Ich
besuche selten zwei Vorstellungen mit absolut identischer Besetzung so
knapp aufeinander folgend. Allerdings hat dies auch einen gewissen Reiz
bzw. bringt andere Erkenntnisse.
Die
Besetzung der Hauptrollen war sehr hochkarätig: Maddalena di Coigny Violetta
URMANA, Andrea Chenier Salvatore LICITRA und Carlo Gérard : Carlos ALVAREZ.
Ich war sehr gespannt auf dieses Dreigespann, dem Mix an Rollendebütanten
und Wiendebütanten.
Zum
ersten Termin war allerdings meine Enttäuschung sehr groß, denn die vokale
Hochstimmung blieb aus. Einzig und allein Carlos Alvarez war ein guter
Interpret, er hatte stimmlich eine sehr gute Linie und war glaubwürdig
in der Interpretation. Aber auch ihm fehlte noch der letzte Schliff.
Weder
bei Violetta Urmana noch bei Salvatore Licitra konnte ich eine wirkliche
Identifikation mit der Rolle feststellen. Salvatore Licitra hat sich hauptsächlich
damit beschäftigt, Töne im Fortebereich zu produzieren, und so mangelte
es ganz stark an einer Differenzierung. Es hatte nach beiden Arien des
Tenors tosenden Applaus und laute Bravorufe gegeben (da muß wohl eine
Fangemeinde anwesend gewesen sein), aber einer Topleistung entsprach das
nicht. Auch in der Darstellung des Poeten und Rebellen war er ziemlich
eindimensional.
Violetta
Urmana, die mich als Mezzo immer sehr begeistert hatte, war als Sopran
ebenso wie ihr tenoraler Partner nur auf punktgenaue Ablieferung der Töne
ausgerichtet und nicht wirklich auf Interpretation. Rückblickend glaube
ich, daß beide einen schlechten Tag hatten.
Die
Nebenrollen wie Bersi (Sophie MARILLEY), die Gräfin Coigny (Waltraud WINSAUER),
Madelon (Janina BAECHLE), der Abbé (Benedikt KOBEL), der lang gediente
Mathieu von Alfred SRAMEK und Roucher von In-Sung SIM waren von bestem
Ausdruck und individuell sehr präsent (wenn man jemanden aus dieser Riege
hervorheben wollte, dann wäre das der Neuzugang In-Sung Sim, der über
ein sehr prachtvolle, kräftige und gut geführte Stimme verfügt).
Das
Dirigat von Marco ARMILITATO war stark auf Effekte ausgerichtet und zwang/verleitete
die Sänger dazu ebenso zu agieren.
Am
zweiten Abend gestaltet sich alles etwas harmonischer. Die wahre Spitzenleistung
kam aber auch da einzig und allein von Carlos Alvarez. Man sah und hörte
, daß auch ihm nach zwei weiteren Vorstellungen die Rolle noch besser
zu gelingen schien. Violetta Urmana brachte endlich mehr Gefühl und Innigkeit
in die Rolle ein, und Salvatore Licitra nahm sich zurück, und so klang
auch sein Chenier wesentlich besser. Folge war aber, daß das Publikum,
welches offenbar nur auf gestemmte Töne wartete, den Applaus nach den
Arien sehr spärlich gestaltete, und erst zum Schluß kräftiger applaudiert
wurde.
Am
zweiten Abend konnte man genau wie an dem ersten, den anderen Sängern
zu dem ausgezeichneten Niveau der Leistungen gratulieren. Da ist die Wiener
Oper sicher ein "glückliches Haus" weil es auch für kleine und kleinste
Partien auf ausgezeichnete Kräfte zurückgreifen kann.
Der
CHOR unter der Leitung von Thomas LANG muß auch lobend erwähnt werden.
Es ist sicher nicht leicht mit den wenigen Proben, die es bei Wiederaufnahmen
nach so langer Zeit gibt, so harmonische gesangliche Leistungen bringen
zu können.
Marco
Armiliato hingegen blieb seiner lauten Gestaltung mit dem Orchester treu.
Die
Inszenierung ist noch eine aus der alten traditionellen Schule von Otto
SCHENK; kann aber durchaus bestehen. Ich ziehe das vor, da man nicht abgelenkt
ist und der Musik und dem Gesang die ungeteilte Aufmerksamkeit schenken
kann.
Durch
den zweiten Abend hat sich mein erster, eher negativer Eindruck etwas
nivelliert und mir Hoffnung gegeben, daß alle Sänger noch mit den Rollen
wachsen können. Material ist vorhanden um in die Topliga aufsteigen zu
können.
Da
ich in der Vergangenheit Aufführungen gesehen hatte, die wirklich keine
Wünsche offen ließen, ist mein großes Handicap, daß ich immer mit sehr
hohen Erwartungen in eine Vorstellung gehe, und diese Erwartungshaltung
nur selten erfüllt wird. Man müßte manches Mal auf "Alzheimer" schalten
können! EH
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