In
Halévys "La Juive" geht es um ein brisantes Thema, und es ist eine typische
pseudo-historische, in der Renaissance spielende, höchst politische Oper
von Eugène Scribe. Bei der Inszenierung dieses schwierigen und hochdramatischen
Werks muß man dies in Betracht ziehen. Denn "La Juive" besitzt eine Unzahl
musikalischer Facetten und Reichtümer. Daß Jacques Fromental Halévy ein
großer Meister ist, darüber besteht kein Zweifel, aber das historische
Melodrama des 19. Jahrhunderts hat sehr unter der heutigen Mißachtung
dieser Epoche zu leiden.
Die
Inszenierung und Ausstattung der Wiener Produktion ist leider total verpatzt.
Die Grund-Idee, die Welt in Weiß und Schwarz zu teilen, ist im Prinzip
nicht absurd, obwohl ein wenig naiv. Zur Zeit des Konzils von Konstanz
(1414-1418) war dies sicher die Art wie König Sigismund und Papst Johannes
XXIII. das Problem sahen: Gläubige und Ketzer, d. h. die letzteren sind
alle, die nicht an die römische Kirche glauben. Das besondere daran ist,
daß der Papst allerdings nur einer von dreien war, denn in der Kirche
selbst war ziemliches Chaos: Gregor XII. saß in Rom, Benedikt XIII. in
Avignon und Johannes XXIII. in Bologna. Ursprünglich Baldassare Cossa,
war er Offizier gewesen, verdingte sich dann als Berater des Vatikan und
wurde erst viel später - eine Woche nach seiner Wahl zum Papst 1410 -
zum Priester geweiht, aber recht bald abgesetzt und in Heidelberg eingesperrt!
Daß er für die Kirche kein wirklicher Papst war, beweist die Tatsache,
dass Angelo G. Roncalli, Patriarch von Venedig, 1958 Johannes XXIII. als
Papstnamen ohne weiteres annehmen konnte. Diese zwiespältige Renaissance-Figur
des ersten Johannes XXIII. hat wohl die Person des Kardinal Brogni inspiriert.
Auf
jeden Fall war die Lage nie ganz schwarz/weiß, denn die römische Kirche
war immer eine sehr farbige Institution, die ihren Prunk farbenprächtig
zur Schau stellte, z. B. in den, dem Kirchen-Kalender entsprechenden,
farbigen Meßgewändern. Auch die Rangordnung ist in der Kirche farblich
gekennzeichnet: Laienbrüder sind braun, Priester schwarz, Bischöfe violett,
Kardinäle rot und einzig der Papst ist weiß gekleidet. Wollten Regisseur
Günter KRÄMER und die beiden Ausstatter Gottfried PILZ und Isabel Ines
GLATHAR auf die konfusen vatikanischen Zustände damit anspielen? Jedenfalls
kennt man sich nicht aus. Man fragt sich jedenfalls, wieso solche Leute
engagiert werden, denn die Liste unsinniger Inszenierungen von Günter
Krämer, die ich gesehen habe, ist lang, "Tristan" und diese "Juive" in
Wien, "Ariadne auf Naxos" in Lyon und der "Ring" in Paris.
Die
Szenographie beschränkte sich hier auf eine breite, quer über die Bühne
reichende Schräge und ist durch ein paar Versatzstücke bereichert. Den
Sieg über die Hussiten und die darum spielenden Feierlichkeiten auf dem
oberen weißen Teil kann man nur als ärmlich bezeichnen. Daß noch eine
stumme Figur auftritt, vermutlich König Sigismund (er wurde Kaiser erst
vier Jahre vor seinem seinem Tod) ganz in weiß als General verkleidet,
u. a. beim kleinbürgerlichen Festessen, ist nur eine unnütze Belastung.
Die Juden sind zu ihren Pesach-Seder rechts unten auf der pechschwarzen
Ecke der Bühne versammelt. Und es ist wirklich stockdunkel da unten!
Besonders
verfehlt sind die Massenszenen. Die 1. Szene der Oper spielt auf dem vordersten,
ca. 1,5 m breiten Streifen der Bühne. Wenn das Volk den arbeitenden Eléazar
und Rachel lynchen will, drängen sich die Sänger auf diesem engen Streifen,
wo nach dem Te Deum der große Chor aus dem Dom (eine die Bühne abriegelnde
halbdurchsichtige Wand) heraus quillt. Die Naht-an-Naht liegenden Türen
des Doms erinnern an Kabinen einer Badeanstalt. In der Autodafé-Schlußszene
ist der Chor im Gegensatz dazu in Dirndlkleid, bzw. Lederhosen und Gamsbart
am Hut, auf Stühlen in der jüdischen Hälfte der vorderen Bühne angeschraubt.
Nur Kardinal Brogni steht auf, um Eléazar zu fragen "Réponds: ma fille
existe-t-elle encore?", der ihm "La voilà!" entgegen schleudert und auf
die zum Feuertod gehende Rachel zeigt. Personenführung scheint in heutigen
Regisseur-Kreisen abhanden gekommen zu sein.
