Carmen ist der Prototyp weiblicher Verführungskunst, das fraugewordene Bild männlicher Urängste. Agnes BALTSA ist Carmen mit allen wichtigen Facetten. Sie verführt, sie buhlt, sie girrt zärtlich, und sie zerstört. Jeder Don José ist machtlos gegen diese geballte Weiblichkeit. Nur wenige bestehen neben dem griechischen Ausnahmemezzo.

Der Bann dieser Sängerin resultiert aus ihrer bühnenbeherrschenden Präsenz, in dem alle-Blicke-auf-sich ziehen. Agnes Baltsa kokettiert damit, daß sie vielleicht nicht die schönste Stimme besitzt, aber trotzdem niemand an ihr vorbeikommt. Ihre Stimme ist intakt. Die Technik ausgereift. Und ganz nebenbei ist sie ein Naturereignis.

Selten ist ein so umfassend professionelles Team um die Künstlerin. Da war an erster Stelle der Don José Francisco ARAIZAs, dessen wohlkalkuliertes und analysiertes Rollenporträt sich während der Seguidilla beinahe unmerklich zu einer so leidenschaftlichen wie spannenden Interpretation des Opernmachos schlechthin wandelte. Nur in der Blumenarie wirkten einige Töne noch kalkuliert, läßlich, zumal es berührend gesungen war. Zum Feuerwerk an Emotion und vokaler Strahlkraft geriet das Schlußduett.

Cheyne DAVIDSON als "der andere Mann" fehlt es noch ein wenig an dieser Strahlkraft, doch sein Escamillo klang und wirkte so potent wie man es vom Interpreten dieser Rolle erwartet.

Grandios Peter KELLER (Remendado) und Martin ZYSSET (Dancaïro), die neben sauberem und akzentuierten Gesang auch herrlich ihre Roller (über-) zeichneten. Gemeinsam mit Eun-Yee YOU (Frasquita), Iréne FRIEDLI (Mercedes) und eben Baltsa-Carmen boten sie dem Publikum das beste Schmugglerquintett, das ich bisher live auf der Bühne gehört habe, und zwar musikalisch exakt und urkomisch.

Rollendeckend niedlich, aber doch resolut im zielstrebigen Umsetzen ihrer Wünsche war die Micaëla von Elena MOSUC. Ihr interessanter Sopran bietet eine reiche Fülle und warme Töne.

Das ORCHESTER DER OPER ZÜRICH spielte unter der Leitung von Ralf WEIKERT besser als im Monat zuvor. Der Dirigent, zu dessen 60. Geburtstag diese Vorstellung gegeben wurde, leitete unauffällig durch den Abend, so daß man das Geschehen auf der Bühne ungehindert genießen konnte.

Jean-Pierre PONNELLE (Inszenierung/Bühnebild) sei postum für die stringente Personenregie und die nachvollziehbare Inszenierung - handlungsgetreu und ohne Mätzchen - gedankt. Man spielte Bizets "Carmen". AHS