Als
Sohn einer großen Liebhaberin von Richard Strauss habe ich die meisten
seiner Opern schon auf der Bühne gesehen, einige davon bereits in mehreren
Inszenierungen, und die eher einfallslose "Ariadne"-Inszenierung der Wiener
Staatsoper bereits mehrfach. Das neue Projekt des Theaters an der Wien
unter der Regie von Harry KUPFER stellte deshalb sozusagen eine willkommene
Abwechslung dar, da Kupfer schließlich bekannt dafür ist, ein Werk aus
einer neuen Perspektive erscheinen zu lassen.
Tatsächlich
wurden meine Erwartungen nicht enttäuscht, sondern sogar noch übertroffen.
Kupfer und seinem Team ist es gelungen, "Ariadne" konsequent in eine moderne
Fassung zu übersetzen, ohne dabei dem Libretto oder der Musik Gewalt anzutun,
und er beweist damit, daß Strauss' bissige Satire auf die Gesellschaft
und ihren Umgang mit Kultur zeitlos ist, heute noch genauso gültig wie
vor hundert Jahren.
Das
Vorspiel spielt in einer gesichtslosen Flughalle (das sich perfekt ins
Regiekonzept einfügende Bühnenbild stammt von Hans SCHAVERNOCH), in der
sich die Künstler auf einer der vielen Stationen in ihren Reisen einfinden.
Die Umgebung wirkt voll von Hektik und mangelnder Organisation, in der
die Protagonisten dieses Aktes krampfhaft versuchen, ein wenig Ordnung
zu schaffen. Während der Haushofmeister (ein sehr blasierter Michael MAERTENS)
Befehle gibt und der Musiklehrer (schauspielerisch gut, gesanglich mäßig:
Jochen SCHMECKENBECHER) und der Tanzmeister (unauffällig: Jürgen SACHER)
als Manager umher hasten, wirkt der Komponist (Heidi BRUNNER) fremd und
verloren. Er ist die zentrale Gestalt dieses ersten Aktes, praktisch immer
auf der Bühne, auf der er oft orientierungslos umher zu irren scheint,
und Brunner spielt die Rolle überzeugend und vermag auch gesanglich zu
glänzen. Daß sie trotz aller Bemühungen nie wirkt wie ein junger Mann,
sondern auf den ersten Blick als Frau zu erkennen ist, ist nicht ihre
Schuld, sondern die generelle Problematik der Hosenrollen.
Ohne
Pause geht das Vorspiel über in die Oper. Der Raum, der den Protagonisten
des zweiten Aktes überlassen bleibt, ist sehr beschränkt, denn die Bühne
ist belagert von Zuschauern, die uns nicht nur daran erinnern, daß wir
es hier mit einer Oper in der Oper zu tun haben, sondern sich auch so
verhalten, wie wir alle es wohl schon bei irgendeinem kulturellen Anlaß
zu unserem Leidwesen erfahren haben: Sie plaudern, sie essen, sie verlassen
die Bühne vorübergehend, sie schlafen. Der Offizier (Erik ÂRMAN) verfolgt
die weiblichen Darsteller, wenn er nicht gerade telefoniert. Über Bildschirme
am Rand flimmern zuweilen Börsenkurse.
Ebenso
bleiben die Darsteller in der Oper immer Darsteller, die eine bestimmte
Rolle zu spielen haben. Unter diesen sind besonders die beiden weiblichen
Hauptfiguren hervorzuheben: Anne SCHWANEWILMS als eine stimmlich überzeugende,
wenn auch anfänglich etwas tremolierende Ariadne, die ihre Rolle mit Würde
spielt, und die junge Norwegerin Mari ERIKSMOEN als eine gesanglich und
darstellerisch hervorragende Zerbinetta, charmant, hübsch, heiter, zuweilen
ein wenig nachdenklich. Nikolay BORCHEV als Harlekin spielt gut mit ihr
zusammen; das Clown-Paar harmoniert sowohl darstellerisch als auch gesanglich
(wenngleich Borchev das hohe stimmliche Niveau von Eriksmoen nicht erreichen
kann).
Die
kleineren Rollen nicht herausragend besetzt, aber durchaus passabel: Charles
REID als Brighella, Nicholas WATTS als Scaramuccio und Simon BAILEY als
Truffaldin zeigen in ihren bunten Kostümen (entworfen von Yan TAX) viel
lebhafte und engagierte Bühnenpräsenz. Die Nymphen fallen im Vergleich
schwächer aus; hier ist einzig Maria RADNER als Dryade stimmlich überzeugend,
während Hendrickje van KERCKHOVE (Najade) und Violet NOORDUYN (Echo) eher
enttäuschend sind.
Für
Bacchus gilt wieder einmal der alte Scherz in meiner Familie: Auf dieser
Rolle lastet ein Fluch, man sieht einfach keinen guten auf der Bühne.
Diesmal war mir das schon von vornherein klar, denn Johan BOTHA ist einfach
ein Sonderproblem: Ein Sänger mit einer solchen Leibesfülle, daß man schon
fast von einem Äquator sprechen muß, kann auf der Bühne nicht anders wirken
als lächerlich. Wenn er zumindest die Stimme eines Pavarotti hätte, könnte
man ihm sein Aussehen noch zu einem gewissen Maß verzeihen, aber gesanglich
ist er höchstens zweitklassig. In den mittleren Lagen klingt seine Stimme
angenehm, in den Höhen und bei größerer Lautstärke allerdings sehr schnell
gepreßt, und sein Mangel und technischer Präzision sowie die für ein halbwegs
geschultes Ohr immer wieder hörbaren technischen Fehler machen ihn zu
einer Zumutung.
Kupfer
hat den einzig sinnvollen Weg gewählt: Er läßt Botha eine Figur spielen,
wie wir sie aus Andrew Lloyd Webbers "Phantom of the Opera" kennen, einen
arroganten Fettwanst von einem Tenor, der sich in seiner maßlosen Eitelkeit
seiner Lächerlichkeit nicht im geringsten bewußt ist. Am Ende ist er dann
nur "Synchronstimme" und steht mit alberner Gestik vor einem Notenständer,
während Bacchus vom Darsteller des Harlekin gespielt wird - sehr passend
zu Zerbinettas ironischer Bemerkung am Schluß -, und während er Ariadne
zu seinem Schiff führt (das in dieser Version ein mit Pflanzen dekoriertes
Space Shuttle ist, das sie in eine bessere Welt führen soll), drängt sich
der eitle Tenor ins Zentrum der Bühne, wo er alleine zurückbleibt - ein
sehr ernüchterndes Bild, das uns sofort auf den Boden der Realität zurückbringt,
in dem die die paar verbliebenden Zuschauer Beifall klatschen. Am Ende
ist alles nur Theater. Lucian Röthlisberger
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