Eine
weitere Kuriosität der Inszenierung sind die Auftritte von Prinzessin
Eudoxie, die regelmäßig mit zwei kleinen Kindern und einem Baby auf dem
Arm erscheint. Prinzessin Eudoxie ist doch die Tochter des Königs Sigismund
und soll den Reichsfürsten Leopold heiraten? Daß zur damaligen Zeit, wo
bereits die Inquisition begann (Jan Hus wurde - trotz des versprochenen
freien Geleits - ja bei dieser Gelegenheit in Konstanz verbrannt), so
etwas in königlichen Kreisen alltäglich gewesen war, ist wohl zu bezweifeln.
Dem Verständnis der passabel komplexen Handlung ist es jedenfalls sehr
abträglich.
Regisseur
Günter Krämer und seine Akolythen haben einen wichtigen Punkt völlig vernachlässigt:
Eugène Scribe hat in seinen ernsten Libretti immer hoch politische Themen
angeprangert, speziell die religiöse Intoleranz - siehe Meyerbeers "Les
Huguenots", "Le Prophète", "L'Africaine" und eben "La Juive". Davon ist
hier kein Schimmer, keinerlei Anspielung.
Sehr
erfrischend dafür war dafür das Dirigat von Frédéric CHASLIN, der dem
ORCHESTER DER WIENER STAATSOPER die richtigen Impulse gab, um diese prächtige,
komplexe Partitur in seiner ganzen Pracht zum Blühen zu bringen. Die zahlreichen
Bläser-Soli war besonders heraus gearbeitet, ebenso wie die ausgezeichnete
Begleitung der Sänger, wie das wunderbar subtile Duett Eudoxia - Rachel
mit dem hüpfend-wogenden Thema. Thomas LANG hatte, wie gewohnt, den CHOR
DER WIENER STAATSOPER ausgezeichnet einstudiert.
Neil
SHICOFF ist heute der einzige, der die Rolle des Goldschmieds Eléazar
singen kann und auch singt. Obwohl er ja nicht mehr der Jüngste ist, bringt
er bewundernswerte Überzeugungskraft und Inbrunst auf. Seine Stimme hat
zwar an Glanz und lyrischer Flexibilität eingebüßt, doch der Ausdruck
ist völlig überzeugend, zumal er eine hervorragende Diktion besitzt. Man
versteht sogar großteils den französischen Text. Nach dem inbrünstigen
"O Dieu, Dieu de nos pères, parmi nous descends!", war Eléazars große
Arie "Rachel, quand du Seigneur la grâce tutélaire" erschütternd und der
Höhepunkt des Abends. Eine große Leistung! Es ist zu befürchten, daß nach
seinem Abgang von der Bühne kein passender Nachfolger folgt und "La Juive"
wieder in Vergessenheit gerät.
Seine
"Tochter" Rachel, die Eléazar aus Hass gegen Brogni und religiösem Fanatismus
dem Feuertod opfern wird, findet in Krassimira STOYANOVA eine hervorragende
Interpretin. Stimmlich ist sie der schwierigen Rolle völlig gewachsen,
denn sie besitzt diese Stimme, die man "Falcon" nennt, nach der ersten
Interpretin der Rolle 1835. Außerdem spielt sie die Rolle mit großer Intensität
und Überzeugung.
Prinzessin
Eudoxie ist die zweite große Frauenrolle, für die die junge Teodora GHEORGHIU
äußerst geeignet ist. Ihr schöner perlender Sopran ist ideal für diese
naive Lichtgestalt. Die darstellerisch ausgesprochen schwierige Rolle
des Kardinal Brogni war Alexandru MOISUC anvertraut, der an diesem Abend
sein Rollendebüt in loco hatte. Es war sehr gelungen, denn der wunderbare
basso cantante des jungen Rumänen ist genau richtig, und er spielt sehr
gut.
Die
fünfte große Rolle ist die des Reichsfürsten Léopold, äußerst schwierig
darzustellen und sehr hoch komponiert. Diese hohe Tenorrolle ist vermutlich
zu früh in der Karriere des jungen Koreaners Ho-yoon CHUNG aber er zog
sich schließlich mit Ehren aus der Affäre. Denn der erste Eindruck, war
eher mäßig: er war hörbar belegt und hätte das ansagen lassen sollen.
Er sang sich aber im 2. Akt frei, war in der Pesach-Szene sehr viel besser
und konnte zuletzt einen guten Abend für sich buchen.
Unter
den Comprimarii ist vor allem Boaz DANIEL zu nennen als Ruggiero, ein
fanatischer Eiferer, der der unsympathischen Rolle seine schöne Stimme
lieh. Janusz MONARCHA war als Albert rollendeckend, ebenso wie die Bürger
von Hacik BAYVERTIAN und Hiroyuki IJICHI. Als Offizier agierte Martin
MÜLLER.
Musikalisch
ein guter Abend. Das volle Haus dankte den Solisten, vor allem Shicoff,
Stoyanova, Gheorghiu und Moisuc , sowie dem Dirigenten Chaslin mit tobendem
Beifall. wig.
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