Daß
der Text von Francesco Maria Piave und Antonio Ghislanzoni für Verdis
vermutlich ohrwurmreichste Oper einer der absurdesten und unwahrscheinlichsten
der gesamten Opernliteratur ist, ist sattsam bekannt. Daß Verdi später
keinen Arrigo Boito zu Hand hatte, um das Werk zu retten, ist auch eine
Tatsache. Zwischen dem Schuß der weggeworfenen Pistole im 1. Akt, über
mehrere unwahrscheinliche Zwischenfälle, bis zur Entdeckung von Leonora
di Vargas am Ende des letzten Akts, die sowohl Alvaro als auch ihr Bruder
Carlos seit Jahren gesucht und nicht gefunden hatten, ist die Wahrscheinlichkeit,
daß so etwas je passiert, weniger als ein Mal in der Geschichte des Weltalls.
Daß die beiden Herren auch mehrmals ihre Decknamen wechseln, ist der Klarheit
der "Handlung" auch nicht zuträglich. Diese Oper ist im 21. Jahrhundert
einfach nicht inszenierbar. "La forza del Destino" heute noch auf die
Bühne zu bringen, ist deshalb ein Wagnis.
Vermutlich
gibt es nur zwei Möglichkeiten das Werk zu retten: entweder eine konzertante
Wiedergabe, denn Verdi hat trotz der vermurksten Handlung eine Unmenge
prachtvollster Musik geschrieben, u. a. mehrere herrliche Arien, packende
Chöre, drei Tenor-Bariton-Duette, die nur mehr in "Don Carlos" oder "Otello"
ihresgleichen finden, besonders das berühmte "Solemn' in quest'ora" des
3. Akts. Die zweite Lösung wäre ein kompletter "Neubau" oder ein Pasticcio
der Oper. Von Händel bis Rossini hat es solche Wiederverwendungen musikalischen
Materials gegeben. Ein hervorragender Verdi-Spezialist und -Kenner könnte
das erfolgreich unternehmen. Viele barocke und klassische Opern, von denen
nur Fragmente bekannt sind, und wo bisweilen ganze Akte fehlen, werden
heute ohne weiteres aufgeführt. Ebenso werden andere melodramatische Opern
von guter musikalischer Qualität heute immer öfter konzertant aufgeführt,
z. B. kürzlich Webers "Euryanthe" in Toulouse (ebenfalls nicht inszenierbar),
während "Oberon" nächstes Jahr szenisch gebracht wird.
Dies
vorausgeschickt, ist es nicht verwunderlich, daß selbst ein Regisseur
mit viel Erfahrung wie David POUTNEY mit der Oper nicht viel anzufangen
wußte. Obwohl es in der berühmten Ouvertüre ganz gut anfing, mit einem
- ausnahmsweise - gelungenen Video von FETTFILM: ein drehendes Rad, das
von einem in allen Richtungen drehenden Revolver abgelöst wird, der dann
eine Kugel abschickt, die natürlich prompt in die Brust eines Mannes einschlägt
und die Videowand in Blut tränkt. Es wird allerdings weniger interessant,
wenn der Vorhang aufgeht, und eine etwa 2 m schmale, schräge, weiße Ebene
die Bühne beherrscht, die von einer eben so schmalen, ca. 8 m hohen weißen
Wand hinten abgeschlossen wird - übrigens das Zentralelement während des
ganzen Abends. Zu allem Überfluß wird dieses einzige Bühnenelement ständig
mehr oder wenig schnell gedreht, was bei der eher belebten Handlung noch
weitere Konfusion bringt. Die ganze Ausstattung stammt von Richard HUDSON,
dem hier nicht sonderlich viel eingefallen ist, ebenso wenig bei den mehr
oder weniger "heutigen" (sprich: banalen) Kostümen und den Uniformen aus
dem 19. Jahrhundert. Die Klosterbrüder waren auf arabisch gekleidet, auch
Fra Melitone.
Zuerst
steht ein Bett auf der Schräge, auf dem Leonore jammert und von ihrem
Vater getröstet wird. Sie empfängt auch Alvaro auf diesem Bett, und wenn
die beiden durchgehen wollen, kommt der Vater dazwischen und der berüchtigte
Pistolenschuß geht los und "La Forza del Destino" beschleunigt sich. Weniger
ernst geht es im nächsten Akt zu, wo Preziosilla auftritt. Da wird es
einfach grotesk, denn die Wahrsagerin ist als Texanisches Cowgirl verkleidet,
ebenso wie die kurzgeschürzten Tänzerinnen des läppischen BALLETTs (Choreographie:
Beate VOLLACK). Die "Pilger", denen Preziosilla alles Gute voraussagt,
sind feuerrot gekleidet mit roten Gebetbüchern mit weißen Kreuzen drauf
und sehen wie Kardinäle aus. Daß Trabucco mit einem Rollwäglein mit allen
möglichen Fläschchen auftritt, trägt zur allgemeinen Verwirrung bei.
