Erstaufführung
der Urfassung, welche von Verdi für Paris komponiert wurde, aber noch
nie in dieser Version zur Aufführung gelangte, da Verdi Streichungen und
Kürzungen vornehmen mußte um den Wünschen der Direktion (und des Publikums)
zu entsprechen.
Dieser
französischen Fassung ging aufgrund des Regisseurs einerseits, aber eben
auch dieser „Uraufführung“ andererseits viel Wirbel voraus und spaltete
Musik- und Verdi-Liebhaber in zwei Lager. Und auch ich bin in mir selbst
gespalten. Ich bin in der italienischen, vieraktigen Version so verankert,
daß sich mein Ohr nicht mit der französischen Version anfreunden kann
(vielleicht auch nicht will?). Andererseits wollte ich diesem „neuen“
Verdi auch nicht verschließen, und man konnte durchaus ein paar neue,
interessante Momente entdecken, die Geschichte selbst ist vielleicht etwas
mehr offen gelegt.
Nun
denn, es wird sich weisen, welche der Versionen sich mehr durchsetzen
wird. Allerdings ist es bislang keiner der anderen französischen, verkürzten
Versionen gelungen, sich zu behaupten, und so dürfte auch dieser Version
kein bedingungsloser Sieg beschieden sein, sondern bestenfalls friedliche
Koexistenz.
Wie
gesagt, es gab schon im Vorfeld der Premiere genügend Berichte, vor allem
wegen der Inszenierung von Peter KONWITSCHNY und seiner Assistenz. Angekündigte
Revolutionen finden ja bekanntlich meist nicht statt. So auch hier. Würde
man die beiden Szenen des Anstoßes eliminieren, könnte man sogar von einer
gelungenen Regie sprechen, denn im Gegensatz seiner Hamburger Inszenierung
dürfte Konwitschny in der Personenführung, vor allem was die Rolle des
Don Carlos selbst betraf, positive Veränderungen eingebaut haben. Nur
leider gibt es aber jene zwei Steine des Anstoßes. Zur Ballettmusik (Urversion)
gab es eine, „die“ Pantomime „Ebolis Traum“. Löst man dies aus dem Geschehen
heraus, kann man sich über die Spielfreude und das Animo der Sänger sehr
erfreuen, und es amüsant finden. Aber dem ist nicht so, und man bleibt
verstört und verärgert.
Wenn
wir uns rühmen, eine Uraufführung eines Verdi-Werkes zu präsentieren,
dann sollte man sich der Mühe unterziehen, wirklich Ballett zur Ballettmusik
zu bringen. Mancherorts behauptete man, daß die Ballett-Musik sei von
Verdi schwach komponiert, weil er das nicht wollte. Dann allerdings erhebt
sich die andere Frage, wieso führt man es doch auf? Also viele unbeantwortete
Fragen. Für mich in der gegenständlichen Form sicher entbehrlich.
Aber
noch weit mehr nervend als der Traum war die Realität des Autodafés. Völlig
entfremdet in die heutige Zeit versetzt. Das wäre allenfalls auch noch
akzeptabel gewesen, aber die Durchführung über den Zuschauerraum war schlichtweg
eine Katastrophe. Die Pause war durch die ständigen Durchsagen gestört,
die Zuschauer irritiert, sollten sie ihre Plätze einnehmen oder nicht?
Dann ist es endlich so weit , Philipp und Gefolge betreten durch den Zuschauerraum
auf einer Brücke über den Orchestergraben die Bühne und feiern. Das Haus
bleibt voll erleuchtet, es werden von der Galerie Flugblätter abgeworfen.
Es herrscht absolute Unruhe, die Musik und die Sänger sind kaum zu hören.
Die Geschichte bleibt auf der Strecke, weder die flandrischen Deputierten
noch die Auseinandersetzung Vater/Sohn werden präsent. Der Akt verpufft
in einer absurden Regieidee. Es hätte eine Herausforderung sein soll,
es war aber lediglich Ärgernis pur.
