Ich
gebe es zu, ich bin ein Fan. Schon als Siebenjähriger habe ich mit meiner
jüngeren Schwester "Tosca" gespielt. Als Elfjähriger wechselte ich dann
von Cavaradossi zu Scarpia, und dieser stilvolle Erzschurke hat mich eigentlich
mein Leben lang begleitet, sogar in alten Schulaufsätzen taucht er immer
wieder auf… Nicht verwunderlich also, daß ich noch keine andere Oper so
häufig gesehen habe wie "Tosca", und auch die Produktion des Abends kannte
ich bereits; sie ist die älteste an der Staatsoper überhaupt und läuft
seit 1958 (Inszenierung Margarethe WALLMANN, Ausstattung Nicola BENOIS).
Eine Neuinszenierung ist derzeit nicht "in Sicht", wofür ich ehrlich gestanden
von Herzen dankbar bin - lieber eine wenig originelle traditionelle Aufführung
mit detailgenauer Rekonstruktion der Originalschauplätze als Werkverschandelungen
im Stile des hiesigen "Parsifal" oder "Lohengrin"!
Was
die Besetzung des Abends betraf, so hatten wir ausgesprochenes Glück:
Für den erkrankten Marco Berti sprang Neil SHICOFF, der ja als neuer Staatsoperndirektor
im Gespräch ist, als Cavaradossi ein. Dementsprechend groß war auch der
Andrang auf Restkarten; die Vorstellung war komplett ausverkauft. Im großen
und ganzen bot Shicoff eine solide Leistung, obwohl er am Anfang relativ
unsicher wirkte und auffallend stark tremolierte. Den einzigen groben
Schnitzer leistete er sich bei "Vittoria, vittoria", wo er die hohen Töne
nicht ganz traf. Sein "E lucevan le stelle" war hingegen sehr schön und
sanft.
Violeta
URMANA, die die Vorstellung trotz einer leichten Erkältung bestritt, konnte
in der Titelrolle sowohl gesanglich als auch darstellerisch mehr oder
weniger überzeugen, obwohl auch sie für meinen Geschmack teilweise zu
stark tremolierte. Besonders gut gefiel mir ihr "Vissi d'arte", das sie
eher langsam und über weite Strecken leise sang, was dem ganzen ein Gefühl
der stillen Introspektion verlieh, kein Auflehnen gegen Gott und das Schicksal,
sondern vielmehr eine Klage, die umso berührender war.
Was
Scarpia betrifft, bin ich natürlich aus den oben genannten Gründen besonders
streng, aber zu meinem Glück war Lucio GALLO in dieser Rolle der klare
Höhepunkt des Abends. Gesanglich hervorragend, meisterte er die Partie
mit scheinbarer Leichtigkeit. Während der Überleitung zum "Te Deum" kam
er gegen das im gewaltigen Fortissimo spielende Orchester an (im Unterschied
zu etlichen anderen Sängern, die in den - je nach Dirigent - zum Teil
unkontrolliert lauten Klangwogen oftmals untergehen) und war im ganzen
"Te Deum" deutlich über den Chor herauszuhören. Aber auch darstellerisch
vermochte er zu überzeugen, speziell mit dem deutlich sichtbaren inneren
Widerstreit zwischen Beherrschung und Begierde im ersten Akt, der sich
auch in der zweiten Hälfte des zweiten Aktes aus anfänglicher Ruhe und
Gelassenheit wieder entwickelte. Und der innen rot gefütterte schwarze
Umhang, den er im ersten Akt trug, fügte seiner Bühnenpräsenz noch eine
zusätzliche stilvolle Note hinzu…
Während
Alfred SRAMEK die komisch angelegte Rolle des Mesners gut sang und spielte
(amüsant sein Anfall von Vergeßlichkeit bei der Frage nach dem Namen des
Malers), war Eijiro KAI als Angelotti eher enttäuschend, wirkte zu fahrig
und gehetzt, was vielleicht zur Situation der Figur passen mag, aber dem
gesanglichen Aspekt doch schadete.
John
DICKIE als Spoletta wirkte zu schmierig für meinen Geschmack (er gemahnte
mich stark an die Figur des Peter "Wormtail" Pettigrew aus der "Harry
Potter"-Reihe), war zu sehr Speichellecker. Speziell im dritten Akt wirkte
er äußerst inkompetent, als er Tosca verhaften wollte, die Verfolgungsjagd
auf die Zinnen der Engelsburg wurde praktisch zum Spaziergang. Wenigstens
störte er diesmal gesanglich nicht weiter, seinen Steuermann im "Fliegenden
Holländer" habe ich aus Intonationsgründen noch in sehr schmerzlicher
Erinnerung. Dasselbe läßt sich über Clemens UNTERREINER (Sciarrone) und
Johannes WIEDECKE (Schließer) sagen: Sie waren nicht phänomenal, störten
aber auch nicht weiter.
Vom
Dirigat von Placido DOMINGO hatte ich mir nicht besonders viel erwartet,
wurde aber sehr positiv überrascht. Domingo hatte das ORCHESTER der Staatsoper
fest im Griff - keine zeitversetzten Einsätze infolge von schlichtem Mangel
an Aufmerksamkeit auf Seiten der Musiker, keine fehlenden ritardandi wegen
Nichtbeachten des Dirigenten, kein permanentes forte, wie man das sonst
leider immer wieder erleben muß. Auch die Koordination zwischen Orchestergraben
und Bühne funktionierte ausgezeichnet.
Insgesamt
war es eine sehr gute und qualitativ hochwertige Aufführung, was ja leider
an der Staatsoper keine Selbstverständlichkeit ist.
Robin A. Röthlisberger
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