Die
Inszenierung von Robert CARSEN hat bereits im Vorfeld wieder einmal „Voraufregung“
produziert. Die Handlung wurde in das Jahr 2005 gelegt. Die ersten beiden
Akte sind einigermaßen glaubwürdig. Akt 3 und 4 verlieren aber mehr und
mehr an Linie.
Der
1. Akt findet in einem Shoppingcenter mit angegliedertem Hotel in der
Provinz. Es herrscht Trubel, und es ist eigentlich verwunderlich, daß
sich Des Grieux ausgerechnet in diese graue Maus Manon verliebt, wo doch
schicke Girls herumlaufen. 2. Akt, Suite von Geronte in Paris: Manon hat
sich an Luxus gewöhnt, Manon schwelgt im Luxus, genießt. Als Des Grieux
erscheint, schmilzt sie dahin, doch auf den Luxus verzichten will sie
nicht und läßt für die Flucht alles und jedes einpacken. Kein Wunder also,
daß Geronte eingreift und die Polizei ruft.
Akt
3 präsentiert uns ein Défilé an gestrandeten, verurteilten Mädchen kurz
vor der Deportation ebenfalls in einem Shopping Center, dann gab es die
Flucht der beiden Liebenden. Akt 4 in eben dem Shoppingcenter in der Nacht,
leer, ungeputzt. Manon dürstet, weil sie angeblich in der Wüste ist. Des
Grieux soll nach Wasser Ausschau halten. Ergebnislos.
Obwohl
es in unserer Zeit vermutlich keinen Vater mehr gibt, der seine Tochter
ins Kloster schicken kann, ist man noch geneigt daran zu glauben und hinwegzusehen.
Daß man im 3. Akt lauter chic gekleidete Damen als Verurteilte findet,
zwar mit Lippenstift verschmierten Gesichtern, ist schon seltsam, aber
daß man in einem Shoppingcenter kein Wasser findet, das kann man niemanden
glaubhaft machen.. Es gibt überall Wasserbehälter, es gibt Lokale, in
die man notfalls einbrechen kann, und man kann per Handy Hilfe rufen..
Also daß man da verdurstet, da braucht man schon ganz andere Fallen.
Neil
SHICOFF als Des Grieux, ein ewiger Student? Soll es auch geben. Herr Shicoff
ist schlank, beweglich, und doch wirkt seine Darstellung steif, und stimmlich
ist er auch kein jugendlicher Stürmer. Er versprüht keinen jugendlichen
Elan. Er bewältigt die Rolle stimmlich natürlich voll, er ist ja ein guter
Techniker, aber es fehlt ihm der Schmelz, mit dem die lyrischen Tenöre
sonst auftrumpfen (ich denke da an Di Stefano, Björling, Gedda). So begab
es sich auch, daß keine der beiden Arien im ersten Akt mit Applaus bedacht
wurde. Irgendwie wirkte Shicoff in der Rolle und auf der großen Bühne
verloren.
Mit
Barbara HAVEMANN steht ihm eine Manon mit wenig einschmeichelnder Stimmer
zur Seite, sie hat Schärfen in den Höhen, und das ist nicht immer angebracht
und angenehm. Ein junges schüchternes Ding war bei ihr in der Darstellung
nicht so gut aufgehoben, das Luxusgeschöpf darzustellen, gelang schon
eher.
Die
Nebenrollen hingegen waren vortrefflich besetzt, sowohl vom Typ her als
auch von der Stimme. So war Wolfgang BANKL ein kalter, berechnender Geronte,
der stimmlich die richtigen Akzente setzen konnte. Der Bruder Lescaut
wurde von Boaz DANIEL nicht nur gut gespielt , sondern es wurde wieder
klar, daß junge Sänger bei langsamem Aufbau großartige Leistungen bringen.
Und der Dritte im Bunde, der Student Edmondo, von Saimir PIRGU gesungen,
zeigte wieder, daß er sein sehr schönes, gut geführtes Stimmaterial bestens
einsetzen kann.
Beim
Dirigat von Seiji OZAWA gefiel mir lediglich das Zwischenspiel, den anderen
Teil der Oper gestaltete er, die Dramatik ausbreitend, für die Sänger
zu monumental und deckte sie zu.
Ein
zweiter Besuch der Neuinszenierung nach so kurzer Zeit und in gleicher
Besetzung hat mich noch mehr in meinen Eindrücken bestärkt. Der dritte
und vierte Akt sind vom Konzept her schwach. Es genügt nicht, den optischen
Kreis zu schließen, es muß sich der Kreis in der Glaubwürdigkeit schließen
bzw. beweisen.
Die
beiden Hauptdarsteller konnten mich auch nicht besser stimmen, hingegen
ist mir die gute Arbeit bei CHOR und den Nebenrollen noch mehr aufgefallen.
Es
kann durchaus interessant sein, der Aufführung noch einmal in einer gänzlich
anderen Besetzung beizuwohnen, aber generell betrachtet, ist diese „Manon
Lescaut“ nicht die Inszenierung und Besetzung, die mir das Werk so zeigt,
daß ich ein Aha-Erlebnis für die nächsten Jahrzehnte mitnehme. EH
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