Anschließend
geht es normal weiter, wenn es auch gewisse kleinere szenische und musikalische
Unterschiede zur der bislang weitaus bekannteren italienischen Version
gibt.
Das
Bühnenbild (von Johannes LEIACKER) ist spartanisch bis kahl, weiß, nicht
sehr originell, es gibt dies aber den Sängern mehr Möglichkeit schauspielerisch
frei zu agieren, allerdings sind die sehr niedrigen Türen für den Zu–
und Abgang hinderlich und ergeben keinen erkennbaren Sinn. Die Kostüme
durchaus ansprechend.
Das
Sängerteam war insgesamt auf gutem Niveau, wenn es doch gewisse Abstufungen
gab. Sehr gut waren die beiden weiblichen Interpretinnen Iano TAMAR als
Elisabeth und Nadja MICHAEL als Eboli. Beide hatten im gleichen Maße ausgezeichnete
stimmliche Voraussetzungen und darstellerisches Engagements. Iano Tamar
war seit langem eine Elisabeth, die weder zu Beginn noch gegen Schluß
stimmliche Mängel zeigte. Nadja Michael war nicht eine wuchtig auftrumpfend,
dramatische Eboli, sondern zeigte ein neues, sanfteres, ja inniges Bild
der Prinzessin. Das empfand ich als eine Bereicherung.
Bei
den männlichen Kollegen ist das Niveau nicht ganz so einheitlich. Ramon
VARGAS verläßt immer mehr sein leichtes Rollenfach, beweist aber auch
jetzt bei Verdi durchaus Qualität. Für mich ist aber noch zu lyrisch und
wird sich erst in einigen Jahren zum idealen Carlos entwickeln. Bo SKOVHUS
als Marquis Posa kämpft fallweise mit der Tiefe in der Rolle, aber seine
Rollengestaltung und der eingebrachte Schöngesang konnten begeistern.
Ob die Rolle so seiner Stimme à la longue zuträglich ist, wage ich zu
bezweifeln.
Eine
Leistung die Achtung abringt: Alastair MILES als Philipp. Echte Begeisterung
konnte er aber nicht hervorrufen. Dazu ist Alastair Miles ein viel zu
kontrollierter Sänger. Dies steht aber einem Philipp am wenigsten an.
In keiner der Rollen, in welchen ich ihn bislang erlebte, waren große
Emotionen zu spüren. Der Großinquisitor von Simon YANG und der Mönch von
Dan Paul DIMITRESCU setzen ihre kraftvollen Stimmen gut ein und verliehen
den Rollen Charakter.
Am
Dirigentenpult stand der Franzose Bertrand de BILLY und zeigte, daß er
sich sehr intensiv mit dieser Urversion auseinandergesetzt hat, und versuchte
seine Erkenntnis über den Orchestergraben an das Publikum zu übertragen.
Das gelang auch dort, wo es von der Optik keine Störungen gab. Sein Dirigat
war sehr engagiert, und er erreichte mit dem ORCHESTER einen hohen Grad
an Präzision.
Es
gab bei diesem Werk genügend schöne Momente, so daß ich diese Erfahrung
zwar nicht missen möchte, aber wie stark ich mich in Zukunft weiter damit
auseinandersetzen werde, wird auch stark von den Sängern abhängen, die
in diese Produktion später einmal einsteigen werden. Nicht, daß ich Bertrand
die Billy in irgendeiner Form negativ gegenüber stehe, aber mir wäre weitaus
lieber gewesen, einige französische Sänger auf der Bühne statt eines französischen
Dirigenten im Orchestergraben zu haben. Vielleicht wäre überhaupt das
Ideale eine Besetzung, deren Muttersprache französisch ist, damit ein
allseits harmonischer Klang entsteht.
Was
nach diesem Abend nicht ausbleiben konnte, waren noch immer Buhrufe für
die Inszenierung und ein höchst unterschiedlicher Applauspegel bei den
Sängern. EH
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