Zu
Beginn muß ich ein Geständnis ablegen: ich habe noch nie "Martha" gesehen!
Dabei habe ich in meine Studentenzeit jahrelang in Wien verbracht, und
Flotows Welterfolg war regelmäßig im Repertoire der Volksoper. Schande
über mich!
Daß
Flotow nicht ganz in den Rahmen des deutschen romantischen Komponisten
paßt, ist wohl einer der Gründe weshalb er nur "so nebenbei" erwähnt wird,
ein "kleiner" Meister, der anmutige Singspiele mit hübschen Arien und
schmissigen Chor-Ensembles schrieb, die ausnehmend brillant sind. Doch
ist dies vielleicht zu wenig, denn seine Opern sind "durchkomponiert"
und nicht mit gesprochenem Text. Die Rezitative sind nicht mit "blam-blam"
Begleitung, sondern sehr ausgefeilte Ariosi. Die größten Tenöre haben
sich nicht getäuscht und die Arie "Ach wie fromm, ach wie vertraut" in
ihr Repertoire aufgenommen.
Die
Orchestrierung ist wesentlich inspirierter als die vieler deutscher Zeitgenossen,
so wie die reichliche, aber geschickte Verwendung von Blech bereits im
Vorspiel, wo das Thema "Martha, du entschwandest" in einem großen Orchestersatz
dem Hörer vorgestellt wird. Die wie ein Schicksalsschlag konzipierte blech-
und schlagzeuglastige Marktszene "Ist das Handgeld angenommen" verwendet
selbst Baß-Tuben! Auch formal sind interessante Kombinationen zu finden,
wie das entzückende Duett zwischen Harriet und Nancy im 1. Bild. Ein Strophenlied
im 2. Bild wird zuerst von Lyonel wie eine Arie angestimmt, während Plunkettt
die 2. Strophe singt und die 3. von beiden gesungen wird. Ein sehr ansprechendes
und geschickt gesponnenes Werk eines großen Könners. Flotows mehrjähriger
Aufenthalt in Paris in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ist dafür
verantwortlich. In Paris lernte er alle Musikstars seiner Zeit kennen
und befreundete sich sehr mit Offenbach, dem mittellosen Cellisten aus
Köln, den er sehr unterstützte, ihn in die Pariser Salons einführte und
mit dem er viele gemeinsame Konzerte gab.
Die
Aufführung in der Wiener Volksoper war ausgezeichnet und szenisch sehr
gelungen. Obwohl die Handlung der Oper für die Zeit eher sozialkritisch
ist (die Gegenüberstellung von Versteigerung und Verkauf junger Mägde
und die völlige Unkenntnis des versnobten englischen Landadels der verheerenden
sozialen Zustände), haben Regisseur Michael McCAFFERY und sein Ausstatter
Julian McGOWAN nicht eine verelendete Produktion geboten, sondern die
Lage klar dargestellt. Der Regisseur hat in seinem Interview im Programmheft
dies deutlich ausgedrückt und sich von den Bildern Hogarths inspirieren
lassen (Bilder, die auch Strawinskys "Rake's Progreß" inspirierten). Das
Resultat ist eine sehr glaubhafte Produktion.
Das
hellgraue Interieur des etwas verkommenen Schlosses der Lady Harriet im
1. Akt, inklusive beschränkter Hygiene (Nancy wäscht Harrietts Hände mit
einem kleinem Schwamm aus einer winzigen Silberschüssel!) ist sehr gelungen.
Vom handfesten Markt von Richmond, zur gelungenen Wohnung (über einer
Mühle mit drehenden Mühlrädern) des Hauses Plunketts bis zu den brillanten
roten Jagdkostümen der königlichen Jägerinnen im 3. Akt, ist alles erfreulich
für das Auge. Frank SOBOTTA leuchtete die Aufführung gut aus. Alles paßt
blendend zusammen und gibt einen geschlossenen Eindruck ohne Firlefanz,
durch eine ausgefeilte Personenführung unterstrichen gut von der Dramaturgin
Birgit MEYER nachvollzogen.
Musikalisch
war die Aufführung sehr erfreulich. Daß die Aufführung mit ungewöhnlichem
Schwung und Brio über die Szene ging, ist in erster Linie der jungen Dirigentin
Elisabeth ATTL zu verdanken. Die junge Dame zeigt einen ungewöhnliches
Engagement und lebt die Musik buchstäblich den ganzen Abend mit. Ihre
höchst präzise Zeichengebung wird vom ORCHESTER und der Bühne gut befolgt.
Man hat das Gefühl, daß sie ihre Truppe in ihre Arme schließt. Der CHOR
wurde von Michael TOMASCHEK gut einstudiert und geführt.
Auch
von den Sängern ist Gutes zu melden. Lady Harriet sang Jennifer O'LOUGHLIN
mit angenehmer, gut geführter und tragender Stimme. Zu Beginn schien sie
mir etwas nervös zu sein, was sich allerdings rasch legte, und vor allem
die Szenen im 2. und 3. Akt waren sehr schön gesungen. Ihre deutsche Diktion
ist ausgezeichnet. Ihr Lyonel war ein junger Spanier, Ismael JORDI, ein
perfekter tenore di grazia, der seine Bravourarie mit Panache sang, aber
auch die Liebes- und Streitszenen bestens interpretierte und darstellte
(2. Akt: "Nur ein Spiel?"). Der junge Sänger hat eine sehr entwicklungsfähige
Stimme, und man kann nur hoffen, daß er nicht zu früh in zu schweren Rollen
"verheizt" wird.
Lord
Tristan Mickleford war der über zwei Meter große Christian SIST, der die
lächerliche Figur des Cousins und Anbeters Harriets blendend sang und
spielte, eine brillante Parodie des englischen Landadels. Harriets Vertraute
Nancy, die mit ihr den "Sprung in die weite Welt" wagt, war die aparte
Ulrike PICHLER-STEFFEN. Sie spielt ausgezeichnet und besitzt einen schönen,
angenehm timbrierten Mezzo, doch trägt die Stimme zu wenig und geht in
den Ensembles leider unter. Anton SCHARINGER hat den Papageno weltweit
gesungen, und diese Rolle nun an den Nagel gehängt. Er sang den reichen
Pächter Plumkett mit guter, bisweilen etwas rauher Stimme, nur die wirkliche
Tiefe fehlt. Auch ist sein Spiel etwas outrierte.
Als
Richter von Richmond stellte Markus RAAB seinen Mann. Katharina IKONOMU,
Katya METODIEVA und Fue Ling AMBROS waren die versteigerten Mägde auf
dem Markt, Stefan TANZER, Heinz FITZKA und Daniel STRASSER waren als Diener
rollendeckend.
Viel
Beifall des vergnügten Sonntagspublikums, das sichtlich die Aufführung
genossen hatte. wig.
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