paul besonders schwer getroffen hat. Denn als die Erscheinung Maries
sichtbar wird, liegt diese mit aufgeschnittenen Pulsadern in einer Badewanne
und hält Paul während Mariettas erotischem Tanz mit blutigem Arm fest.
Dies wäre ein starkes Bild, wenn der Tanz nicht eine unreflektierte Männerphantasie
in Form einer sich rekelnden fast nackten Tabledancerin (Megan LAEHN)
wäre. Aber von einem Regisseur, der selbst Julia mit entblößtem Oberkörper
auf den berühmten Veroneser Balkon stellt, ist in diesem Punkt kaum etwas
anderes zu erwarten.
Pauls
mörderischer Traum des zweiten und dritten Aktes spielt in einem Schwimmbad
ähnlich gefließten Raum, durch den sich hinten sehr atmosphärisch ein
Wassergraben zieht. Wasser für die tote Stadt Brügge und Wasser für Pauls
reinigendes Martyrium. Und passend zu Mariettas eher zwielichtigem Outfit,
besteht ihre Theatertruppe denn auch aus einer Gruppe zwischen in schwarzem
Leder gekleideten SMs und den Skurrilitäten eines viktorianischen Jahrmarktes.
So
muß Olaf BÄR als Pierrot mit Stöckelschuhen, Korsage und Schmetterlingsflügeln
seine wundervolle Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ anstimmen. Er meistert
dies, wie auch seine Rolle als Freund Frank mit absoluter Bravour. Überhaupt
sind die Sänger das große Plus dieser Aufführung.
Denn
auch, wenn Norbert SCHMITTBERG bei seiner enorm schweren Partie als Paul
immer wieder an seine stimmlichen Grenzen stößt, so ist er insgesamt sängerisch
und vor allem auch darstellerisch mit seinem wirren Äußeren und seinem
Wahn sehr überzeugend. Emily MAGEE ist ihm hier als Marie/Marietta eine
ebenbürtige, vielleicht ein wenig zu wenig verführerische Partnerin, und
Cornelia KALLISCH füllt die Haushälterin Brigitta mit altjüngferlicher
Zurückhaltung aber Loyalität aus.
Franz
WELSER-MÖST ist den Sängern ein umsichtiger Begleiter und läßt Korngolds
Musik sehr fein und präzise erklingen, mit der vom Komponisten geforderten
dramatischen Knappheit. Manchmal wünschte man sich allerdings mehr von
der strahlenden Wucht und Leidenschaft, die die Musik zweifelsohne auch
besitzt.
Korngold
wollte seine Oper ursprünglich „Der Triumph des Lebens“ nennen und Paul,
nachdem er aus seinem Traum erwacht ist, von vorsichtig hoffnungsvoller
Musik begleitet in ein neues Leben schicken. Dies kann Bechtolf nicht
ungebrochen stehen lassen und läßt Paul bei seinem Weg aus dem Haus heimlich
den Unterrock Maries mitnehmen. Dieser Wahn ist noch lange nicht zuende.
Kerstin Schröder
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