Wie
viele Opern Verdis leidet "Simon Boccanegra" an der Geheimnistuerei des
Librettos von Francesco Maria Piave. Auch die Überarbeitung durch Arrigo
Boito hat nicht geholfen, das vertrackte Geschehen halbwegs glaubhaft
zu machen. Weshalb Boccanegra seine Tochter weiter als Amelia Grimaldi
versteckt hält, versteht heute kein Mensch. Ähnlich wie in "Forza del
Destino", "Rigoletto" oder "Trovatore" sind Personen unter anderem Namen
oder Identität versteckt. Im 19. Jahrhundert war das aber sehr beliebt.
Nichts destotrotz ist Verdis musikalische Behandlung meisterhaft, und
ich falle bei jeder Aufführung in den Bann dieser prachtvollen Musik.
Die
Wiener Inszenierung ist nicht ganz neu, und Peter STEINs Sicht der Handlung
ist eher konventionell, obwohl sie politischer Sprengstoff ist und Verdis
republikanische Überzeugung widerspiegelt. Ein Plebejer, der Doge Genuas
wird! Fast so arg wie wenn ein Schwarzer amerikanischer Präsident würde!
Also, es könnte sehr viel aktueller sein. Zumal es ja an wichtigen Figuren
nicht mangelt, der hartherzige Fiesco, der schließlich doch klein bei
gibt, der verräterische Paolo, der aus Begierde zu Amelia seinen Meister
umbringt und last, but not least das Liebespaar, Amelia und der Hitzkopf
Gabriele Adorno, der reumütig die Seinen fallen läßt, um sich für Boccanegra
einzusetzen. Nicht umsonst hat Boito dem Werk den Titel "Melodramma" gegeben!
Die Bühnenbilder von Stefan MAYER waren der Inszenierung entsprechend,
und die Kostüme von Moidele BICKEL folgten amerikanischem Vorbild: rote
Mäntel für die Patrizier und blaue für die Plebejer in der Ratsszene.
Als
Doge Simon Boccanegra war Leo NUCCI stimmlich nicht nur hervorragend,
er war einfach umwerfend. Daß er auch ein eindrucksvoller Schauspieler
ist, ist bekannt. Wenn er Paolo in der Ratsszene verhört und ihm "Sia
maledetto! e tu ripeti il giuro." zuruft, läuft es einem kalt über den
Rücken. Sein Schlußgesang "Il Mare!" war von subtiler Noblesse, großartig!
Dem Paolo Albiani gab Eijiro KAI das richtige Profil des proletarischen,
aber gleichzeitig abergläubigen Schurken, wenn er die Verfluchung wiederholt.
Allerdings ist seine Stimme etwas rauh.
Als
Patrizier Jacopo Fiesco, dem Gegenspieler Boccanegras, war Giacomo PRESTIA
seinem Kollegen ebenbürtig, ein würdiger Vertreter seiner Kaste, stimmgewaltig
und stolz, der sich vor dem Angebot zum Komplott des Plebejers Paolo nicht
locken läßt, ein Fürst! Seine Enkelin Maria, die falsche Amelia Grimaldi,
sang Roxana BRIBAN mit schöner Stimme, etwas zu dramatisch für diese Rolle,
und spielte ausgezeichnet. Ihr Geliebter, Gabriele Adorno war Mario MALAGNINI,
der den Anführer der Verschwörer blendend darstellte und seine Reue in
der Erkennungsszene mit einem fulminanten "Un assassin son io..." Boccanegra
zu Füßen legt. Ein eindrucksvoller Tenor, dessen Namen man sich merken
sollte, denn er spielt auch gut und nicht hölzern, wie diese Rolle oft
gespielt wird.
In
den kleinen Rollen war Dan Paul DIMITRESCU als Plebejer Pietro überbesetzt.
Dasselbe gilt für Donna ELLEN als Amelias Magd. Als Herold debütierte
Florin ORMENISAN rollendeckend an der Wiener Staatsoper.
Nicht
zu vergessen ist die musikalische Leitung von Yves ABEL, der mit dieser
Aufführungsserie in Wien debütierte. Der junge französische Dirigent ist
uns bereits im Vorjahr in Toulouse in Lalos "Le Roi d'Ys" sehr positiv
aufgefallen. Er leitete CHOR UND ORCHESTER DER WIENER STAATSOPER mit großem
Einsatz und wußte die Finessen der reichen Partitur richtig heraus zu
arbeiten. Einmal ein Dirigent, der die rubati an die richte Stellen setzt!
Ein
sehr, sehr schöner Abend, vom Publikum dankend aufgenommen. wig.
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