Nur
im 3. Akt gibt es szenisch etwas Neues, denn die Schräge mit Wand wird
von einem chaotischen Gewebe von Masten, Traversen, Leitern und Trägern
eingeschlossen, was eine Festung darstellen soll. Natürlich dreht sich
der ganze Zauber wieder. Beleuchtet wird das ganze Spektakel von Fabrice
KEBOUR. Wie gesagt: hoffnungslos!
Zum
Glück war die Aufführung musikalisch ausgezeichnet. Allein die Tatsache,
daß der Dirigent des Abend Marco ARMILIATO war, bürgte für eine erstklassige
Leitung. Marco Armiliato enttäuscht nie in seiner Präzision und dem Schwung,
den er in jede Aufführung bringt. Er versteht sich sichtlich bestens mit
den ORCHESTERN, die er immer sehr freundlich begrüßt, und selbst dem der
Wiener Staatsoper. Er ist dabei, der zu werden, der vor fünfzig Jahren
Tullio Serafin war, die absolute Referenz für das italienische Repertoire.
Der CHOR DER WIENER STAATSOPER unter der Leitung von Thomas LANG sang
bestens und mit hörbarer Begeisterung. Er bekam auch viel Beifall am Schluß.
Die
Sänger waren durchwegs gut bis hervorragend und mehrere machten ihr Wiener
Rollendebüt. Allen voran Micaela CAROSI, die ich schon mehrmals in anderen
Rollen anderswo gesehen habe, als Leonore di Vargas, um die es ja in erster
Linie geht. Mit perfekter Phrasierung und strahlenden Höhen, sowie sehr
engagiertem Spiel ist die junge Italienerin, die den "Premio Abbiati"
erhalten hat, eine hervorragende Vertreterin für Verdis dramatische Sopranrollen.
Die sehr attraktive Sängerin singt nicht nur ganz ausgezeichnet, sie ist
auch eine großartige Schauspielerin, die sich sehr intensiv in die Rolle
hineinlebt. Als ihr Vater, der Marquese di Calatrava, der ja gleich am
Anfang hinscheidet, debütierte Stefan KOCÁN gleichfalls in Wien und gab
der Rolle die passende Statur, obwohl er sichtlich viel zu jung für die
Figur ist. Deshalb hat man Stefan Kocán auch gleich für die wirkliche
Baß-Rolle engagiert, den Padre Guardiano, den er passend stur und unerbittlich
an einem Schreibtisch sitzend, darstellte.
Die
Ausnahme war der Alvaro von Fabio ARMILIATO, der hörbar indisponiert war
und selbst am Ende noch Schwierigkeiten hatte, obwohl man bemerken konnte,
daß er einen angenehmen Tenor besitzt. Er hätte das ansagen lassen sollen.
Don Carlos di Vargas war Alberto GAZALE und sang prächtigst. Einer der
jungen Generation der hervorragenden Verdi-Baritone, der bald sehr gesucht
sein wird. Das genannte Duett gelang ausgezeichnet.
Die
"leichte Figur" dieser absurden Räubergeschichte ist ja ein besonderer
Fall: die junge Wahrsagerin Preziosilla paßt ja in die ganze Geschichte
wie das Haar in der Suppe, und für jede Sängerin ist die - gesanglich
ausgesprochen schwierige - Rolle eine Herausforderung. Zumal Preziosilla
hier anscheinend von einer Ranch aus Texas oder Mexiko kommt und entsprechend
ausstaffiert ist, umgeben von ähnlich gekleideten Tänzern und Tänzerinnen
(Ballet der Wiener Staatsoper und Volksoper). Nadia KRASTEVA macht das
Beste daraus, was ihr dank ihres prächtigen und ausgezeichnet geführten
Mezzo-Sopran auch sehr gut gelang.
Unter
den Comprimarii stach vor allem der Fra Melitone von Sorin COLIBAN hervor.
Nicht nur daß er einen schön klingenden Baß-Bariton besitzt, den er sehr
gut anzuwenden weiß, ist er außerdem eine eindrucksvolle Persönlichkeit,
der mit seinen fast 2 m auch ausgezeichnet den etwas einfachen, aufmüpfigen
Klosterbruder spielte, der sichtlich seine "Berufung" verfehlt hat; die
vom Regisseur am besten ausgearbeitete Rolle. Weshalb der Maultiertreiber
Maestro Trabucco mit einem Wägelchen mit Flaschen aufritt, ist dafür weniger
klar; Wolfram Igor DERNTI machte das beste aus seinem Auftritt. Bedauerlich
ist, daß die gewiegte Donna ELLEN in Wien mit so lächerlich kleinen Rollen
wie die Curra, Leonores Vertraute, bedacht wird. Als Alcalde fungierte
Dan Paul DIMITRESCU, sowie Zoltán NAGY als Chirurg, der den armen Alvaro
retten soll.
Eine
gute Repertoire Aufführung in einer läppischen Inszenierung. wig.
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